Es ist eine beliebte Methode geworden, zur Polizei zu gehen und zu glauben, dass man danach das Geld für eine schöne Zeit, die man im Nachtclub in Begleitung hübscher Damen erlebt hat, zurück zu bekommen. Immer mehr gewinne ich in letzter Zeit den Eindruck, dass die Polizei mit Äusserungen wie der vorgenannten, diesen Irrglauben unterstützt.
Auch bin ich erstaunt über die Aufforderung des gesprächsführenden Polizeibeamten, das Geld zurück zu geben. Ohne genaue Kenntnis der Situation –die Polizei sagt in diesen Fällen, in denen sie durch Gäste oder durch uns herbeigrufen wird, immer gerne (sgm.) „...wir waren ja nicht dabei...!“- und nur aufgrund der Anhörung der 4 jungen Männer, sichert er hiermit keine Beweise sondern fällt sogleich ein Urteil, er ergreift nämlich Partei für die 4
jungen Männer. Dies sollte nicht Aufgabe der Polizei sein, wird aber leider zunehmende Praxis auf der Reeperbahn.
Den Vorwurf der durch den Polizeibeamten mündlich ausgesprochenen Räuberischen Erpressung weise ich aufgrund der zuvor detailgenau geschilderten Situation deshalb hiermit entschieden zurück, ebenfalls einen eventuellen Vorwurf der Nötigung.
Tatinhalt bei beiden Vergehen wäre die Androhung oder Ausübung von Nachteilen für den Gast, beides hat zu keiner Zeit statt gefunden.
Ich bin konform meiner Beschäftigung als Kellner berechtigt, das Bestellte und Verzehrte in vollem Umfange gemäss den in den Getränkekarten ausgezeichneten Preisen zu kassieren.
Nachdem ich Zeuge des Telefongespräches geworden bin, bin ich unerwartet zudem noch in eine für mich nicht einzuschätzende (Gefahren-) Situation gekommen, weil ich nicht beurteilen kann, wie ich die gehörte Textpassage (Zitat, Auszug): „Egal, der Typ hier hat nix drauf(*)“ zu interpretieren hatte.
Für mich liegt hiermit zumindest die Verabredung zum Zechbetrug vor, womöglich hatte der betreffende Gast auch vor, Gewalt gegen mich anzuwenden, aus diesem Grunde bin ich berechtigt, im Rahmen der Eigensicherung zumindest seine Personalien festzustellen.
Unterschrift Paul König
„Moin Könich!“, begrüsst Hebestreit mich, als er mich im Wachraum der Polizeiwache 1353 abholt.Zuvor hatte ich dem diensthabenden Beamten meinen Personalausweis vorzeigen müssen, um mich zu identifizieren und gesagt, dass ich einen Termin um halb drei bei Kommissar Hebestreit habe. Was denn in dem Päckchen wäre, wollte der Beamte hinter dem Schalter wissen. „Kuchen für meine alte Mutter, da will ich später noch hin!“ hatte ich gesagt und das Einwickelpapier leicht vom Kuchen angehoben. „Ah, Erdbeer, den isst Hebestreit auch gern!“
„Denn komm mal durch, ich geh voraus!“
Warum duzt der mich immer?
Hebstreit ist circa einssiebzig gross, hat eine sportliche Figur ohne wirklich muskulös zu sein. Drahtig wäre das eher zutreffende Wort. Er geht voran, in einem Wiege-Gang, so mit dem ganzen Oberkörper von links nach rechts wiegend. Er trägt Turnschuhe, eine Jeans, darüber einen geringelten Pullover in braun-beige-Tönen, nicht gerade schick. Von hinten über den Pullover von rechts oben nach links unter die Achsel verläuft ein dunkelbraunes, breites Lederband. Der Riemen vom Pistolenholster, das unter seinem Arm hängt.
Wir gehen durch lange Gänge, Flure, Aufzug nach oben, dann sein Dienstzimmer.
Zwei sich gegenüber stehende Schreibtische, darauf Computer-Bildschirme, Akten, Stifte, rechts an der Wand ein mittelhoher Büroschrank. An der Wand hinter seinem Platz hängen ein Paar Fotos von der Polizeischule oder einer Weiterbildung oder irgend so etwas, ich erkenne Hebestreits Gesicht darauf.
„Könich, setzen!“ verweist er auf den Stuhl am Schreibtisch gegenüber seinem.
„Du schreibst ja immer ganze Romane, wenn du mir ne Aussage schickst! Das is ja schön, aber ich will nicht wissen welche Lampe wann und wo in deinem Laden gebrannt hat, sondern die Wahrheit will ich wissen! Und deswegen sind wir ja heute hier!“
Er rückt seine silberfarbene Brille auf der Nase zurecht und schaut mich dann über den Rand derer an.
