Luritri nickte Ladhar zu. Er hielt eine Fackel an eine Lunte. Sie brannte ab. Der verwaiste Pferdestall ging in Flammen auf.
Chan hatte fast alle Einwohner des Forts persönlich gekannt. Die Trauer musste warten.
Kurz darauf befanden sich die einzigen neun Überlebenden von Fort Fox auf dem Weg nach Moran. Hinter ihnen stand das Fort in Flammen, das Chan die meiste Zeit ihres Lebens als Heimstatt gedient hatte.
Lediglich Ladhar und der Medicus ritten auf Pferden. Der Rest verfügte über Reitkatzen. Der Orc ritt auf seinem seltsam trippelnden Scargoyle, dem skorpionartigen achtbeinigen Reittier.
Das Wetter war umgeschlagen. Der Schnee, der sich zuvor als dünne weiße Schicht über den Boden gelegt hatte, wich den wärmenden Sonnenstrahlen. Das machte den Boden morastig. Dennoch wurde das Reisen durch die Wärme deutlich angenehmer.
Während einer kurzen Rast hatte Adriël Chan eingeladen, in seinem Ætherschlitten zu reisen. Sie hatte gern angenommen. Auch wenn der Sattel von Navar nicht unbequem war, erschien ihr die Fortbewegung in dem schwankenden Gefährt deutlich angenehmer.
Chan betrachtete ihren ungewöhnlichen Kutscher. Seine dicken Haare, die ihm bis auf die Schultern fielen, bewegten sich träger, als sie sollten. Sie erinnerten an das Grün eines tiefen Bergsees. Noch nie hatte sie eine solche Farbe bei einem anderen Menschen oder einem der Hybriden gesehen. Vielleicht glich das Grün eher der Haut von Laubfröschen. Sie lachte.
“Lachst du etwa über mich?” Adriël wandte sich ihr zu und fing ihren Blick ein. Seine violette Iris zusammen mit der hellblauen Haut hatte etwas faszinierend Fremdartiges.
“Willst du nicht wieder auf den Weg schauen?” fragte sie ihn schließlich.
“Das erledigt Rahriip für mich”, gab der Halb-Lordrianer mit einem Grinsen zurück.
“Du starrst.” Es hatte mehr Anklage in Chans Tonfall gelegen als beabsichtigt.
“Oh.” Adriël sah wieder nach vorne.
Chan schmunzelte.
Adriël nahm das Gespräch wieder auf. “Ich muss zugeben, ich habe nicht allzu viele Menschen mit orangefarbenen Augen gesehen. Verzeih, wenn ich aufdringlich war.”
“Orange, ja?”, Chan geriet aus der Fassung. Was bildete sich der Kerl ein? “Ich habe genauso wenig orange Augen, wie du Flossen hast.”
Adriël lachte. “Sag ich doch.” Er spreizte die Finger seiner freien Hand. Dazwischen erkannte sie dünne Membranen zwischen den ersten Fingergliedern.
“D-du machst Witze”, stotterte sie beunruhigt. “Hast du einen Spiegel?”
“Ich habe gehört, dass die Frauen weiter im Norden ziemlich eitel sein sollen. Aber dies übertrifft meine kühnsten Erwartungen.” Adriël grinste.
Chan erhob sich aufgebracht.
Der Kundschafter erwiderte ihren Blick ernst. Dann prustete er los und bog sich vor Lachen. Er hörte nicht mehr damit auf, bis er sich eine strenge Zurechtweisung von Toshira einfing.
“Verzeihung”, entgegnete er mit reumütigem Blick, “ich wollte das Andenken an die Toten nicht beschmutzen.”
Die Schwertmeisterin nickte. “Es ist für uns alle nicht einfach. Ich mache dir keinen Vorwurf.”
Mit einem Mal war Chan nicht mehr wütend. Er hatte versucht, ein wenig Normalität in ihr Leben zu bringen.
“Du hast mich hochgenommen”, sagte sie. Sie lächelte. “Ich hatte schon die Befürchtung, meine Augen wären wirklich orange.”
“Verzeih mir, entgegnete Adriël ernst, “ich hätte das Spiel gerne weiter getrieben. Deine Augen sind orange. Ich könnte schwören, dass sie es bei unserer ersten Begegnung nicht waren.”
Bei ihrer ersten Begegnung? Er musste die Besprechung meinen. Sie selbst hatte keinen Gedanken an die Augenfarbe des Halb-Lordrianers verschwendet. Zu viel anderes hatte ihre Aufmerksamkeit erfordert. Sie musste vieles verarbeiten. Lügen über ihr bisheriges Leben. Neue Wahrheiten.
War es wirklich erst gestern gewesen?
