Iris Antonia Kogler - Meerestiere

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An einem heißen Sommertag treffen fünf Menschen aus unterschiedlichen Gründen in einem Hotel ein. Jakob ist mit einem Fisch ans Meer unterwegs, Sonja und Richard hatten eine Autopanne, Jen wartet vergeblich auf ihren Liebhaber, und Alfred wurde mit seinem Hund Judy von seiner Tochter vor dem Hotel ausgesetzt. Weil nur einer von ihnen ein Auto zur Verfügung hat, schließen sich diese Menschen zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen, und gemeinsam fahren sie an die See, verbunden durch den Umstand, dass jeder von ihnen noch eine Sache im Leben zu klären hat. Tragikomischer Road Trip.

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Iris Antonia Kogler

Meerestiere

Roman

Alle Rechte vorbehalten 2019 Iris Antonia Kogler

Das Werk darf - auch in Auszügen - nicht ohne die Genehmigung des Autors/der Autorin wiedergegeben werden.

Korrektorat: Thomas Dellenbusch

Umschlaggestaltung: Iris Antonia Kogler

Covermotiv: Pixabay

Verlag und Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Iris Antonia Kogler

c/o Barbara´s Autorenservice

Tüttendorfer Weg 3

24214 Gettorf

Kontakt: irisantoniakogler@gmx.de

Für die Meerestiere dieser Welt und für die, die auf dem Weg sind, eines zu werden.

Kapitel 1

Jakob

Jakob sah auf den Fisch, der vor ihm auf einem Küchenbrett lag und dessen Schuppen in der Nachmittagssonne schimmerten. „Manchmal verstehe ich meine Frau nicht“, sagte er und öffnete eine Weinflasche, um das vierte Glas an diesem Tag zu trinken. Er las die Nachricht seiner Frau ein zweites Mal, legte das Handy neben den Fisch, ging zum Kühlschrank, öffnete ihn und sah hinein. Aber weil er nicht wusste, nach was er suchte, schloss er ihn wieder, drehte sich der Küchentheke zu, auf der er gerade das Essen vorbereitete, und ließ sich auf einen Stuhl nieder. Der Fisch sah ihn schräg an, dann setzte er sich auf, ließ die Schwanzflosse von der Küchentheke hängen und sah auf das Display des Handys. Jakob sah ihn an und trank Wein, von dem ihm die Hälfte über das Kinn rann.

„Schade um den guten Wein“, sagte der Fisch. „Zu schade.“

Jakobs Gehirn gab eine Fehlermeldung von sich, denn das Bild eines sprechenden Fisches ergab eindeutig eine Unstimmigkeit in Bezug auf alles, was es kannte. Während Jakob den Fisch weiterhin anglotzte, führte es eine Diagnose durch, um herauszufinden, was an der Situation nicht den Richtlinien entsprach. Als es zu einem Ergebnis gekommen war, versuchte es Jakob mitzuteilen, es sei nicht normal, dass das Abendessen mit ihm rede. Jakob ignorierte diesen Hinweis und ließ sich auf ein Gespräch mit dem Fisch ein.

„Meine Frau hat mich gerade verlassen“, sagte er.

„Ich hab´s mitbekommen.“

„Du schleimst meine Küchentheke voll, das macht mir was aus.“

„Junge, sei nicht so zimperlich, das hab ich dir schon immer gesagt.“

Jakob glotzte den Fisch an. Er war sich nicht bewusst, ihn zu kennen, und so fragte er sich, woher es eine Bekanntschaft mit ihm geben könne.

„Wann hast du mir das gesagt?“

„Deine ganze Kindheit hindurch.“

Jakob dämmerte es.

„Papa?“

„Ja natürlich, was denkst du denn?“

„Papa?“

„Bist du taub?“

„Papa, du bist ein Fisch.“

„Wird nicht frech, Junge.“

Jakob dachte kurz nach - oder eigentlich auch nicht - und stand auf.

„Was ich jetzt tue, ist sinnvoll. Wenn ich es beendet habe, bist du weg.“ Er öffnete den Gefrierschrank und steckte den Kopf hinein. In der angenehmen Kälte und Dunkelheit des Markengerätes ließ es sich leichter nachdenken, und so kam er zu dem Schluss, dass vier Gläser Wein in Zusammenhang mit dem Verlassenwordensein eine ungute Kombination aus Alkohol und mieser Stimmung waren. Logisch nachgedacht lag es nahe, dass eben jene unglückliche Kombination zu einer Art Schockreaktion mit einhergehenden Halluzinationen führte. Es war sicherlich alles nur eine Sache der Nerven, die sich bestimmt beruhigen ließen, wenn er es schaffte, tief und regelmäßig zu atmen. Als ihm eine Tüte tiefgefrorener Erbsen zu sehr auf die Nase drückte, zog Jakob seinen Kopf wieder aus dem Gefrierschrank und sah zur Theke. Der Fisch lag auf einer Zitronenhälfte und lümmelte darauf wie auf einer Chaiselongue.

„Was auch immer du da tust, beende es jetzt und gib mir Wasser“, sagte er.

