1 ...6 7 8 10 11 12 ...46 Der Gehörnte starrte auf seinen nutzlosen Armstumpf. Er brüllte und trieb seine verbliebenen Klingen vorwärts. Die Waffen drohten, die Schwertmeisterin aus drei verschiedenen Richtungen aufzuspießen.
Toshira verwandte die Schrittarbeit der Schwertmeister von Dantyr. So stand sie bereits hinter dem Dreiarmigen und stach in einen Spalt der Rüstung seiner oberen Schulter.
Augenblicklich erschlaffte auch dieser Arm, so dass er seine beiden rechten Hände nicht mehr einsetzen konnte.
Durch ein Abknicken in der Hüfte und zwei kurze schnelle Schritte wehrte sie mit ihrem Schwert die Klingen von zwei weiteren angreifenden Gegnern ab und brachte sich außer deren Reichweite. Toshira wusste, dass sie ihre gesamte Kraft verbraucht hatte. Ihre Arme begannen zu zittern.
Die feindlichen Soldaten bildeten einen Ring um den Vierarmigen. Ohne Zweifel ihr Anführer.
Amaru warf Toshiras Schwert mit großer Wucht auf sie zu. Es gelang ihr gerade noch, auszuweichen. Sie erwischte das Kasan nicht mehr, als sie danach griff. Diese Aktion hätte leicht mit einer Verletzung oder ihrem Tod enden können. Der Zayao war leichtsinnig.
Sie spürte einen Luftzug im Nacken. Mit letzter Kraft warf sie sich zu Boden.
Der Reitpuma des Zayao sprang über sie hinweg und prallte auf einen der Gehörnten. Er begrub einen der Angreifer unter sich, der Toshira bereits gefährlich nahe gekommen war. Raubtierzähne senkten sich in den Helm. Der Gehörnte verschwand unter Zähnen, Klauen und dem massigen Körper des Berglöwen.
Eine weitere Leichtsinnigkeit? Toshira blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie hatte keine Kraft mehr, um aufzustehen. Ihr Blick wanderte zu Ladhar, dem jungen Gelehrten.
Er hatte Chan aus dem Gefechtsbereich gezogen und hievte sie nun auf ihren Nachtjäger.
Ein weiterer Angreifer näherte sich Ladhar und Chan. Toshira stieß einen heiseren Warnruf aus. Es wurde dunkel um sie. Tränen rannen über ihr Gesicht. Wut und Verzweiflung waren das letzte, das sie empfand, bevor ihr Bewusstsein den Kampf gegen die Ohnmacht verlor.
Ladhar zog die Klinge aus Chans Körper. Er warf sie von sich. Klappernd landete das Metall am Boden. Soviel Blut. Wieso musste immer er alles machen? Sollte es dafür nicht Heiler oder so was geben? Er wuchtete Chans Körper mit Mühe auf den Panther, der zum Glück keine Anstalten machte, ihn zu beißen. Er knurrte nicht einmal. War es nicht immer so? Er - der Schreiber - musste natürlich seine Schülerin retten, weil diese nutzlosen Kämpfer da vorne... ihr Leben retteten. Also schön. Nicht ganz nutzlos.
Hatte da jemand gerufen? Als er sich umsah, nahm Ladhar links von sich eine Bewegung wahr.
Oh nein. Einer von diesen gehörnten Burschen. Bei Ceon! Dafür waren die Kämpfer zuständig. Wieso war eigentlich nie einer da, wenn man ausnahmsweise mal einen von ihnen brauchte? Die Waffe, die er aus Chans Körper gezogen hatte, lag am Boden. Sie lag genau zwischen ihm und dem Gehörnten, der langsam näher kam. Ladhar griff panisch in seine Tasche. Das Einzige, das er darin fand, war ein kleines Tintenfass, das er bei seinem überhasteten Aufbruch hineingestopft hatte. Er fragte sich, wieso in aller Welt er sich dieser Unternehmung angeschlossen hatte. Er wusste es besser. Das Mädchen. Sie hatte seine Beschützerinstinkte geweckt. Mehr als das. Es durfte nicht sein. Sie war sein Schützling. Ein Mädchen und noch keine Frau. Er war zweiundzwanzig.
Ein Schatten riss ihn in die Gegenwart zurück. Der Gehörnte holte zum Streich aus.
Ladhar öffnete das Fässchen und schüttete es dem Angreifer ins Gesicht.
Die Feder ist st ärker, als das Schwert. So hatte es Encleus in seinem Werk Betrachtungen geschrieben. Der hatte gut reden. Sicher hatte er eine Straußenfeder und einen Kobold mit einem Zahnstocher als Waffe im Kopf, als er das niederschrieb. Ladhar schloss die Augen und wartete auf sein Ende.
