Meine Gutmütigkeit und in vieler Augen Dummheit wurde nicht etwa mit einem Dankeschön anerkannt, was ich ohnehin nicht wirklich erwartete, sondern damit, dass man unrechtmäßigerweise umgehend einfach die Zahlung meines gesamten Arbeitslosengeldes einstellte bzw. um über zwei Wochen verzögerte, wohl um eine Überzahlung zu unterbinden und sich schadlos zu halten, worüber ich aber zunächst nicht in Kenntnis gesetzt wurde und wodurch mein Konto erheblich überzogen wurde und mir dementsprechende Überziehungszinsen in Rechnung gestellt wurden. Rechtens wäre es gewesen, eventuell erfolgte Überzahlungen von mir formal zurück zu fordern oder eventuell mit späteren Zahlungen zu verrechnen, mein Einverständnis vorausgesetzt. Offenkundig nahm man mit der Zahlungseinstellung billigend in Kauf, dass ich möglicherweise nicht meinen Zahlungsverpflichtungen (Miete usw.) nachkommen kann, eventuell auch nichts zu essen habe und Überziehungszinsen zahlen muss. Auf meine folgende Beschwerde und Forderung nach Erstattung der Überziehungszinsen wurde überhaupt nicht mehr reagiert. Ich muss gestehen danach entnervt aufgegeben und die Sache auch angesichts des letztendlich relativ begrenzten Schadens nicht weiter verfolgt zu haben, womit ich mich mit Sicherheit in eine ziemlich lange Reihe anderer sog. Kunden einreihte, denen ähnliches widerfuhr. Anscheinend wird von den Jobcentern und verantwortlichen aber genau darauf spekuliert, dass die Menschen müde werden und diese unzähligen und alltäglichen Nadelstiche widerstandslos über sich ergehen lassen.
Zuletzt möchte ich noch auf einen Fall, der an Absurdität wohl kaum noch zu überbieten ist, eingehen, der unter einer Rubrik: „Das glaubt einem ja kein Mensch“ laufen könnte. Dieser Fall betraf eine Frau, i. Ü. eine Akademikerin, die trotz Vollzeitbeschäftigung als Taxifahrerin auf aufstockende Transferleistungen angewiesen ist. Wie hinlänglich bekannt, steht auch das Jobcenter unter dem obersten Gebot des Sparens, was sich u. a. darin äußert, dass man ALG-II-Beziehende zu Umzügen in kleinere und billigere Wohnung zwingt. Besagte Taxifahrerin wollte nun aus eigenem Antrieb von einer größeren und teureren Wohnung in eine kleinere und preiswertere ziehen, auch um einer zu erwartenden Aufforderung des Jobcenters zum Umzug in eine kleinere Wohnung zuvorzukommen. Die bisherige Wohnung der Frau war mit über 62 qm deutlich größer als der Richtwert von 45 qm, den man allein stehenden ALG-II-Beziehenden als Wohnraum zugesteht, wenngleich ihre Miethöhe noch – vor einer anstehenden Luxusmodernisierung – unter dem gebilligten Höchstsatz lag. Trotz dieser Tatsachen und des Hinweises der Frau, in ihrem Antrag auf Umzugserlaubnis, eine finanzielle Hilfe für den Umzug nicht in Anspruch nehmen zu wollen, wurde ihr Antrag mit folgendem abgebildeten Bescheid abgewiesen. Da fragt man sich, ob die Sachbearbeiter im Jobcenter den Antrag der Frau überhaupt gelesen, geschweige denn geprüft haben. Und man fragt sich unwillkürlich was diese Sachbearbeiter wohl umtreiben mag, ob sie vom Teufel geritten werden. Geht die Anti-Kunden-Haltung schon so weit, dass da automatisiert gegen sog. Kunden entschieden wird, ohne auch nur im Mindesten nachzudenken, geschweige denn nur annähernd von Gewissenhaftigkeit reden zu können, haben wir es hier mit programmierten, dummen Kampfrobotern zu tun?
Abbildung A: Ablehnungsbescheid vom 20. August 2012
Anscheinend folgt dieses skrupellose, „automatisierte“ Verhalten dem unbedingten Erfüllen sollen von vorgegebenen Sanktionsquoten. Allein die Existenz von solchen Sanktionsquoten, die einer breiten Öffentlichkeit u. a. allerspätestens seit den Berichten der ehemaligen Arbeitsvermittlerin, Inge Hannemann, die in einem Hamburger Jobcenter arbeitete, bekannt sein dürfte, ist an sich schon ein ungeheuerlicher Skandal. Denn soll solch eine Quote erfüllt werden nimmt man zumindest sehenden Auges in Kauf auch Kunden zu sanktionieren bzw. zu schädigen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen haben. Das ist großes menschenverachtendes Unrecht, das umso schwerer wiegt, wird es von staatlichen Institutionen ausgeübt, noch dazu in einem Land in dem permanent Menschenrechte und Freiheit gebetsmühlenartig als das Höchste in den Himmel gejubelt werden. Offenbar geht es hier weniger um die mehr oder weniger berechtigte Verfolgung von tatsächlichen Verfehlungen der sog. Kunden, sondern vielmehr um die Erfüllung niederer politischer Vorgaben, u. a. um weitere Einsparungen und vor allem aber darum, der Öffentlichkeit vorgaukeln zu können ein erhöhter Missbrauch von Sozialleistungen läge vor um ein noch härteres Vorgehen gegen die Menschen rechtfertigen zu können. Zu all dem wird hier sehr viel kreative Energie in die Konstruktion von vermeintlichen Verfehlungen der Kunden und von Fallen und Fallstricken verschwendet, die doch eigentlich der Unterstützung der Kunden zukommen sollte. Letztendlich jedoch wiegen hier die Interessen weniger aber sehr einflussreicher Akteure (der Global Player) mehr als die der sog. Kunden und der übrigen Gesellschaft, worauf in den folgenden Kapiteln näher eingegangen wird.
