Der Zweite meinte zu diesem Problem: „Wurst ist mir das auf gar keinen Fall! Und wenn ich Öl über Bord pumpe, dann ist das für mich, dass ich unter einem Zwang stehe, das zu machen. Weigere ich mich, dann kann ich damit rechnen, dass ich die längste Zeit, wenn ich Chief wäre, als Chief gefahren bin. Also ist das eine reine Überlegungssache, dass einem das Hemd näher ist als die Hose, und man dann das Öl doch in verbotenen Gebieten über Bord pumpt. Es bleibt einem ja gar keine andere Möglichkeit, wenn man Familie hat, wenn man Verpflichtungen hat...“
Die beiden Schiffsingenieure konnten noch ein markantes Beispiel für die Aggressivität des Mittelmeerwassers beisteuern. Sie erzählten, dass sie die Seewasserrohre im Mittelmeergebiet alle sechs Monate austauschen müssten. „Dann sind sie durchgefressen“, sagte der Chief. „Wenn wir aber im Atlantik, oder sonst wo herum schippern, dann halten die Dinger gut und gerne zwei Jahre!“
Über die Manipulationen, mit denen Kapitän und Chief eines Säureverklappungsschiffes die Umwelt betrogen hatten, berichtete mir ein ehemaliges Besatzungsmitglied: „Die bekamen pro Abfahrt eine extra Prämie. Also ließen sie beim Laden über die geöffneten Ventile den Dreck gleich in den Fluss fließen. Und wenn dann das Schiff offiziell voll war, hatten sie bereits einen Teil der Ladung abgelassen und Zeit für eine schnelle Tour gewonnen. Den Rest pumpten sie während der Fahrt aus den Tanks, also schon lange, bevor das Schiff die genehmigte Verklappungszone in der Nordsee erreichte. Die fuhren nur rein und raus, und kassierten Prämien...“
Als vor einigen Jahren das Öldesaster auf einer Bohrinsel von einem Mitglied der Crew eines Versorgers fotografiert wurde, was von einem Hubschrauber aus beobachtet worden war, sollte der Mann den belichteten Film herausrücken. Als er sich weigerte und nicht unter Druck setzen ließ, kaufte man sich sein Schweigen für angeblich zweieinhalbtausend Dollar.
Auch das Meer, vor allem das Meer ist Umwelt! Aber es wird weiter gemauschelt, beschissen und betrogen. Über die Leihgabe Erde können wir kleinen, einzelnen Menschlein längst nicht mehr bestimmen. Wir dürfen zwar kräftig mithelfen, den ollen Globus mit Überfluss voll zu müllen. Doch besitzen wir den Planeten Erde? Nein, den Anspruch haben längst Institutionen erhoben: Der weltweite Filz der Konzerne und Trusts, die Multis, die ‚Global Player‘...
2. KRIEGSGELÜSTE UND FATALES KAFFEEKOCHEN
Für eine ganze Woche hatte ich mich während der Werftzeit in Bremerhaven nach Hause absetzen können. Sieben rundum schöne Tage, obwohl sich unser Mädchen mit einem bösen Keuchhusten quälen musste. Sie war aber sichtlich glücklich, wieder einen Papa zu haben und deutete jede sichtbare Dreierkonstellation ihrer kindlichen Umwelt – etwa drei zufällige Sonnenkringel – mit anrührendem Plapperstimmchen: „Mama, Papa, Miriam!“
Mitte Mai 1982 lagen wir am Scheldekai Antwerpens. Die Beladung der "Marlene-S" mit einer kompletten, für den Irak bestimmten Fabrikanlage in Kisten und Kästen, dauerte gleich mehrere Tage. Es war tatsächlich wieder so wie einst in der Stückgutfahrt, und wir nutzten die Liegezeit zu ausgiebigen Stadtbesuchen.
Seit Bremerhaven hatte sich die Mannschaftsliste wieder stark geändert. Unten wie oben gab es neue Gesichter. Wir hatten einen neuen Chief, und Kapitän Ruhnau wirkte weitaus gemütlicher und gelassener als sein Vorgänger. Schließlich befand sich noch ein Gast an Bord: die Verlobte des Zweiten Steuermanns.
Im östlichen Mittelmeer herrschte endlich prachtvolles Sommerwetter. Abends saß ich meistens beim Chief Thiele, dessen Kammer zur ‚blauen Grotte‘ erkoren worden war, um mit ihm und dem Ersten Schlüter einen gemütlichen Plausch zu halten. Gelegentlich gesellten sich der Zweite Ing, der Zweite Offizier und seine Verlobte dazu, oder der Alte warf einen kurzen Blick in unsere fidele Korona und bedauerte es sichtlich, von 20 bis 24 Uhr auf Wache gehen zu müssen. Ja, die Stimmung war wieder harmonisch. Ganz eindeutig!