„Erst mal ein paar Fragen zur Person, Könich – biste bewaffnet?“
„Ich??? Ehh, nee...?“ Ich bin ein wenig erschrocken über diese Frage.
„Aber ich!“, klopft Hebestreit auf sein Schulterholster und lacht schallend.
„Nö, Spass, das wär ja noch schöner, wenn die Kellner dauf dem Kiez auch noch ne Knarre hätten, was?“ er lacht wieder laut auf. „Das könnte euch passen, dann würde jede Rechnung in voller Höhe eingehen, was? Ha, ha!“
Witzig, wirklich! Bin ich hier bei der Schmiere oder im Komödienstadl?
„Womit wir beim Thema wären, Könich,“ fährt Hebestreit fort, „diese Rechnung ist ja wohl nicht eingegangen, was? Ich habe deine Aussage gelesen, aber der Gast sagt, er sei nicht ganz freiwillig mit dir ins Hotel gegangen, du hättest so sinngemäss gesagt: ‚wir können jetzt ins Hotel gehen und Geld holen. Oder – wir können auch in den Keller gehen, gleich hier unterm Laden! Das ist ein ganz alter Gewölbekeller mit dicken Mauern, da hört man die Schreie der Gäste nicht so! Da liegen übrigens noch ein paar aus dem letzten Jahr unten rum, wir müssen mit dem Wegschaffen erstmal warten, bis wieder irgendwo ein Brückenpfeiler gebaut wird! Dann, wenn der Beton noch frisch ist, machen wir das immer am liebsten.’ “ liest er aus seiner Akten mit einem Behörden-roten Deckel vor.
„Das sollst du gesagt haben, Könich, und weisst du was? Das glaube ich dem Gast sogar. Weil woher sollte der sonst wissen, dass euer Keller ein alter Gewölbekeller ist, mit dicken Mauern?“
„Aber Herr Hebestreit“, entgegne ich entrüstet, „unter dem Laden ist doch überhaupt kein Keller!“
„Ja eben, ha, ha!“ lacht mein Gegenüber, „Deswegen hab ich mal überlegt, eure Hütte auf den Kopf zustellen, mit ner Hundertschaft, mal gucken, ob da überhaupt ein Keller is, das würde dich denn ja sogar entlasten, was? Ha, ha, ha!“ Warum lacht der bloss dauernd?
„König, jetzt mal zurück zum Ernst der Sache: wo ist der Erdbeerkuchen? Hol mal zwo Teller da aus dem Schränkchen, müssten noch welche drin sein. Willste nen Kaffee? Könnte dein letzter sein, denn wenn du hierfür verurteilt wirst, gibt’s die nächsten fünf Jahre nur noch schwarzen Tee, ungesüsst! Das war jetzt ne Nötigung zur Aussage, meinerseits.Aber hat ja keiner gehört, was, ha, ha!“
So trinken wir dann gemeinsam einen zugegebenermassen recht guten Kaffee und mapfen den etwas geschmacksneutralen Erdbeerkuchen vom Bäcker um die Ecke in uns rein, er zwei Stücke, ich nur eines, ich wollte es ihm nicht gleich tun, aus psychologischen Gründen. Obwohl – eigentlich habe ich den Kuchen ja selbst bezahlt!
Gegen vier Uhr entlässt mich Hebestreit.
„Ich hab das alles mal mitgeschrieben, Könich, glauben tue ich dir eher nicht, aber das soll der Richter entscheiden. Danke noch für den Kuchen, nächstes Mal bring mal warmen Apfelstrudel mit Sahne, der ist auch sehr lecker!“
Er greift nach hinten in seine Gesässtasche und holt sein Portemonnaie hervor, fischt einen Fünf-Euro-Schein heraus und legt ihn mir hin.
„Nee, lass mal, Mensch, ist gut...!“ sage ich.
„Von wegen Könich, und beim Richter sagst du später, du hättest mir zum Verhör Kuchen mitgebracht. Vorteilsnahme im Amt, Befangenheit, der Fall muss nochmal komplett neu aufgerollt werden und ich werd nach Buxtehude versetzt! Das könnte dir so passen!“ Er lacht wieder laut, steckt mir den Fünfer in die Brusttasche meines Hemdes und sagt zum Abschied: „Besser dich, bis demnächst mal wieder. Dann gibts Apfelstrudel!“.
Dann stehe ich wieder auf der Strasse. Meiner Strasse, die irgendwie nicht mehr meine ist.
Reeperbahn - Mein erster Eindruck
Reeperbahn - Mein erster Eindruck
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