Sie dachte an ihr Zuhause, das jetzt nur noch verkohltes Holz auf Grundmauern war - vermischt mit der Asche der Toten.
“Toshi, bitte komm mal her.”
Die Schwertmeisterin führte ihren Reitgeparden neben den Ætherschlitten. “Was ist?”
“Schau mir in die Augen”, bat Chan, “was siehst du für eine Farbe?”
Toshira verzog das Gesicht. “Chan, bitte. Ich habe jetzt keine Lust auf solche Spiel...”
Sie brach ab. “Bei allen Sieben. Was zur Hölle ist mit deinen Augen passiert?”
Es gab keine Erklärung. Innerhalb kürzester Zeit wussten es alle der Gefährten. Niemand lachte. Niemand spottete. Selbst Ladhar, der sonst zu allem etwas zu sagen wusste, musste zugeben: “Sicher müsste ich erst die eine oder andere Quelle bemühen, um ganz sicher zu sein. Ich kann mich nicht erinnern, je über etwas Vergleichbares gelesen zu haben.”
Am frühen Abend suchte Araneon einen geeigneten Rastplatz für die Nacht. Er fand eine Senke in einem Waldstück. Lormun und Toshira schlugen zwei Zelte auf. Die Reitkatzen bildeten einen Kreis. Lormun musste seinen Reitscorpiden auf Jagd schicken. Die meisten der Reitparder fühlten sich in seiner Nähe unwohl.
Der Ætherschlitten dümpelte auf dem Rasen vor sich hin. Adriël balancierte seitlich stehend auf dem Rücken des Mandori. Dieser flog zu einem nahen Teich, drehte sich auf den Rücken und plumpste gemeinsam mit Adriël hinein.
Chan wollte hinterher laufen.
Toshi hielt sie zurück. “Bleib bitte in der Nähe des Bannkreises. Mir zuliebe.
Chan nickte. Sie wollte ihr nicht noch mehr zumuten.
“Komm”, sagte sie zu ihrer Ziehmutter, “ich muss dir noch etwas beichten.” Chan führte Toshira etwas abseits, damit sie sich ungestört unterhalten konnten.
“Ich glaube, Coran war auch in diesem Lager. In einem der Pritschenwagen.”
Als Toshira sie verständnislos ansah, erklärte ihr Chan, was sie erlebt hatte, festgeschnallt auf einer Holzpritsche in einem der seltsamen hohen Gefährte.
“Ich hätte ihn befreien können. Ihn suchen müssen. Doch ich war zu feige.”
Sie sah zu Boden. “Ich will nicht, dass du noch einmal zwischen uns entscheiden musst.”
Toshira nahm sie in den Arm. “Kleines”, sie strich Chan über das Haar, “du hast das Richtige getan. Du bist heil zu mir zurückgekehrt. Sollte sich die Möglichkeit ergeben, werde ich Coran suchen. Und wenn er noch lebt, werde ich ihn befreien.”
Toshira legte Chan eine Hand auf die Schulter und blickte ihr fest in die Augen.
“Er würde nicht wollen, dass ich dein Leben gefährde, indem ich ihn jetzt suche. Wenn ich von dir verlangen würde, dich für ihn in Lebensgefahr zu begeben, würde er mir das nie verzeihen.” Die Schwertmeisterin warf mit einer Hand ihren dunklen Zopf auf den Rücken.
“Ich würde mich immer für dich entscheiden. Auch wenn ich solche Situationen hasse. Ich würde nie”, sie hob das Kinn ihrer Ziehtochter an und sah ihr tief in die Augen, “niemals jemanden anders retten, wenn ich dich dafür im Stich lassen müsste. Du bist mein Leben.”
Sie lachte auf. “Glaub mir, die ersten Jahre waren anstrengend. Ich bin keine Mutter. Kleinkinder sind weiß Ceon sehr anstrengend.” Toshiras Blick wanderte in die Ferne.
“Als du sechs, sieben Jahre alt warst, bist du mir mit deiner Fragerei dermaßen lästig geworden. Wenn es mir zu viel wurde, habe ich dich manchmal angeschrien. Zeichensprache ist furchtbar ungeeignet, um Wut herauszulassen.”
Toshira zog eine Grimasse. “Hinterher habe ich mich jedes Mal gehasst.”
Die Schwertmeisterin seufzte.
“Als du mir im Jahr darauf meine Fähigkeit zu sprechen wiedergabst, dachte ich zum ersten Mal nicht mehr daran, wie lange ich noch auf dich aufpassen muss. Seit diesem Tag hoffe ich nur noch, immer an deiner Seite sein zu können.” Sie holte ihren Kriegerzopf wieder nach vorne und strich mit den Fingern daran entlang.
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