Jakob schlich um dem Fisch herum, darauf bedacht, ihm nicht zu nahe zu kommen, griff schnell nach seinem Handy und schlich zuerst rückwärts aus der Küche hinaus, versuchte betont langsam den Gang entlang zu bummeln und rannte die letzten Meter ins Badezimmer. Sorgsam schloss er ab, wählte die Nummer des Notrufs und erklärte sein Anliegen.

„Sie reden mit einem Fisch?“

„Nein, mit meinem Vater, er ist ein Fisch.“

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang weiterhin professionell und rational.

„Ihr Vater ist ein Fisch?“

„Ja, er liegt in der Küche auf einem Brett, und er knabbert an der Petersilie herum.“

„Sind bei Ihnen psychische Störungen bekannt? Nehmen Sie Medikamente?“, fragte die Stimme.

„Warum sollte ich psychisch krank sein? Ich bin ein rational denkender Mensch, der allem Anschein nach unter einem Nervenzusammenbruch leidet und um Hilfe bittet.“

„Gab es einen Auslöser? Ist etwas passiert?“

„Ja, meine Frau hat mich verlassen.“

Eine Pause entstand.

„Ja, nun ja“, kam es durch die Leitung, „meine mich auch. Das soll hin und wieder mal vorkommen. Und das hat Sie jetzt so aufgebracht, dass Sie mit einem Fisch reden? Sind bei Ihnen schon einmal Wahnvorstellungen vorgekommen? Oder in Ihrer Familie?“

Jakobs Laune verschlechterte sich, weil er mit seinem Anliegen nicht ernst genommen wurde.

„Ich bin im Besitz meiner geistigen Fähigkeiten, ich leide und litt noch nie unter Wahnvorstellungen, und ich bin nicht …“ Jakob sah auf sein Weinglas, „… ich bin auch nicht betrunken.“

„Aber Sie sind trotzdem der Meinung, sich mit einem Fisch zu unterhalten?“

„Ja, ich spreche mit einem Fisch.“ Jakob betonte jedes Wort.

„Um welche Art von Fisch handelt es sich?“

Jakob dachte nach. Diesen Fisch zu beschaffen war ein Auftrag seiner Frau, und er war sich sicher, sie würde etwas an der Ausführung auszusetzen haben. Er dachte an ihren genervten Blick, wenn sie ihm etwas auftrug oder von ihm erwartete und er dem nicht nachkam, so wie sie es sich wünschte. Weil ihr nie etwas gefiel, weil sich ihre Ansprüche ständig änderten, weil ihre Meinung schneller wechselte, als er es mitbekam, selbst wenn er sich darum bemühte. Ständig trug sie ihm eine Aufgabe auf, damit ihr Leben so perfekt wie in einem Einrichtungskatalog aussah. Allerdings nicht so, wie in einem hochpreisigen Katalog, sondern eher auf die schwedische Art. Sie schrieb ihm sogar Zettel, die sie auf den Tisch legte und auf denen sie die Aufgaben aufzählte. Die Halterung des Duschkopfs gerade rücken, die ein klein wenig schief angeschraubt war, den Keller entrümpeln, obwohl dort nicht sonderlich viel lagerte, das Kaminholz auf die andere Seite des Wohnzimmers schichten, obwohl sie es erst neben dem Regal wollte, weil es dort als Holzelement den Raum ausbalancierte. Und endlich mal ein neues Auto kaufen, weil sein altes durch die ständigen Reparaturen zu teuer wurde. Aber Jakob liebte sein Auto.

„Hallo, sind Sie noch dran?“, fragte der Mann von der Notfallstelle.

„Ja, ich bin noch dran.“ Jakob zögerte. Leise öffnete er die Verriegelung der Tür und sah hinaus, aber er konnte vom Badezimmer aus nicht bis zur Küchentheke sehen.

„Hallo? Ich habe einen Notarzt zu Ihnen geschickt.“

Jakob schloss die Tür leise wieder und verriegelte sie.

„Ja, nein, das ist nicht notwendig.“

„Sind Sie sicher?“

„Ja, wissen Sie, ich bin doch ein wenig betrunken, und meine Frau ist auch gerade nach Hause gekommen“, log Jakob und legte auf. Leise schlich er zur Tür und lauschte. Bis auf das Radio, das in der Küche stand, war es still in der Wohnung. Jakob ließ kaltes Wasser in die Badewanne laufen und legte sich hinein. Auf seinem Handy suchte er eine Playlist mit dem Namen Gute Laune Musik heraus, eine Liste, die er sich gern schon morgens beim Kaffeetrinken anhörte, speziell an Sommertagen und Sonntagen, weil sie zu einem Tag passte, der schon morgens um zehn Uhr hochsommerlich heiß war. Er steckte sich die Ohrstöpsel ein und kühlte sich im Wasser ab, wobei er eine Quietscheente mit in die Badewanne nahm. Als die Jackson Five sangen, nahm er von draußen die Stimme des Fisches wahr. Er ignorierte es einige Minuten, versuchte, die Stimme als Einbildung abzutun, aber es funktionierte nicht. Er hörte eindeutig seinen Vater, der ihn zu sich zitierte.

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