„Adamos!“
Des Königs sonore Stimme durchquerte den Raum und drang mühelos zu dem Gerufenen vor.
„Ja, hier bin ich.“ Der kobaltblaue Wal mit der auffallenden, silbrig-weiß gemusterten Nasen- und Augenpartie hob fragend den mächtigen Kopf.
„Bitte, komm einen Moment hierher zu mir, Adamos“, rief der König, und der schwergewichtige Wal kam eilig der Aufforderung nach; schließlich ließ man seinen Gebieter nicht warten.
„Stets zu Diensten, Majestät.“ Liebe und Achtung vor der Rechtschaffenheit seines geliebten Königs ließen ihn ehrerbietig das Haupt senken.
„Ich habe einen wichtigen Auftrag für dich“, sagte König Oyster.
„Jederzeit, Majestät.“
„Gut, mein Bester. Also, ich möchte, dass du deinem gesamten Clan Botschaften sendest und sämtliche, heute hier nicht vertretenen Clans benachrichtigst.“
„Selbstverständlich, Majestät. Ihr könnt Euch ganz auf mich verlassen. Ich werde alles zu Eurer vollsten Zufriedenheit erledigen.“
„Fein, dann mach dich auf den Weg.“
Der Wal namens Adamos nickte und schwamm eilig davon.
„Hi, hi, die Luftbläschen kitzeln so schön“, kicherte Marissa, und ihre beiden Freundinnen stimmten fröhlich in ihr Lachen ein. Die drei Paradiesbarben-Mädchen hatten sich zum Spielen zwischen ein üppig bewachsenes Korallenriff zurückgezogen, wo sie ungestört waren.
Alle drei Fischmädchen waren gleich gemustert, jedoch von unterschiedlicher Farbe, bis auf die leuchtend rote, salmiförmige Schwanzflosse, die ein Kennzeichen ihrer Rasse war.
Marissas Gesicht war rosa und zu den herzförmig geschwungenen roten Lippen hin hellblau gefärbt, während Podima ein orangefarbenes, zum Mund hin in ein warmes Gelb übergehendes Gesicht hatte und Xzessas Gesichtsfarben laubgrün und türkisfarben waren.
Die Schwanzflossen der drei farbenprächtigen Fischkinder arbeiteten wie emsige kleine Rotoren, um ihre Körper regungslos in der von ihnen gewünschten Position zu halten. Nur die arme Marissa, durch ihre fehlende Schwanzflossenspitze ein wenig gehandicapt, schwankte ab und an ein wenig hin und her.
„Lasssssst mich mitssssspielen“, zischelte es plötzlich neben Podimas Gesicht, und eine laubgrüne Schlange mit leuchtend gelben Augen wand sich geschmeidig unter einer Wasserpflanze hervor.
„Das geht nicht“, beschied Xzessa die unerwünschte Spielgefährtin.
„Wiesssssso nicht?“, zischelte die Schlange.
„Das liegt doch ganz klar auf der Flosse“, mischte sich Marissa ein. „Du kannst keine so schön kitzelnden Luftbläschen machen wie wir.“
Die grüne Schlange musterte sie schweigend. „Ich heisse Sssumella“, sagte sie um Freundschaft werbend.
„Na und? Was können wir dafür?“, erwiderte Podima kühl.
„Wie heisssst ihr denn?“, versuchte es Sumella erneut.
„Das geht dich nichts an“, giftete Marissa. „Hau endlich ab, du blöde, hässliche Schlange, und störe uns nicht länger.“
Die Schlange zuckte anfangs vor so viel Unfreundlichkeit erschrocken zurück. Doch kurz darauf näherte sie sich erneut. Lange fixierte sie mit ihren schmalen Augen die drei unfreundlichen Barbenmädchen.
„Ihr ssseid sssooo schööön“, zischelte sie endlich. „Eure Farben leuchten ssso wunderbar hell und ssstrahlend wie dasss Ssssonnenlicht am Firmament. Eure äußerliche Schönheit hat mich geblendet. Ich nahm an, euer Charakter sssei ebenssso licht und schön.
Doch ich habe mich getäuscht, denn ihr sseid in eurem Innersten ebensssoo schwarz und ssso bössse wie die Menschenkinder, die andersssartige und andersssfarbige, kränkliche oder auch nur unansssehnlichere Kinder alsss sssie esss sssind vertreiben und nicht an ihren Ssspielen teilhaben lassen.
Ich kann zwar keine Luftblasssen machen“, fuhr sie bitter fort. „Doch dafür besssitze ich andere mannigfaltige Talente. Ihr ssolltet euch für eure Herzlosigkeit schämen“, sagte Sumella und glitt davon.
