Meine Mutter und er verstanden sich natürlich nicht lange, und so landete ich schließlich eine Woche vor meinem sechsten Geburtstag bei Prof senior, dem jüngeren Bruder meines Erzeugers, der eben in London N.W.3 wohnte. Und wo ich vor Prof seniors Adoptivtochter, eben meiner einzigen Freundin, schon nach ein paar Tagen auf den Knien lag. Es ist mir zwar HEUTE etwas peinlich, aber ich gebe es besser gleich zu, dass ich schon als kleiner Junge noch viel schlimmer hinter den Mädchen her war als Colonel D.B. Singer. Bevor ich nach London kam, verbrachte ich die Hälfte des Jahres in der Wohnung meines Erzeugers und Tatsache ist, dass ich schon vor meinem vierten Geburtstag mit Babysittern flirtete. Ich meine, ich BEWUNDERTE sie und alles und erzählte ihnen, wie gut sie aussahen und brachte ihnen Geschenke und so weiter. Wenn ich jetzt daran denke, muss ich sagen, ich war verdammt aufdringlich - nur: Den Mädchen schien es eher zu gefallen. Und mir natürlich erst recht.
Als ich schließlich in Großbritannien lebte, wurde meine besondere Neigung schließlich darum ganz stark beachtet, weil dort in meinem Umfeld‚ der oberen Mittelklasse‚ der männliche Teil der Bevölkerung durch die Einflüsse von Puritanismus und Narzissmus dermaßen durchgeknallt ist, dass sie ziemlich oft ganz hervorragend mit sich selbst zurechtkommen - und mit Ihresgleichen logischerweise auch.
Dass diese Mädchen in London (und wahrscheinlich in ganz Großbritannien) auf der Stelle ihre Freundinnen mitbringen, wenn sie einen Jungen treffen, der Mädchen MAG, liegt vor allem am verdammten Puritanismus. Alle Welt schimpft auf den Katholizismus, weil er über allgemein bekannte sichtbare Institutionen verfügt - eben den Papst und den Vatikan, während der Puritanismus dezentral wirkt. An welche Adresse wollen Sie sich wenden, wenn Sie sich etwa darüber beschweren möchten, dass Ihr Nachbar, ein Mitglied der Presbyterianer, nachts in seinem Keller fünfzehnjährige Anhalterinnen oder siebzehnjährige Amateurcallgirls in Stücke sägt oder sie (sauber und ordentlich, wie es sich für einen Puritaner gehört) im Garagenboden einbetoniert?
Denken sie nur an die Windsors - die königliche Familie, meine ich. Bei dieser Sippe handelt es sich gewissermaßen um die Oberpuritaner. Okay - diese Leute besitzen zwar jede Menge Geld und Paläste und in aller Welt zusammengeraubtes Zeug, aber ich finde, sie haben irgendeine Entschädigung verdient für die erbärmliche Art, wie sie existieren müssen. Seit ich zum ersten Mal vor ihrem Goldenen Käfig stand, kommen sie mir vor wie ein ganz besonderer Fall für Amnesty International.
Das ist kein Witz. Ich halte die Windsors für Gefangene des Systems. Ihre Gefängnisse sind ganz raffiniert als Paläste getarnt - das heißt, sie heißen so: Paläste, aber wenn man genauer hinsieht‚ stellt man fest, sie sind allesamt verrammelt und verriegelt. Nicht für die Besucher natürlich, die dort ein und aus gehen, aber eben für sämtliche Mitglieder der Windsor-Familie. Und drumherum sind Gitter gezogen, und obendrein werden sie von Uniformierten bewacht, rund um die Uhr.
Die Räumlichkeiten sind sozusagen eine Art Antigefängnis, das heißt, unterm Strich kann man darin genauso wenig richtig wohnen, also leben und so weiter, wie in einer verdammten Zelle. Nur eben genau andersherum: es ist einfach alles zu groß und zu sehr vollgestopft mit irgendwelchen Sachen, die irgendein Vorfahr, der sich als Raubritter betätigte, aus anderen Gegenden der Welt mitgebracht hat - von anderen Kontinenten, wo die Sachen besser geblieben wären. Aber zurückgeben dürfen die heutigen Besitzer das Zeug auch nicht mehr, weil es ihnen als ein Zeichen der Schwäche ausgelegt werden würde. Und so schleppen diese Leute jede Menge nutzlosen Krempel mit sich herum - totes Gewicht, immer mehr und immer mehr, von einer Generation zur nächsten.
