Fred Reber
Ich, Sergeant Pepper
Niemand ist tot, solange jemand lebt, der an ihn denkt.
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Inhaltsverzeichnis
Titel Fred Reber Ich, Sergeant Pepper Niemand ist tot, solange jemand lebt, der an ihn denkt. Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog Prolog 8. Dezember 2005 Noch während der Sarg in das Grab gesenkt wird, verlasse ich den Friedhof. Ich will nicht, dass Julia mich sieht. Ich hätte nie gedacht, dass mich das Wiedersehen mit ihr nach so langer Zeit so erschüttern würde. Ich steige in den Wagen und fahre nach Hause. Als ich das Garagentor schließe, habe ich mich wieder beruhigt. Am Ende des Gartens, wo der Wald beginnt und die Fichten und Tannen unter der weißen Last ihre Äste hängen lassen, funkelt der Schnee im Licht der untergehenden Sonne wie gesplittertes Glas. Mit dem Reisigbesen, der immer in der Nische des Hauseingangs lehnt, kehre ich den angewehten Schnee von den Steinstufen, damit er beim Öffnen der Holztür nicht in den Vorraum fällt. Könnte ich die Erinnerungen an Julia doch auch so einfach wegfegen. Ich rufe Tom im Woodstock an und bin froh, dass er ohne lange Erklärungen versteht, dass ich heute Abend unmöglich auftreten kann. Ich schalte das Radio an, es spielt Sergeant Peppers Lonely Hearts Club Band , dann mache ich im Kamin Feuer. Als der Sprecher an die tödlichen Schüsse auf John Lennon erinnert, kommen mir die Tränen. Nicht wegen John. Auch nicht wegen Julias Großmutter, die vorhin beerdigt worden ist. Ich muss an Kevin denken und daran, dass außer mir sich niemand an seinen Todestag erinnern wird, der sich in einigen Tagen zum fünfundzwanzigsten Male jährt. Es ist lange her, dass mich der achte Dezember an meine Geheimnisse erinnert hat. Ich starre hinaus in die Dämmerung und denke an die Tage, als ich darauf wartete, dass jemand Kevins Leiche finden und sie kommen würden, um mich abzuholen. Im Kamin knacken die brennenden Holzscheite, und meine Gedanken schweifen weiter in die Vergangenheit zurück, zu jenem Abend, an dem alles begann, als meine Mutter mit der Pepper-Platte nach Hause kam.
Fieberschüben ähnlich
Wichtiger als Oa
Als sei nie etwas anderes gewesen
Der bist du nicht gewachsen
Diesen einen Song
Was wird aus der Beat- und Popgeneration ohne die Fab Four?
Was im Village abgeht
In die Melancholie des Klangteppichs kuscheln
Einer von denen
Supercool
Ihr macht ja doch, was ihr wollt!
Nicht Julias Typ
Well done
Du bist nicht John Lennon
Voll mit drin
Richtig guter Stoff
Du bist doch an ihr dran
Ich konnte mich nicht finden!
Alles was ich spür
Wie konnte ich Julia nur so enttäuschen?
Babys in Black
Es ist erst der Anfang
Shit Happens
Vielleicht hätte ich ohne ihn aufgegeben
Was, wenn er doch noch eine Kassette besaß?
Unser Song hat keine billigen Effekte nötig
Was sie erwartete
Was einen einmal berührt hat
Yoko Onos Hand
Aus der Patsche helfen
Impossibile
Der will das spielen
Kein Veto!
Körpersaiten
Stark genug
Epilog
Impressum neobooks
8. Dezember 2005
Noch während der Sarg in das Grab gesenkt wird, verlasse ich den Friedhof. Ich will nicht, dass Julia mich sieht. Ich hätte nie gedacht, dass mich das Wiedersehen mit ihr nach so langer Zeit so erschüttern würde. Ich steige in den Wagen und fahre nach Hause. Als ich das Garagentor schließe, habe ich mich wieder beruhigt.
Am Ende des Gartens, wo der Wald beginnt und die Fichten und Tannen unter der weißen Last ihre Äste hängen lassen, funkelt der Schnee im Licht der untergehenden Sonne wie gesplittertes Glas.
Mit dem Reisigbesen, der immer in der Nische des Hauseingangs lehnt, kehre ich den angewehten Schnee von den Steinstufen, damit er beim Öffnen der Holztür nicht in den Vorraum fällt.
Könnte ich die Erinnerungen an Julia doch auch so einfach wegfegen.
