«Das mach ich.»
Trude schöpfte die reichhaltige Suppe in vier Holzteller, legte Holzlöffel daneben, und alle setzten sich zu Tisch.
«Schmeckt köstlich», lobte Fidibus die Köchin, was die beiden anderen bestätigten.
«Hat es einen speziellen Grund, dass ihr mich besuchen kommt?»
«Einen schrecklichen», sagte Siegelinde zwischen zwei Löffeln, «mein Verwandter, Mönch Niesbert, ist entführt worden.»
«Hortulanus Niesbert? Ich kenne ihn gut. Wir unterhalten uns oft über den Anbau von Kräutern und andere Sachen der Gärtnerei. Wann ist das denn passiert?»
«Letzte Nacht oder am ganz frühen Morgen, als es noch stockfinster gewesen ist», erzählte Fidibus. «Weisst du vielleicht etwas über eine Gruppe von Kapuzentypen auf Mauleseln?»
«Nein. Aber wir könnten morgen ins Kloster Münsterlingen reiten. Ich und du, Fidibus, und unterwegs in den Weilern rumfragen. Ich muss eh zu meiner Freundin, Äbtissin Dagoberta. Sobald wir etwas wissen, schicken wir einen Boten zu euch beiden», richtete Trude den letzten Satz an Blage und Siegelinde.
«Ja, gut. Dann kommen wir und helfen euch», freute sich das Burgfräulein bereits auf das bevorstehende Abenteuer.
Niesbert war endlich wach. Er lag in einem grosszügigen Kistenbett auf einem gut gefüllten Strohsack in einem kleinen, aber eigenen Zimmer. Unter der Fensteröffnung, vor der im Moment ein Fensterladen eingehakt war, befand sich eine Truhe. Eine brennende Talgkerze stand auf einem kleinen Tisch gegenüber. Als Niesbert aufstand, um die Truhe zu öffnen, fand er darin Kleider und Decken. Er öffnete die Türe und stand in einem Gang, der durch einige Fackeln hell erleuchtet war. Der Mönch folgte seiner Nase, die den Duft nach Essen roch, und landete schliesslich in einem grossen Speisesaal, wo mehrere Männer um einen langen Tisch herumsassen und assen.
«Setz dich, Mönch aus Sankt Gallen», lud ihn einer ein und brachte ihm Teller und Löffel. Eine wohlriechende dicke Suppe wurde in seinen Teller geschöpft und der hungrige Niesbert stürzte sich erfreut darauf, obwohl er keine Ahnung hatte, wo er sich befand und wer diese Leute waren, allesamt gekleidet wie Mönche.
«Bin ich in einem Kloster?», fragte er in die Runde.
«Ja», sagte ein anderer, «ich bin Abt Hunni.»
«Und wo sind wir?»
«An der Thur. Auf der anderen Flussseite liegt Pfyn.»
«Aber nicht etwa im verwunschenen Sumpf der Nymphen, oder?»
«Oh doch, lieber Mönch. Genau dort.»
Furdin, Oberspion zu Konstanz, hatte die letzten Tage mit Bischof Konrad von Konstanz in Bischofszell, Besitz von Konstanz, geweilt, um nach dem Rechten zu sehen. Wobei, geweilt hatte eigentlich nur der Bischof, denn Furdin musste den lieben langen Tag zwischen Burg und Kloster hin- und herrennen, während Konrad in der Klosteranlage hockte und die Schulbank drückte. Vielleicht wurde er langsam wunderlich; vielmehr aber wollte er wahrscheinlich kontrollieren, ob der Unterricht auch nach seinem Geschmack verlief.
Und nun rührte Furdin gemächlich in seinem Dreifusstopf, der in der Glut der kniehoch aufgemauerten Feuerstelle in seiner ebenerdigen grosszügigen Wohnung stand und feine Düfte nach dem unsäglich kostspieligen Zimt verströmte, den sich der junge Mann nur zu seltenen Anlässen gönnte. Bischof Konrad kam zwar für diese Wohnung, übliche Kost und sogar Spesen auf, doch für Extras musste der hörige Furdin entweder anderswo sparen oder ein krummes Ding drehen, wofür er natürlich ein Händchen hatte. Sonst wäre er hier nicht der Oberspion. Nachdem er seine fernländisch gewürzte Hafergrütze mit viel Honig darin ausgelöffelt hatte, verliess er seine Wohnung in der Niederburg, dem Stadtteil von Konstanz, der von Handwerkern, Fischersleuten und Ministerialen, wie Furdin einer war, bewohnt wurde, und wanderte durch eines der Stadttore auf die breite Strasse hinaus, die am Bodenseeufer entlangführte, und weiter nach Münsterlingen, wo seine Freundin Helwi Laienschwester im dortigen Kloster war. Kühle Luft zog übers weite Wasser und kräuselte es so, dass lauter kleine Wellen entstanden, die sich ohne Unterbruch am sandigen Ufer brachen und den emsigen Fischfang der krächzenden Seemöwen noch verstärkten. Furdins helles Haar, das ihm bis über die Schultern fiel, wurde arg zerzaust und nahm ihm zeitweise sogar die Sicht, sodass er beinahe in einen Gemüsehändler hineinlief, der seinen Handkarren hinter sich herzog.
