Ein Speer flog heran. Yadir schwang seinen Klingenstab und hieb ihn durch. Brachte ihn aus der Flugbahn, so dass er harmlos gegen die Wand prallte.
“Heute werde ich sie retten. Ihr könnt uns nicht trennen!”, schrie der Hüne.
Weiter vorne fielen die Angreifer unter den Klingen des Orcs und der Halbelfe. Schritt für Schritt kämpften sie sich den Weg frei.
Chan musste sich auf die Verfolger konzentrieren. Sie stolperte über einen Dæmon der am Boden lag. Sie fiel.
Dicht über ihr zischte ein Pfeil durch die Luft.
Gl ück gehabt. “Noch fünf Schritt”, rief Vendira über die Schulter, während sie einem der Dæmonen den Arm am Schultergelenk abtrennte. “Wir haben es gleich.” Hinter ihnen hatten sich eilig Bogenschützen formiert. Zehn. Auch Krelynn war wieder auf den Beinen. Er hielt einen Speer.
“Macht Platz”, rief der Elf. “Meine Tochter will nicht bleiben. Sie hat ihr Leben verwirkt.”
“Ach ja”, rief er, als habe er sich erst jetzt einer Tatsache erinnert, “das Schwert, das das Mädchen trägt. Ist das nicht etwas zu groß für ein so junges Ding? Hast du dies hier etwa verloren?” Er hielt ihr Kasanschwert in seiner anderen Hand.
“Deines bringt Unglück. Lass es lieber zurück. Ich habe seinen Besitzer gestern töten müssen.”
Toshira wird mich umbringen. Die Schwerter stammten aus Sang Dei. Unbezahlbare Meisterstücke, auf Maß angefertigt.
Yadir musterte Chan eindringlich. “Mein Mädchen”, raunte er, “du musst leben. Versprich es. Für Arianna.”
Tränen traten in Chans Augen. Sie wollte widersprechen. Sah das Leid in seinen Augen. Er würde alles tun, um seinen Frieden zu finden.
Zehn Bögen. Ein Speer. Ein Klingenstab. Ein Gladiator. Ein Mädchen wie Arianna, das er an diesem Tag beschützen konnte. Kein Eisengitter hinderte ihn.
Ehe Chan nachdenken konnte, gab sie ihm einen Kuss auf die Wange.
“Für Arianna.”
Yadir lächelte.
“Das ist keine Option”, rief er dem Elfen entgegen. Deine Tochter hat sich für einen anderen Weg entschieden.”
Der Elf hob den Speer.
Chan rannte.
Lormun und Vendira sahen halb gebannt, halb entsetzt zu. Die Zeit schien langsamer zu fließen. Staub und Erde spritzten, als sich Chans Fuß vom Boden abdrückte. Ihr anderer Fuß bebte, als er auf Erde traf, abrollte, sie vorantrieb.
Der Speer senkte sich.
Zehn Pfeile.
Der erste Pfeil verfehlte den Hünen.
Der Zweite und Dritte erreichten gleichzeitig ihr Ziel. Fast. Sie wurden vom Klingenstab zerschmettert.
Der Vierte schlug in Yadirs Oberschenkel ein.
Chan rannte. Sie hatte das Ende der Schlucht fast erreicht.
Den fünften Pfeil wehrte Yadir ab.
Der Sechste traf ihn in die Schulter.
Der siebte Pfeil verfehlte den Gladiator knapp, als er den Klingenstab in die andere Hand wechselte.
Der Pfeil flog weiter. Auf Chan zu. Sie hieb das Geschoss im letzten Moment mit ihrem Bastardschwert zur Seite.
Der achte Pfeil traf den Oberarm des ehemaligen Gladiators. Sein Stab fiel zu Boden, aus kraftlosen Fingern.
Der neunte Pfeil durchschlug den Rumpf. Die Spitze trat im Rücken wieder aus.
Yadir fiel auf die Knie. Die Sonne schien. Der Geruch von Steppengras und Jasmin. Die Silhouette einer Frau, die sich vor der Abendsonne abzeichnete. Zara, seine geliebte Zara.
Chan drehte sich ein letztes Mal um. Sie hatte das Ende der Schlucht fast erreicht. Ein am Boden liegender Dæmon griff nach ihrem Fußgelenk.
Sie stürzte.
Der zehnte Pfeil traf Yadir in den Kopf.
Hinter Zara trat eine Gestalt hervor. Die Lichtstrahlen der untergehenden Sonne umspielten ihren K örper, der den Übergang vom Kind zur Frau erkennen ließ.
Arianna. Yadir war heimgekehrt.
Adriël zuckte zusammen, als Luritri die Tür aufstieß. Sie schmetterte mit Wucht gegen die Wand.