Sehr unwahrscheinliche Fehler
Offenbar sind Fehler und fehlerhafte Bescheide nicht die Ausnahme, sondern alltäglich, wenn nicht sogar häufiger als korrekte Bescheide und dies in aller Regel zulasten der sog. Kunden. Stichproben des Landesrechnungshofes Thüringen, deren Ergebnisse im Jahr 2012 veröffentlicht wurden, ergaben, dass 78 Prozent der Bescheide von den Jobcentern fehlerhaft waren. Dabei handelte es sich vor allem um Mängel, die im Zusammenhang mit Mieten und Nebenkosten für Wohnraum stehen. Nach Überprüfungen durch die „Solidarische Hilfe e. V.“ in Bremen waren in der Anfangsphase von Hartz IV 70 Prozent der überprüften Bescheide für das ALG II z. T. mit „gravierenden Fehlern“ zulasten der Leistungsempfänger behaftet (vgl. www.labournet.de). Daher kann es nicht verwundern, wenn die Sozialgerichte kaum noch der Klageflut Herr werden, die durch die Umsetzung der Hartz-Gesetze verursacht wurden und werden. So gingen z. B. allein am Sozialgericht Berlin im Jahr 2012 rund 29.000 Hartz IV-Klagen ein, „Das Heißt im Klartext: Alle 18 Minuten klagt ein Berliner gegen sein Jobcenter. Tag und Nacht. 365 Tage im Jahr“ (Aus der Ansprache der Präsidentin des Berliner Sozialgerichtes, Frau Sabine Schudoma, anlässlich der Jahrespressekonferenz vom 10.01.2013, S. 3). Wollte das Berliner Sozialgericht alle Klagen abarbeiten, die sich seit Beginn der Hartz-Reform auftürmten, so müsste es nach eigenen Angaben für rund ein Jahr schließen. Mit einer Verdopplung des Fachpersonals sei es inzwischen gelungen, den Berg der Klagen gegen die Jobcenter nicht weiter anwachsen zulassen. Bezeichnend ist, dass es in keinem anderen Rechtsgebiet eine annähernd so hohe Erfolgsquote der Klagen gibt, wie hinsichtlich Hartz IV. Allein das ist schon bemerkenswert, auch vor dem Hintergrund, dass die Sozialgerichte den bedürftigen Klägern traditionsgemäß nicht unbedingt immer so gewogen waren und sind, was zu denken geben sollte. Offenbar ist die Rechtslage häufig so eindeutig, dass die Richter gar nicht anders können als zugunsten der Kläger bzw. der sog. Kunden zu entscheiden. Nach der internen Statistik des Berliner Sozialgerichtes waren im Jahr 2012 immerhin 54 Prozent der „Jobcenter-Streitigkeiten“ berechtigt.
Wenn man nun gutgläubig davon ausgeht, die Jobcenter würden einfach nur Fehler machen, aufgrund von Unfähigkeit und Inkompetenz, weil sie es nicht besser könnten, dann müsste man jedoch nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit zwingend davon ausgehen, dass sich diese Fehler ebenso häufig zugunsten, wie zuungunsten der sog. Kunden auswirken würden, weil es ebenso wahrscheinlich ist einen Fehler zugunsten, wie zuungunsten der sog. Kunden zu machen. „Verrechnet“ sich das Jobcenter z. B. bei der Anrechnung von Arbeitseinkommen auf Transferleistungen, so geschieht dies in den seltensten Fällen zugunsten der sog. Kunden. Das bekannte Beispiel einer gewöhnlichen Münze mit ihren zwei Seiten bzw. Möglichkeiten auf den Boden zu fallen, die den o. g. zwei Möglichkeiten entsprechen zugunsten und zuungunsten der sog. Kunden einen Fehler zu machen, mag das Problem noch einmal verdeutlichen: Würden Sie eine Münze mit ihren zwei Seiten (Kopf und Zahl) oft genug werfen, würden Sie feststellen, dass sich die Zahl der Würfe von Kopf und Zahl immer mehr angleichen, je öfter Sie werfen. Nach z. B. 1000 Würfen würden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit beide Seiten der Münze gleich häufig geworfen worden sein, voraus gesetzt beide Seiten der Münze sind gleich schwer, womit also gleiche Ausgangsbedingungen gegeben wären. D. h. also 500 Mal Kopf und 500 Mal Zahl. Ähnliches gilt z. B. auch für den ungezinkten, idealen Spielwürfel, der sechs Flächen bzw. Möglichkeiten hat, auf dem Boden oder Spieltisch zu landen. Auch hier gilt: Jede Fläche bzw. Augenzahl hat die gleiche Chance geworfen zu werden, was zur Folge hat, dass der Wurf einer Eins ebenso wahrscheinlich bzw. letztendlich so häufig ist wie der Wurf einer Sechs oder der einer Drei usw. Probieren Sie es einfach mal aus. Man könnte nun noch weiter mit statistischen Testverfahren ins Detail gehen, wie z. B. mit dem sog. „Chi-Quadrat-Test“, mit dem zu erwartende Häufigkeitsverteilungen untersucht werden, aber mit Rücksicht auf Leser, die weniger an Statistik interessiert sind, soll es an dieser Stelle genug damit sein.
Читать дальше