„Was heißt denn traditionell? Sie passt doch da gar nicht rein. Hast du sie schon kennengelernt?“, fragte Inka neugierig.
Lena gab wieder, was Marco ihr gesagt hatte. Dann berichtete sie noch von der Besichtigung und verabschiedete sich. Die beiden Freundinnen wollten am Donnerstag einen schönen Abend zusammen verbringen. Bis dahin würde sich Lena in die Arbeit stürzen.
Der nächste Tag brachte nichts Neues. Lena frühstückte mit Marco und schaute dann, was er im Büro tat. Danach folgte sie ihm in den Weinkeller, wo er die Fässer kontrollierte. Am Mittag gingen sie zusammen essen, aber nicht alleine. Ein Geschäftsmann hatte ihn eingeladen und war über die nette Begleitung sehr erfreut. Als er merkte, dass Lena nicht Marcos Frau war, baggerte er sie die ganze Zeit über an.
Lena fand ihn schmierig und unangenehm. Sie sah Marco hilfesuchend an und der verstand. Er erzählte dem Mann etwas über einen wichtigen Termin und sie fuhren wieder auf das Weingut. Im Auto bedankte sich Lena.
„Mann, war der aufdringlich. Danke, dass du mich gerettet hast.“
„Ich habe gemerkt, wie mies du dich gefühlt hast. So etwas finde ich absolut nicht korrekt. Das war mir selbst unangenehm. Tut mir leid, dass du so blöd behandelt wurdest.“
Lena schaute ihn glücklich an. Marco war ein Mann, der auch noch die Gefühle einer Frau erkannte und respektierte. Wo sollte das enden? Da seine Frau am Abend zurück sein sollte, verabschiedete sich Lena direkt. Sie wollte am nächsten Morgen nach dem Frühstück wiederkommen.
„Warum nach dem Frühstück? Ich fand es heute sehr nett, mit dir den Tag zu beginnen. Muriel isst morgens nie etwas und fährt morgen sicher direkt in die Boutique. Also komm doch bei mir frühstücken, ja?“
Er sah sie so an, dass sie nur noch ja sagen konnte. Danach fuhr sie heim und legte sich auf die Couch. Lena musste nachdenken. Am liebsten hätte sie den Auftrag zurückgegeben, denn sie wusste, dass ihr das hier nicht leicht fallen würde. Sie war drauf und dran, sich in diesen aufregenden und gleichzeitig gefühlvollen Mann zu verlieben. Das konnte nicht gut gehen.
Dann fasste sie Mut und redete sich ein: Diese Frau wird so umwerfend sein und die Liebe zwischen den beiden so deutlich zu erkennen, dass ich nichts Verrücktes tun würde. Ja, so konnte sie das alles überstehen. Sie machte sich etwas zu essen und setzte sich noch ein bisschen an den Computer, um eine Liste mit Fragen zu erstellen.
„Guten Morgen, Lena“, wurde sie freundlich begrüßt.
Marco nahm sie mit ins Esszimmer. Dort stand am Fenster eine blonde Schönheit, die aussah, als wäre sie gerade aus einem Hochglanzmagazin gestiegen. Sie hatte lange, glänzende Haare, die in Wellen über die Schultern fielen. Große, blaue Augen musterten Lena gelangweilt und arrogant. Sie hatte eine sehr gerade kleine Nase, volle, akkurat gemalte Lippen. Ihre Figur war makellos. Es war Muriel, Marcos Frau.
Marco machte die beiden Frauen miteinander bekannt, aber Muriel gab Lena nicht die Hand. Völlig uninteressiert betrachtete sie ihre Fingernägel und nickte nur. Lena setzte sich an den Tisch, wo Marco ihr den Stuhl zurechtrückte. Er winkte seine Frau freundlich zu sich.
„Komm, Schatz, frühstücke doch mit uns. Dann könnt ihr euch noch ein bisschen unterhalten.“
Muriel sah ihn böse an und erwiderte genervt: „Denkst du, ich sehe so aus, weil ich esse? Wenn deine Frau Reporterin etwas wissen will, kann sie mich auch so fragen. Aber ich muss gleich weg. Das kann sie dann an einem anderen Tag machen oder mir die Fragen zuschicken. Sie sitzt ja hier ein halbes Jahr herum.“
Muriel ging dann einfach aus dem Zimmer und Lena sah sie durch das Fenster in dem kleinen weißen Sportwagen vom Hof fahren. Lena war entsetzt und verunsichert.
Dieser wunderbare Mann hatte eine üble Zicke als Frau. Warum um alles in der Welt hatte er so eine geheiratet? War sie mal netter gewesen? Oder war das der Hunger, der die schlechte Laune mit sich brachte? Sie schaute jetzt zu Marco, der Lena beobachtet hatte.