Wie eine rächende Kriegsgöttin betrat die Zayao den Raum, den Umhang von schnellen Schritten aufgebauscht. Ihr Gesicht wurde vom flackernden Licht des Kamins beleuchtet. Die Augen lagen in dunklen Höhlen verborgen. Kleine glimmende Punkte darin spiegelten den Schein des Feuers wieder.
“Sie sind weg.”
Die Schwertmeisterin stieß mit gebleckten Reißzähnen den Tisch um. Sie fauchte.
“Wir hätten sie nicht allein gehen lassen dürfen.”
Toshiras Gesicht war kreidebleich. Eine Diskussion entflammte.
Adriël handelte. Er lief. Heraus aus dem Fort. Er ließ das Bild seines Ætherschlittens in seinem Kopf entstehen.
Rahriip, sein Flugrochen, antwortete sofort. Der Mandori zirpte, als Adriël bei ihm eintraf.
Noch war die Spur des Ætherstroms frisch. Ein so gewaltiger Strom blieb oftmals Stunden sichtbar. Selten hatte er ein so starkes Phänomen beobachtet.
Der Ætherschlitten zerteilte den felsigen Untergrund unter seinem bootsförmigen Rumpf wie Wasser. Adriël sandte Rahriip ein Bild der Ætherspur. Der Mandori bestätigte das Bild und suchte sich seinen Weg.
Nach drei Stunden wilder Jagd hatte Adriël das Ende der Ætherspur erreicht. Zumindest konnte er es ausmachen. Vor ihm senkte sich das Gelände ab. Recht steil, aber passierbar. Der Abhang vor ihm zog sich rechter Hand halbmondförmig über eine Strecke von drei Meilen. Ihm gegenüber endete der Wall. Dahinter lag ein kreisförmiges Tal. Er stand zwar höher, aber er konnte den Boden des Tals nicht erkennen. Der optimale Ort für ein Versteck.
Links davon machte er ein riesiges Heereslager aus. Der Mandori, dessen Augen um ein vielfaches schärfer sahen als Adriël, sandte ihm ein Bild. Das Banner eines braunen Totenschädels mit Hörnern auf hellem Grund sprach eine klare Sprache.
Ein weiteres Bild entstand in Adriëls Kopf. Übermittelt durch Rahriip. Vendira und Lormun.
Im Armeelager entstand Bewegung. Es war nur eine halbe Meile von seinen Freunden entfernt. Rahriip war bereits losgeflogen. Adriël musste sich festhalten, so sehr schwankte der Ætherschlitten, als er in vollem Tempo den steilen Abhang hinabglitt. Zusätzlich zog der Mandori daran, als ginge es um sein Leben.
Wo war der Hüne, Yadir? Wo war Chan? Er musste das Mädchen retten. Sie hatte etwas an sich. Sie war mehr, als sie zu sein schien. Sie gefiel ihm. Das sah ihm nicht ähnlich. Sie war einige Jahre jünger. Mädchen in ihrem Alter interessierten ihn nicht mehr. Eigentlich.
Adriël wischte den Gedanken beiseite. Er musste sich konzentrieren. Er wies Rahriip an, einen hochfrequenten Schrei auszusenden, um die Aufmerksamkeit derer, die er retten wollte, auf sich zu lenken.
Vendira nahm ein hohes Zirpen wahr. Sie wandte den Blick in die Richtung, aus der sie das seltsame Geräusch vernommen hatte.
“Was bei Lamasti ist das nun wieder?”, rief Lormun aus.
Vendira fluchte. Sie hatten nicht einmal Zeit, ihren toten Kampfgefährten zu bergen. Rechter Hand befand sich ein riesiges Heereslager. Jemand darin war offensichtlich auf sie aufmerksam geworden. Ebenso jemand vor ihnen.
“Ich kann es nicht genau erkennen”, erwiderte Vendira. “Es sieht aus, wie ein Fisch. Ein Steinbutt. Nur größer. Es fliegt.”
“Vendira”, knurrte der Orc, “Was genau hast du geraucht?”
“Warte”, Vendira hielt inne, hielt angestrengt weiter in die Richtung Ausschau, aus der das Geräusch ertönt war.
“Der Fisch hat Zügel. Er zieht etwas hinter sich her. Eine Art... Boot.”
“Ich hätte dich nicht so lange in der Sonne lassen sollen”, lachte Lormun.
Dann riss er seine Augen auf. “Ja hol mich doch der Scargoyle. Das ist Adriël mit seinem seltsamen Gefährt.”
Chan trat nach der Hand, die ihren Fußknöchel umklammert hielt. Die Gehörnten, die Lormun und Vendira in Stücke gehackt hatten, erhoben sich.
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