Lenning war nicht sehr überrascht. „Das habe ich mir gedacht. Sag mir nur noch, wer Dir wirklich diesen Auftrag erteilt hat. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dies von Alpha kommt.“
John lachte. „Wolf, Du bist ein Fuchs. In der Tat, dieser Auftrag kommt nicht direkt sondern nur indirekt von Alpha.“
„Und wer bekommt die Spesenquittungen?“
„Die bekommt Alpha,“ räumte John ein und versuchte, letzte Zweifel bei Wolf zu zerstreuen. „Weißt Du, Alpha ist überhaupt nicht mehr an erster Stelle seit dem Regierungswechsel. Wir haben unter dem letzten Präsidenten schon Probleme gehabt. Dieser hier traut nur noch seinen eigenen Leuten.“
„Und wer sind die eigenen Leute?“ bohrte Lenning nach.
„Die eigenen Leute sind Bekannte und Freunde aus dem Familienumfeld des Präsidenten.“
„Also kommt der Auftrag vom Präsidenten?“ Lenning war sich nun sicher, das Richtige erraten zu haben.
John zuckte die Schultern „Für mich sieht es jedenfalls so aus, als ob von ganz oben erwartungsvoll auf uns geschaut wird.“
„Wissen die von ganz oben, dass Du, sagen wir einmal, nur noch ,bedingt loyal' bist?“ Lenning schaute gespannt auf John, der die Stirn in Falten, die Mundwinkel leicht zuerst nach unten zog, dann ein Lächeln aufsetzte, das gekünstelt aussah und schließlich Wolf die Hand auf die Schulter legte.
„Wolf, wie kommst Du darauf? Warum denkst Du, ich sei nur noch ,bedingt loyal'?“
Lenning war stehen geblieben und selbst Dax schaute gespannt auf sein Herrchen.
„Weißt Du, John, Du warst immer ein treuer Freund und hast in letzter Zeit gewisse Probleme gehabt. Du hast mich aber nicht daran teilhaben lassen, sondern alles selbst in die Hand genommen. Sag´ ehrlich, stehst Du noch voll dort, wo Du seinerzeit gestanden hast, als wir in Afghanistan waren?“
John schüttelte den Kopf „Genau das ist es, Wolf. Du verstehst es nicht ganz. Im Grunde genommen hat sich nicht viel geändert.“
„Doch, John. Mach´ Dir nichts vor. Inzwischen hat sich wahnsinnig viel geändert. Du kannst davon ausgehen, dass ich nicht bedingungslos dort stehe, wo ich damals gestanden habe und ich habe Dir schon einmal gesagt, dass ich mich damals missbraucht fühlte, wenn ich auf das schaue, was sich inzwischen ereignet hat.“ Lenning hatte lauter gesprochen und in der Nähe hörte man Stimmen.
„Sei jetzt still, Wolf. Wir gehen zurück.“ John wollte umkehren.
„Nein, wir gehen noch ein bisschen dort hinaus in den Schnee. Dort gibt es bestimmt niemanden, der zuhören kann.“
John folgte Lenning und Dax zögernd.
„Vielleicht hast Du recht und ich habe es mir nur nicht eingestehen wollen. Wenn ich aber jetzt die Wahl hätte zwischen Dir bzw. Deiner Meinung und Alpha bzw. der Meinung von „ganz oben“, dann würde ich mich mit Sicherheit für Dich, äh...“ Es entstand eine Pause.
Lenning war wieder stehen geblieben und schaute noch gespannter auf John.
„...dann würde ich mich bestimmt für Dich entscheiden.“
Lenning war gerührt. Er reichte John die Hand.
„So, das nenne ich Freundschaft. Ich würde mich auch eher für Dich entscheiden, als für eine abstrakte Idee von „ganz oben“. Wir müssen zusammenhalten und auf uns kommt es letztlich an, dass die Dinge sich wieder zum Rechten wenden werden.“
Lenning erzählte im Folgenden alle Erlebnisse, die Norbert Jeschke betrafen und John hörte zu, obwohl ihm inzwischen sehr kalt wurde. Sie begaben sich zurück ins Hotel und Lenning öffnete eine Flasche Rotwein, die er zuvor aus dem Auto geholt hatte und die inzwischen die optimale Zimmertemperatur erreicht haben konnte, nachdem sie über eine halbe Stunde auf der Heizung gelegen hatte.
„Komm, John, wir wollen noch ein bisschen erzählen.“
John nahm die Einladung an, nachdem er sich den Schnee von der Jacke geklopft hatte, denn es schneite inzwischen schon ziemlich fest. John erzählte Lenning, dass es ihm sehr großen Nutzen bringen könnte, diese Geschichten weiter an Alpha zu geben und er wollte sich nur versichern, ob Wolf dem zustimmen würde.