Er sagte leise: „Es tut mir leid, dass sie so blöd zu dir war. Sie ist eigentlich nicht so.“
Marco stand auf und trat ans Fenster.
Dann drehte er sich um und meinte: „Doch, was rede ich denn da? Sie ist immer so. Muriel interessiert sich nur für eins: sich selbst.“
„Aber warum seid ihr dann verheiratet? Liebst du sie denn gar nicht?“
„Liebe? Frag mal nach Liebe. Was ist das? Ich liebe den Wein, meine Arbeit, aber Muriel kann man nicht lieben. Sie ist eiskalt und bösartig. So wie ihre Mutter und ihre Freundin Petra. Die beiden wirst du auch noch kennen lernen. Ich habe meine Eltern, die vor einigen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, sehr geliebt. Sie waren enge Freunde von Muriels Eltern und so hatten sie vereinbart, dass wir einmal heiraten. Geld und ein guter Name zu Ruhm und Ehre. So war das gedacht. Und in einer Familie wie unserer tut man, was die Eltern glücklich macht.“
„Bist DU glücklich? Ist es nicht wichtig, die Frau zu lieben, mit der man das Leben teilt? Sollte dann diese Frau nicht vollkommen dahinterstehen, was ihr Mann tut und ihn unterstützen, so gut es geht?“
Sie sah die Verzweiflung in seinen Augen, als er antwortete: „Ja, eigentlich sollte es genauso sein. So, wie du es im Café gesagt hattest. Der Mann macht guten Wein und die Frau schmeißt den Laden. Meine Frau schmeißt nur mit Geld um sich. Ansonsten interessiert sie sich nicht für mich und das Weingut.“
Lena war aufgestanden und zu ihm ans Fenster getreten. Sie strich einmal vorsichtig über seinen Arm. Das war ja wie im Mittelalter.
„Und bis eben dachte ich wirklich, es wäre eine Idylle. Mit Mann, Frau, Kindern und gemeinsamen Aktivitäten. Warum habt ihr keine Kinder?“
Er lachte böse auf.
„Meine Frau denkt, eine Schwangerschaft würde ihre Figur ruinieren. Darum haben wir keine Kinder.“
„Wie hältst du das alles aus? Man kann doch nicht ohne Liebe leben?“
Er nahm ihre Hand.
„Solche Momente wie dieser hier mit dir, mit einem Menschen, der sich für mich interessiert, die bauen mich wieder auf. Ansonsten leben Muriel und ich aneinander vorbei. Die meiste Zeit verbringe ich sowieso mit Manuel. Er ist auch der einzige Mensch, an dem Muriel interessiert ist, weil ihre Freundin scharf auf ihn ist. Aber Manuel kann die beiden absolut nicht ausstehen.“
Lena entzog ihm ihre Hand. Sie fühlte sich ihm gerade so nah, dass es ihr unheimlich war. Am liebsten hätte sie Marco in den Arm genommen. Er konnte sich doch trennen. Warum lebte er denn mit so einer Frau zusammen? Dann setzten sie sich an den Tisch und frühstückten schweigend.
Lena hatte beschlossen, nach Hause zu fahren. Sie wollte hier weg und schreiben. Das half immer, wenn sie traurig war.
Er sah sie an und fragte: „Aber du kommst doch morgen wieder, ja? Du bist die einzige Person, die mir hier im Moment wichtig ist. Ich finde es sehr angenehm, mit dir Zeit zu verbringen.“
„Ja, ich komme wieder. Nur im Moment muss ich das alles erstmal auf die Reihe kriegen. Ich soll eine romantische Familienidylle beschreiben. Wie soll das denn bitte gehen, ohne zu lügen?“
Er nahm ihre Hand und sah sie nur traurig an. Zum Abschied küsste er sie auf die Stirn.
„Bis morgen, Lena. Ich freue mich auf dich.“
Lena war völlig durcheinander und musste noch einmal im Weinberg anhalten, um ein Stück zu laufen. Marco und seine Frau gingen ihr nicht mehr aus dem Sinn. Sie musste herausfinden, warum die beiden immer noch zusammenlebten. Schliefen sie tatsächlich in einem Bett? Sie konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen.
Sie rieb sich die Stelle an ihrer Stirn, wo seine Lippen sie berührt hatten. Dieser unglückliche Mann tat ihr Leid und ihre Gefühle fuhren Achterbahn Aber konnte sie so ihren Auftrag erledigen? Sie wollte Inka morgen um Rat fragen.
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