Er lachte, setzte sich zu ihr und sah auch aus dem Fenster. „Man hat mir gesagt, dass Sie sehr männerfeindlich sind und dass Sie eine scharfe Zunge haben. Man sagte mir, dass ich mich hüten soll, irgendetwas zu tun oder zu sagen, was sich in den Medien nicht sehr gut macht. Kurz, ich soll Sie besänftigen. Aber wissen Sie was? Niemand hat mir gesagt, dass Sie Humor haben und eine sehr gutaussehende Frau sind.“
„Schleimer.“
Er lachte, stand auf und ging zur Tür. „Danke.“
„Die kurzen Hosen, die Sie beim Joggen anhaben, sehen fürchterlich aus.“
„Ich weiß. Aber sie sind ein wunderbarer Kontrast zu den steifen Anzügen, die ich sonst immer tragen muss.“
Nur vier Stunden später konnte sie das Krankenhaus verlassen. Nicht Andy teilte ihr diese Neuigkeit mit, sondern ein Kollege. Er sorgte dafür, dass das Büro informiert und ihr die Firmenlimousine geschickt wurde. Eine halbe Stunde später stand sie frisch geduscht, in einem dunkelblauen Kostüm und mit gepackter Tasche abreisebereit am Fußende des Bettes.
Andy kam rein und brachte einen Rollstuhl mit. „Ich muss doch sichergehen, dass du das Krankenhaus wirklich verlässt“, meinte er und bot ihr den Einzelplatz an. „Ma’am, darf ich Sie bitten Platz zu nehmen?“
„Muss das sein?“
„Ja, die Vorschriften.“
Nicole setzte sich und nahm ihre Tasche auf den Schoß. „Dann mal los.“
Sie sagten beide nichts mehr, bis sie im Fahrstuhl waren und sich die Türen geschlossen hatten. Andy lehnte sich mit gekreuzten Füßen und den Händen in den Hosentaschen an die Wand und sah sie an. „Du bist nicht sehr nett zum Bürgermeister gewesen.“
„So bin ich eben.“
„Nein. Du bist ganz anders, als alle sagen. Und viel stärker, als du glaubst.“
„Das werden wir ja sehen.“
Die Türen öffneten sich und gaben den Blick auf die Meute von Reportern frei. Jemand erkannte sie, rief ihren Namen und das Blitzlichtgewitter setzte ein. Sofort wurden sie umringt und Mikrofone so dicht an ihr Gesicht gehalten, dass sie nur zubeißen brauchte, um eins zu erwischen. Sie schob sie alle zur Seite, bedeutete Andy, stehen zu bleiben und stand auf.
Die Fragen kamen alle durcheinander, mindestens tausend auf einmal. Nicole sah sie alle an, sammelte sich – und dann lächelte sie. „Wenn sie alle durcheinander schreien, kann ich die Fragen nicht verstehen und auch nicht beantworten“, meinte sie und wies über die Köpfe hinweg zum Ausgang. „Außerdem stehen wir hier etwas ungünstig. Ich schlage vor, dass wir nach draußen gehen, wo mehr Platz ist.“
Tatsächlich zog die Meute los, erreichte noch vor ihr den Ausgang und platzierte sich im Halbkreis auf den Stufen zum Eingang. Allgemeines Gemurmel und die überraschten Gesichter zeigten deutlich, dass niemand mit einem offiziellen Interview gerechnet hatte. Ihre Bereitschaft brachte die Reporter allerdings dazu, sich ein wenig menschlicher zu benehmen und sie durch Handzeichen darauf aufmerksam zu machen, dass sie noch Fragen stellen wollten.
Zuerst erkundigte man sich allgemein und aus einem plötzlichen Anfall von Höflichkeit nach ihrem Befinden. Nicole dankte und meinte, dass es ihr gut ging. Als die Sprache auf ihren Hund kam, antwortete sie ehrlich. Er fehlte ihr, aber sie würde sich keinen neuen zulegen. Auch wurden Fragen an Andy, ihrem behandelnden Arzt gestellt, die er mit ihrem Einverständnis beantwortete. Rein medizinisch, professionell und doch mit einem Augenzwinkern, das die Reporter zum lachen brachte. Offensichtlich kannten sie ihn schon, was eine der nächsten Fragen bestätigte.