Und sie dürfen nicht einmal allein in diesen Palästen leben, die Windsor-Leute, sondern sie müssen sich auf Schritt und Tritt mit den Wärtern vom Innendienst herumschlagen und jeden Tag die Form bewahren und scheißfreundlich zu allen und jeden sein, sonst steht alles am nächsten Morgen brühwarm in der Regenbogenpresse.
Die Protokolleute schreiben den Windsors, also ihren eigenen Arbeitgebern, vor, was sie zu tun haben und wann und wo und wie, und was gefälligst nicht. Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie möchten etwas ganz einfaches tun, sich vielleicht nur am Kopf kratzen, aber nicht einmal das lässt sich machen, weil Sie bei einem öffentlichen Anlass wieder einen dieser scheußlich aussehenden Hüte tragen müssen, und mehrere tausend Augenpaare starren Sie gnadenlos an. Wenn Sie jetzt einfach den Hut abnehmen und sich am Kopf kratzen, interpretiert das die Öffentlichkeit als Staatsakt. Und die Presse sowieso. Ja, Sie dürfen nicht einmal kurz gähnen.
Stellen Sie sich vor, Sie seien die Queen. Es ist mitten im November - Regen und Nebel und Kälte und alles, und morgens um sechs Uhr ist natürlich auch noch alles ganz finster. Sie sind also die Queen und müssen deshalb seit ungefähr einem halben Jahrhundert in einem furchtbar unbequemen Bett liegen, das zu benutzen Sie sozusagen von der verdammten Staatsräson genötigt werden. Einer dieser uniformierten Lackaffen, die den ganzen Tag vor Ihnen buckeln und Schleimspuren ziehen, hat Ihnen einen Wecker auf den Nachttisch gestellt und Schlag sechs Uhr geht das Ding los und reißt Sie aus dem Halbschlaf. Als nächstes bekommen Sie schreckliche Kopfschmerzen und gähnen und erinnern sich an die letzten Szenen des furchtbaren Albtraums, von dem Sie soeben noch heimgesucht wurden. Der Albtraum hatte irgendetwas mit Ihrer Familie zu tun. Sie erschaudern; davon werden Sie ein Stück wacher. Sie blinzeln mit brennenden Augen einen Spalt breit durch die Vorhänge und sehen, hinter den Fenstern ist noch alles finster, eben November, und Sie können genau hören, wie der Regen gegen die Scheiben klatscht. Hierauf möchten Sie sich am liebsten auf die andere Seite drehen und noch ein Stückchen weiter schlafen. Da kommt einer der uniformierten Lackaffen ins Schlafzimmer geschlichen und lauert, ob Sie schon aufgestanden sind. Wenn nicht, wirft er Sie aus dem Bett.
Als Queen spüren Sie jetzt noch viel massivere Kopfschmerzen, und sie müssen automatisch daran denken, dass Sie immerhin vielfache Milliardärin sind und alles, und es fällt Ihnen zufällig die Geschichte eines im ganzen Land bekannten Metzgers ein, den Sie kürzlich in den Adelsstand erheben mussten. Der alte Schwindler ist ungefähr Ihr Jahrgang und fing mit einer geerbten kleinen Metzgerei in der Provinz an, stieg nach einer
Weile in den Handel mit Pferdefleisch ein und begann, unverfänglich aussehende Würstchen zu produzieren, womit er jedes Jahr Millionen ergaunert, so dass er nur noch im Rolls Royce herumfährt‚ auf dessen Kühlergrill statt der Rolls-Royce-Figur die Skulptur einer vergoldeten Wurst angebracht ist.
Dieser kleine Gangster kann es sich jedenfalls leisten, an einem solchen Morgen im Bett liegen zu bleiben, und wenn er eventuell einen Butler hat, der versucht, ihn früh um Sechs aus den Federn zu werfen, kann er ihn auf der Stelle feuern. Nur Sie, die Queen, der ein Haufen zynischer Rechtsverdreher die symbolische Verantwortung über beträchtliche Teile des Globus aufgehalst hat, werden wieder gnadenlos vor den Karren gespannt. Zu einer Tageszeit, in der sogar noch Ihre eigenen Pferde schlafen dürfen. (Von Ihren Hunden gar nicht zu sprechen, die können sogar tagsüber schlafen wie sie wollen.)
Und der uniformierte Lackaffe posaunt: „Lizzy‚ heute kommt nach dem Frühstück als erstes der Premierminister zum wöchentlichen Informationsgespräch!“
Sie denken als Queen: Warum denn schon so früh am Tag? Sonst kommt er doch immer später. Und womit muss ich die Zeit zubringen? Nur mit Sorgen. Ich werde garantiert nicht so alt wie Mami...
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