Zwei Dutzend Schiffe aus aller Welt hatten vor Mersin, im Osten der Türkei, Anker geworfen. Am Haken schwojend genossen wir die Tage der Ruhe, räkelten uns während der Freizeit in der Sonne und hielten abends kurzweilige Klönschnacks. Der neue Alte, Kapitän Ruhnau, schien noch einer von diesen gemütlichen Seebären zu sein, die in der Seefahrt einen befriedigenden Lebensinhalt sahen und dies in einer von genießerischer Lebensart geprägten Ruhe auf ihre Umwelt übertrugen. Er liebte ein anregendes Beisammensein mit Storys und Geschichten über die Dinge, die hinter der Kimm auf Entdeckung warteten. Er liebte die dazugehörenden Drinks und seinen stets qualmenden Tabaksknösel.
Die Weltgeschichte hatte wieder ein Schlagzeilenthema: Der Falklandkonflikt lieferte auch unserer täglichen Funkpresse aufwühlende Textblöcke. Da schlugen abermals sich zivilisiert bezeichnende Völker aufeinander ein. Nationalistische Leidenschaften wurden strapaziert. Und junge Männer ließen sich für den eitlen Wahnwitz geschniegelter Operettengeneräle und für eine im Britannia-rules-the-waves-Denken steckengebliebene Eiserne Lady die Gliedmaßen zerfetzen und die Gedärme zerfleischen. Und die beschränkten Mariner-Bräute jubelten auch noch! Sie hatten scheinbar ihr letztes Krümelchen Verstand vervögelt, denn keine plärrte Rotz und Wasser bei der Vorstellung, dass Krieg barbarisch in die Weichteile fetzt, dass sie ihren pimmelstrammen Kriegshelden querschnittsgelähmt, ohne Gesicht, mit abgeschossenen Eiern, als einen in seiner eigenen Kacke dampfenden Torso zurückbekommen könnte! Falls überhaupt. Wie phantasielos Säbelgerassel macht, wurde uns von neuem vor Augen geführt. Und wir nahmen es zur Kenntnis, und keiner kotzte! Nein, keiner kotzte!
Als wir dann im Hafen die unzähligen Kolli löschten, erinnerten wir uns, dass auch hier ein Gebiet mit Nachschub versorgt wurde, wo Krieg die Herzen höher schlagen ließ. Wir ahnten nicht, dass sich der Name Saddam Husseins noch lange nach dem Iran-Irak-Krieg in die blutbesudelten Seiten der Geschichtsschreibung brennen würde. Und wir alle waren daran beteiligt, den Kriegstreibern die georderten Güter zu liefern. Fracht, die in jeder nur möglichen Form der Verschleierung und Täuschung garantiert nichts weiter als Kriegsmaterial war.
Wieder einmal saßen wir vergnügt beisammen und hatten uns bis nach Mitternacht mit den verrücktesten Storys vollgelabert. Nach Wachschluss gesellte sich Kapitän Ruhnau zu uns und wusste einige Döntjes beizusteuern:
Man ankerte vor Barranquilla. Wegen der berüchtigten kolumbianischen Piraten wurden vier Mann zur Nachtwache eingeteilt. Ein Matrose vorn, ein Matrose achtern, der Zweite Offizier auf der Brücke und ein Assi (Ingenieursassistent) im Maschinenraum. Gegen Mitternacht verschwand der Matrose, der das Achterschiff bewachte, zum Kaffeekochen in die Aufbauten und ging in die Pantry. Auf diesen Augenblick hatten in der Finsternis der Tropennacht die Banditen in ihren Kanus gewartet. Behände enterten sie den Pott und legten sich auf die Lauer.
Als der Matrose vom Kaffeekochen zu einem Rundgang aufs Achterdeck zurückkehrte, wurde er von den Flusspiraten wahrgenommen. Ein kurzes Handgemenge, dann war er seine Uhr los, war geknebelt und an die Verschanzung gefesselt. Die Banditen hatten Nummer eins ausgeschaltet, und es dauerte nicht lange, da erschien der Assi an Deck. Er hatte in der Messe seinen mitternächtlichen Kaffeepartner vermisst und wollte nach ihm schauen. Nun ereilte ihn das gleiche Schicksal: aus dem Schatten der hinteren Aufbauten stürzten sich die braunhäutigen Desperados auf den Ahnungslosen. Nummer zwei wurde fachmännisch an das Schanzkleid des Schiffes gebunden. Mittlerweile hatte der Matrose auf dem Vorschiff auf die Meldung seines Kameraden gewartet, dass der Kaffee fertig sei und er für ein Weilchen verschwinden könne. Als sich nun sein Macker immer weiter verspätete, wurde er unruhig und entschloss sich, mal achtern nachzusehen: Auch Nummer drei lief in die Falle. Der Seemann musste seine Uhr hergeben und das Schanzkleid des Schiffes zieren.
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