„Blöde Ziege“, murmelte Marissa. Doch innerlich hatten sie Sumellas Worte schwer getroffen. Sie schämte sich, und ein leises Stimmchen in ihrem Kopf fragte: „ Weshalb lasst ihr nie andere Fisch- oder Schlangenkinder mitspielen, Marissa? Könnte es sein, dass du deshalb zur Strafe deine Schwanzflossenspitze verloren hast?“
Ja, überlegte das Paradiesbarbenmädchen, sollte wirklich meine Unfreundlichkeit Schuld an der Verstümmelung sein? Und ihre Freude am Spiel erlosch.
„Ich habe keine Lust mehr“, rief sie Xzessa und Podima zu. „Ich mache mich auf den Heimweg.“ Und bevor ihre beiden Freundinnen antworten konnten, schwamm sie hastig davon.
In einem stillen Winkel auf dem Meeresgrund, versteckt zwischen Felsen und Pflanzen, Blumen und Korallen, hatten sich sechs äußerliche und charakterlich sehr unterschiedliche Geschöpfe eingefunden.
„Was meint ihr?“, fragte Hannibah, der starke und wendige Alligator. „Wird König Oyster uns und unsere Welt retten? Und was noch wichtiger ist: Wollen wir ihm dabei helfen?“
„Hannibah, schiel nicht schon wieder nach dem Thron. Sei lieber froh darüber, dass wir einen so gütigen Herrscher haben“, rügte die Schildkröte Mora mit sanfter Stimme.
„Pah! Wer will schon den blöden Thron“, blaffte Hannibah. „Aber du kannst einem mit deiner niemals endenden Weisheit und Güte manchmal ganz schön auf die Nerven gehen.“
„Lass Mora zufrieden, du Flegel, sonst bekommst du es mit mir zu tun“, warnte Trukku, der kleine leuchtende Vogelfisch.
„Ich lach mich gleich tot“, kicherte Wada, die weiße Rundkopfschlange, spöttisch. „Du Knirps bist ja kaum so groß wie Hannibahs rechtes Auge.“
„Das ist wohl wahr“, mischte sich Durada, die Armmolchfrau mit den Telleraugen, ein. „Groß ist Trukku nicht, aber du vergisst doch hoffentlich seine giftige Schnabelspitze nicht, oder? Ein winziger Stich nur und du, meine liebe Wada, lästerst niemals wieder.“
Wada zuckte erschrocken zusammen.
„Ja, ja“, murmelte die alte Mora und wiegte bedächtig den faltigen Kopf.
„Ich liebe unseren klugen König“, zirpte Loba, die winzige Schmetterlingsraupe.
„Loba hat ganz recht“, meldete sich die weise Mora zu Wort. „Seht euch doch nur einmal das Durcheinander bei den Menschen an und das, obwohl sie doch auch Könige oder jedenfalls so etwas Ähnliches haben. Wie heißen diese Menschenherrscher doch noch gleich?“, grübelte die Schildkröte angestrengt.
„Die heißen Regierungsbeamte oder Minister oder so ähnlich“, tat sich Wada, die weiße Rundkopfschlange, wichtig. „Und glaubt mir“, fuhr sie fort, „die sind habgierig und nicht besonders nett.“
„Ja, diese Menschen sind seltsame Geschöpfe“, nickte Mora.
„Bin ich froh, liebe Mora, dass ich kein Mensch geworden bin, sondern nur eine winzige Raupe“, zirpte Loba fröhlich.
„Oh ja, meine Kleine. Wie recht du hast.“
„Ach was, Papperlapapp“, schimpfte Hannibah. „Die lassen es sich eben gut gehen. Schließlich ist sich jeder selbst der Nächste. Wenn diese Menschen nicht ständig ihren Dreck und Unrat bei uns abladen würden, hätte ich gar nichts gegen sie.“
„Nicht?! Du bist genau so dumm wie du groß bist, Hannibah“, schimpfte Trukku, der Vogelfisch. Sein gelb und blau gemusterter Hals funkelte vor Erregung, und die unzähligen Leuchtpünktchen auf seinem Gefieder strahlten winzigen Glühbirnen gleich. „Menschen! Pah! Die sind egoistisch und böse. Die denken nur an sich. Andere bedeuten ihnen nichts.“
„Aber nicht alle Menschen sind böse“, warf Durada, der Armmolch mit den Telleraugen, ein.
„Nicht?! Wieso nicht?“, zirpte Loba überrascht.
„Ach, das ist lange her“, murmelte Durada verlegen, als sich fünf Augenpaare plötzlich auf sie richteten und sie unverhofft im Mittelpunkt des Interesses stand.
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