Nach einem Augenblick blinzelte er vorsichtig. Er lebte noch. Und Chan auch. Der Angreifer war dunkel im Gesicht vor Tinte. Ha! Die Tinte ist stärker als das Schwert. Ladhar trat gegen den reglosen Körper seines Angreifers. Ein Pfeilschaft, ragte aus dem Hals des Gehörnten. Die braunhaarige Kämpferin warf gerade ihren Kurzbogen von sich.
Sie zog ihre Kurzschwerter vom Rücken und half, die Angreifer weiter zurückzutreiben.
Also gut, die Tinte war nutzlos. Wäre ja auch zu schön gewesen.
Chans Katze war mit ihrer Fracht bereits losgetrabt. “He, warte! Miez, miez.”
Der Panther sah zurück und wartete. Zögerlich näherte er sich. “Braves Kätzchen”. Er nahm seinen Mut zusammen und schwang sich hinter Chan in den Sattel.
Er würde es sich nie verzeihen, wenn sie seinetwegen starb. Meren würde es ihm nie verzeihen. Die Schwertmeisterin, Toshira, würde ihn in Stücke hacken. Er dachte lieber an das was vor ihm lag. Ein Lazarett. Ein Königreich für ein Lazarett!
Toshira kam zu sich. Wie viel Zeit war vergangen? Sie war immer noch zu schwach, um sich zu bewegen. Sie wartete auf das Ende, als ein Schatten über sie fiel. Sie würde ihrem Gegner in die Augen sehen. Ein Gesicht erschien in ihrem Blickfeld. Es hatte keine Hörner an der Stirn. “Vendira”, hauchte sie und verlor erneut das Bewusstsein.
Vendira blieb nicht länger, als ein Lidschlag Zeit. Die Schwertmeisterin lebte. Sie wandte sich dem nächsten Gegner zu.
Sie hielt ihr rechtes Kurzschwert wie ein Meuchler seinen Dolch: Die Klinge wies schräg nach unten. Sie trat hinten am Hals ihres gehörnten Widersachers wieder aus. Er gab einen gurgelnden Laut von sich und sank nieder. Ihr Schwert steckte in einem Halswirbel fest. Sie ließ los.
Ihr zweites Schwert durchtrennte einem weiteren Gegner eine Kniesehne. Ansatzlos ließ sie den Hieb in einen weiteren Stich übergehen, der einen dritten Gegner fällte. Gerade noch rechtzeitig. Ansonsten hätte diese Höllenkreatur Amaru erreicht und ihm mit einem Hieb von oben den Schädel gespalten. Jetzt fraß sich die Klinge lediglich in den Staub, da ihr Besitzer strauchelte und fiel.
Amaru hatte genug mit zwei Gegnern zu tun, auch wenn diese sich langsam zurückzogen, während sie ihren vielarmigen Anführer schützten.
Mit einer Hechtrolle entging Vendira einem beiläufig geführten Hieb, der auf ihre Fußgelenke gezielt hatte. Ein am Boden liegender Gehörnter hatte sie attackiert.
Als sie mit den Händen voran aufkam, griff sie ihren Kurzbogen, der dort lag. Sie rollte sich ab und nutzte den Schwung, um ohne Hilfe der Arme wieder auf die Füße zu kommen. Währenddessen griff sie über die Schulter in ihren Köcher, legte einen Pfeil auf die Sehne und traf einen weiteren Gegner genau zwischen die Augen. Der Pfeil war für den Anführer bestimmt gewesen. Der Getroffene hatte sich in die Flugbahn geworfen.
Sie zog einen weiteren Pfeil aus dem Köcher. Er verließ die Sehne und traf den Anführer ins Auge...
... Das Geschoss flog weiter, mitten hindurch. Die Angreifer verblassten. Wie war das möglich?
Vendira wischte ihre Kurzschwerter an der Kleidung des Gehörnten ab, der mit ihrem Schwert in der Kehle gestorben war. Er hatte so lange im Todeskampf gezuckt, bis seine Kameraden verblasst waren. Dann hatte er aufgehört, sich zu bewegen — als wenn man einer Marionette die Fäden durchschnitt.
Der zweite Gegner, der nicht entkommen war, lag mit einem ihrer Pfeile im Hals neben dem aufragenden Fels. Dort hatte der Schreiber das Mädchen auf ihren Reitpanther gehievt.
Vendira fragte sich, weshalb diese beiden Angreifer gestorben waren. Vielleicht war auch derjenige mit dem Pfeil zwischen den Augen gestorben. Er war mit den anderen verschwunden.
Vendira tätschelte Barbula, ihrem Reitleoparden, den Hals.
Читать дальше