„Miss Baker, was haben Sie gedacht, als Sie erfuhren, dass ausgerechnet Ihr Arzt ein stadtbekannter Schürzenjäger ist?“
Das war es also, was er ihr hatte sagen wollen. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und lächelte amüsiert. „Dr. Cooper ist in erster Linie Arzt. Ein sehr hervorragender Arzt sogar. Aber ich kann bestätigen, dass er sehr charmant, zuvorkommend und höflich war und ...“ sie machte eine kleine Pause und lächelte in die Runde „... und das er sehr gut küssen kann.“
„Ach du meine Güte“, entfuhr es Andy und die Überraschung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
Plötzlich redeten alle wieder durcheinander, riefen ihr Fragen zu und Hektik kam auf.
Nicole bat um Ruhe und hob beschwichtigend die Hände. „Dr. Cooper und ich sind sehr gute Freunde geworden und er hat mir sehr geholfen. Aber außer dem Kuss, den ich sehr genossen habe, ist nichts passiert und wird auch nichts passieren. Wir sind uns einig, dass wir Freunde bleiben wollen. Und nun werde ich ins Büro fahren und sehen, ob ich nicht doch noch ein paar Opfer finde. Immerhin habe ich einiges nachzuholen.“ Sie nahm Andy kurz in den Arm, was natürlich hundertfach auf Zelluloid gebannt wurde, und flüsterte „Damit hast du garantiert nicht gerechnet, Casanova“, und bahnte sich einen Weg zu der wartenden Limousine. Kaum saß sie in den weichen Polstern, da wurden die Türen auch schon von Johann geschlossen und sie fand sich in dem Leben wieder, das sie vor einer Woche unfreiwillig verlassen hatte.
Der Wagen roch, als habe man ihn gründlich gereinigt. Sie sah sich um, sah die schmale Aussparung, in der bis vor kurzem die Wasserschüssel für Rico gestanden hatte. Auf dem Sitz neben ihr fehlten die Decke und die feinen, harten Hundehaare, die Rico eigentlich überall hinterlassen hatte. Ricos Gummimaus fehlte auch. Sie hatte immer im Wagen gelegen, gleich hier neben ihr. Man hatte also alle Spuren beseitigt, die auf ihn hinwiesen. Nur eins hatte man getan. Ein Bild von Rico war von innen an die Scheibe geklebt worden. An der linken, oberen Ecke des Rahmens befand sich eine schwarze Seidenschleife. Nicole lächelte leise und fuhr mit dem Finger über das Bild. „Hallo, Großer. Du warst sehr mutig. Ich bin stolz auf dich.“ Sie sah es noch ein paar Minuten an, betrachtete die stolze Haltung, die muskulöse Brust, die er nach vorn streckte, den geraden Rücken und den leicht angehobenen Stummelschwanz. Er hatte die kupierten Ohren aufgestellt, war aufmerksam und stolz wie immer.
Und dann widmete sie sich dem Berg von Notizzetteln, die in einer schwarzen Mappe vor ihr lagen, sah sie durch und sprach ihre Antworten und Bemerkungen in das kleine Diktiergerät. Sie hatte gerade die Hälfte geschafft, als sich die Kühlerschnauze des Wagens absenkte und Nicole sah raus. Sie fuhren soeben in die Tiefgarage des Bürohauses. Also packte sie alles in den schwarzen Aktenkoffer, den sie im Fußraum fand und fuhr mit dem Lift in die siebzehnte Etage. Hier oben war ihr Büro, so ziemlich in der Mitte des Hauses.
Die Begrüßung war herzlich und laut. Kim und Luzie hatten Kuchen gekauft und eine Flasche Champagner geöffnet. Und sie wollten natürlich jede Kleinigkeit wissen. Die ganze Wahrheit, denn sie hatten Nachrichten gesehen und wussten von dem Kuss. Nicole vertröstete sie auf später. Es war Montag und sie freute sich auf eine lange, arbeitsreiche Woche. Sie orderte einen starken Kaffee und marschierte in ihr Büro. Kuchen und Champagner passten in ihren Augen genauso wenig zusammen wie ihr Büro und der Mann, der auf ihrem Stuhl hinter ihrem Schreibtisch saß. Unverschämtheit.
Sie marschierte mit großen Schritten auf ihn zu und schob seine Füße vom Schreibtisch. „Du hast eine Woche Zeit gehabt, dir dein eigenes Büro einzurichten. Woran ist es gescheitert? Zu viele Frauen?“
„Zu viel Arbeit und keine Lust“, meinte Jonathan Dunmore und stand auf. „Willkommen Zuhause.“
„Vielen Dank und raus. Ich habe zu tun.“
„Hast du ihn wirklich geküsst?“
Nicole stellte ihren Aktenkoffer neben den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja, habe ich. Und ich muss sagen, dass es mir gefallen hat.“
„Wie hat er das geschafft?“
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