«Kannst du nicht aufpassen, Junge?!», wurde er auch noch ohne Umschweife angepflaumt. Während der Gemüsehändler brummelnd weitertrampte, winkte Trödelhändler Karl und hiess Furdin stehenzubleiben: «Brauchst du zufällig ein neues Haarband, Beamte Furdin? Wie wär’s mit dem hier?» Und Karl in seinem langen bunten Flickenmantel zauberte ein dickes, braunes Lederband mit hübsch genähten Mustern darauf aus seinem Bauchkasten hervor und hielt es Furdin unter die Nase.
«Und welches Vermögen willst du dafür haben, Karl?»
«Och! Alles halb so wild. Einen Pfennig und eine neue Geschichte über den ehrenwerten oder nicht so ehrenwerten Konrad.»
«Da tut sich nichts Schlimmeres im Moment. Ich geb’ dir zwei Pfennige für das Haarband und eine neue Geschichte von dir über das Kloster Sankt Gallen, welches dem Bischof so auf dem Magen liegt, wie du weisst.»
«Also gut. Da gäbe es schon was zu erzählen.»
«Na red’ schon», sagte Furdin, gab dem Trödelhändler seine Silberlinge und band sich die Haare zusammen.
«Da wurde jemand entführt.»
«Aus dem Kloster?»
«Oh ja! Ein Mönch.»
«Doch nicht etwa Fidibus?», wollte der bischöfliche Spion erschrocken wissen. Denn obwohl der Cellerar von Sankt Gallen eigentlich sein Feind in diesem Kalten Krieg sein sollte, waren sie seit einiger Zeit recht gut miteinander befreundet.
«Nein, nein. Niesbert, der Hortulanus.»
«Na so was! Und warum?»
«Keine Ahnung.»
«Und von wem?»
«Von irgendwelchen Kapuzentypen.»
«Und wann?»
«Vorgestern in der Nacht oder gestern Morgen ganz früh.»
«Na das ist mal was!», strahlte Furdin. Mit dieser Meldung würde er viel Lob von Konrad einheimsen. Das würde den intriganten alten Sack bestimmt aus den teuren Wendeschuhen kippen lassen.
Im Klosterstall Sankt Gallen waren die beiden Novizen Hans und Bertram gerade dabei, alles blitzblank zu fegen, als Fidibus eintrat.
«Wo habt ihr beiden Donner versteckt?», schaute sich der Cellerar im leeren Raum um, der für die Pferde reserviert war.
«Na ausgeritten ist er nicht alleine», grinste Hans. «Er steht auf der Koppel draussen.»
«Und sein Sattel?»
«Hab ich draussen an die Wand gelehnt. Gleich rechts um die Ecke», rief Bertram.
Fidibus lief wieder hinaus, schnappte sich den Sattel und wanderte das Fussweglein entlang, das an verschiedenen kleinen Gehegen vorbeiführte, in denen im Moment fünf Schafe, eine Ziege, eine Kuh, zwei Schweine und eine Stute mit Fohlen herumstolzierten. Zuletzt fand er Donner, den alten Hengst, den ein reuiger Adeliger dem Kloster vermacht hatte.
«Komm, mein Lieber, machen wir einen Ausflug», tätschelte der Mönch Donners Hals und schaute ihm dabei in die immer noch feurigen Augen. Donner liess sich gnädig satteln, Fidibus sass auf und los ging’s durch das Klosterdorf in Richtung Konstanzer Strasse. Auf der Höhe der Kirche Sankt Mangen winkte ihn eine junge Frau zu sich und fragte, wohin er unterwegs sei.
«Lara! Ich hol’ Trude ab und reite mit ihr nach Münsterlingen.»
«Aus einem besonderen Grund?», fragte die Köchin der Propstei Sankt Mangen, die aus Italien kam und früher gelegentlich für Geld mit Männern geschlafen hatte, was aber niemand ausser Fidibus wusste.
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