Ich rufe Tom im Woodstock an und bin froh, dass er ohne lange Erklärungen versteht, dass ich heute Abend unmöglich auftreten kann.
Ich schalte das Radio an, es spielt Sergeant Peppers Lonely Hearts Club Band , dann mache ich im Kamin Feuer. Als der Sprecher an die tödlichen Schüsse auf John Lennon erinnert, kommen mir die Tränen. Nicht wegen John. Auch nicht wegen Julias Großmutter, die vorhin beerdigt worden ist. Ich muss an Kevin denken und daran, dass außer mir sich niemand an seinen Todestag erinnern wird, der sich in einigen Tagen zum fünfundzwanzigsten Male jährt.
Es ist lange her, dass mich der achte Dezember an meine Geheimnisse erinnert hat. Ich starre hinaus in die Dämmerung und denke an die Tage, als ich darauf wartete, dass jemand Kevins Leiche finden und sie kommen würden, um mich abzuholen.
Im Kamin knacken die brennenden Holzscheite, und meine Gedanken schweifen weiter in die Vergangenheit zurück, zu jenem Abend, an dem alles begann, als meine Mutter mit der Pepper-Platte nach Hause kam.
1967
»Patrick, komm«, rief meine Mutter, und ich folgte ihr hinauf in ihr Zimmer, wo sie die Platte auflegte. Der vorwärtstreibende Rhythmus packte mich, es war ein neues Gefühl, Fieberschüben ähnlich, und ich wusste, künftig würde alles anders sein.
Das, was ich da hörte, hatte nichts mit Al Martino oder Frank Sinatra gemein, die meine Mutter sonst immer spielte, und die sie regelmäßig zum Weinen brachten. Ich beneidete meine Mutter um ihr Englisch, das sie auf der Sekretärinnenschule gelernt hatte, nachdem mein Vater nicht mehr bei uns war, um für uns zu sorgen.
Ich war nicht einmal vier, als er starb. Ich vermisste ihn wegen meiner Mutter. Denn wenn sie sich Fotografien von ihm ansah, lächelte sie immer. Ich traute mich nicht zu fragen, warum sie sie immer so schnell versteckte, wenn sie bemerkte, dass ich sie dabei beobachtete.
Oft versuchte ich, sie zum Lachen zu bringen. Meistens fiel mir aber nicht ein, wie. Und jetzt schien mit dieser neuen Musik alles irgendwie besser zu werden. Sie setzte sich mit der Plattenhülle auf ihr großes Bett und sagte feierlich: »Das sind die Beatles.«
Sie sagte mir, wie jeder einzelne von ihnen hieß, und als sie den Namen John Lennon nannte, wurde ihre Stimme ganz sanft, und sie bekam diesen verklärten Blick, den sie sonst immer nur beim Betrachten der Fotografien meines Vaters hatte.
Ich musterte diesen John Lennon mit dem verschmitzten Blick hinter der runden Brille etwas genauer, und er war mir sympathisch. Ich stellte mir vor, wie er von der Plattenhülle herunterstieg und sich zu meiner Mutter setzte. Als Vater würde ich ihn sofort akzeptieren.
Bestimmt deutete ich deswegen auf Johns schilfgrünen Anzug. »So einen muss ich haben, unbedingt.«
Eine rote Kordel fasste Johns knielange Jacke ein, zierte den glänzenden Stoff an seiner Brust und verlief dann lose hängend zu den majestätisch wirkenden Schulterklappen. »Genau so einen.«
Als meine Mutter ihre langen, kastanienbraunen Haare zurückwarf, sah ich, dass sie in einer anderen Welt schwelgte. Ich nahm die Plattenhülle und stürmte damit zu Oa, die in der Küche Pflaumenmus einkochte.
Oa war meine Großmutter. Oa war das erste Wort, das ich sprechen konnte, seitdem nannte ich sie so. Ich wiederholte meinen Wunsch. Oa wischte sich über ihr vom Kochdunst schwitzendes Gesicht und sagte: »Wenn du dich vor aller Welt zum Deppen machen willst.«
Wie ich meine Oa liebte.
Als Oa am nächsten Nachmittag, vorne an der Allee in den Bus stieg, um wegen ihrer immer schlimmer werdenden Rückenschmerzen zum Arzt zu fahren, flitzte ich nach oben in das Zimmer meiner Mutter, nahm die Plattenhülle, ging damit ins Bad hinüber und klemmte sie zwischen der Wand und dem Wasserhahn am Waschbecken fest.
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