Wolf sah ihn fragend an: „Es kann nicht schaden, aber tu es erst, wenn wir zurück sind. Gib´ nichts per Telefon oder sonst wie durch. Warten wir die Entwicklung noch einmal ab.“
„Du hast sicher noch einige Informationen und weißt, warum Du darum bittest.“ meinte John und man verabschiedete sich schließlich, um zu Bett zu gehen.
Lennings Laune sollte bei einem solchen Wetter besser gewesen sein. Was ihn leicht beeinträchtigte, war die laute Musik, die aus dem Lautsprecher direkt über ihm kam. Eingezwängt in eine sehr große Gondel, Ski und Stöcke festhaltend, ohne dass überhaupt eine Chance bestand, umzufallen. Da die Kabine relativ besetzt war, wartete Lenning sehnlichst darauf, dass die großen Türen sich lautlos öffnen würden, und dass die Masse der Skifahrer sich aus der Jumbogondel in den wunderschönen Neuschnee ergießen würde, der letzte Nacht gefallen war. Eine Unterhaltung mit dem neben ihm stehenden John war unmöglich wegen der lauten Musik, die immer noch rhythmisch dröhnte.
Viele Abfahrten gab es hier und alle waren annähernd gleich schön, manche etwas steiler und manche gemütlicher. Obwohl diese „Jumbogondelbahn“ mit einer Fahrt durchweg über 140 Skifahrer bergauf brachte, verliefen sich die Leute jedoch in dem riesigen Areal. Dabei war die Schneequalität sehr gut. Allein die Höhe gewährleistete auch noch gute Schneeverhältnisse im Frühjahr. John kannte diese Abfahrt noch nicht und war fasziniert von dem Ausblick, der sich von der Gondel aus bot.
„Fast wie im Flugzeug“, schrie er Lenning ins Ohr.
Kurz darauf kam die Gondel abrupt in der Bergstation zum Stehen. Endlich oben angekommen, drängten sich die Skifahrer nach der Piste. Wie in solchen Lagen üblich, ist es so, dass die meisten sich zunächst aus der Gondel hinaus begeben, um sich dann irgendwo in der Nähe der Bergstation zu sammeln. So auch hier, wo die Gruppe, bestehend aus Lenning, John, Tom und heute auch Plummy, sich unweit der Bergstation fertig zur Abfahrt machte. Plummy wollte heute versuchen, anstatt wie ursprünglich geplant, im Skikurs systematisch Skifahren zu lernen, mit seinen Freunden zusammen abzufahren.
Lenning war das Gedränge etwas zu dicht und er fuhr ein Stück weiter ab, um dort auf die Freunde zu warten. Bald würden sie ihn da treffen müssen. Lenning hatte sich jedoch offensichtlich verrechnet, denn keiner seiner Freunde kam und er wartete und wartete bis schließlich fast alle Skifahrer abgefahren waren und die nächste Gondel schon in Sicht war.
Lenning war ärgerlich, denn man wollte gerade demnächst in einer Hütte einkehren und bei der Weitläufigkeit des Geländes war es fast ausgeschlossen, darauf zu hoffen, jemanden, der verloren gegangen war, rasch wieder zu finden. Schließlich entschloss sich Lenning zur Talstation der Gondel abzufahren, die eigentlich von der Lage her Mittelstation war, denn dorthin führte wiederum eine Anzahl von Liften. Lenning rechnete nun damit, bei der Station die Freunde zu treffen, denn was lag näher, als die gleiche Fahrt noch einmal zu machen und dann irgendwo die Verlorengegangenen wieder zu finden.
Lenning war überrascht, dass diesmal keine so gewaltige Menge an der Station wartete, sondern die Möglichkeit bestand, sofort durch die Sperre zu der Plattform zu gelangen, um in die schon wartende Gondel einzusteigen. Lenning beeilte sich besonders, denn er wollte einen Fensterplatz erreichen, von wo aus er die Piste überblicken konnte und er hoffte, zumindest auf diesem Wege, die verlorengegangenen Freunde wieder zu finden. Er sah also gespannt nach draußen, konnte jedoch keinen der Gesuchten erspähen. Er schaute nicht lange, dann schlossen sich die Türen und Lenning war noch angenehmer überrascht, als er feststellen konnte, dass nur eine Hand voll Leute in der riesigen Kabine, die vorher noch zum Bersten voll gewesen war, standen. Er versuchte, sich dieses Phänomen zu erklären und sinnierte über die Hütten, die jetzt zur Mittagszeit besonders voll sein mussten... Oder vielleicht war auch der Umstand ursächlich, dass er so schnell abgefahren war und die Masse vielleicht immer zusammen bei der Gondel gleichzeitig eintraf. Er stellte derartige Überlegungen an und musterte die mit ihm anwesenden Personen: Es waren drei junge Männer, offensichtlich Schüler, die mit ihren Snowboards beieinander standen und sich angeregt unterhielten. Ein älteres Paar stand in der Ecke und blickte wortlos staunend hinaus, wo sich der blaue Himmel mit den weißen Bergen zu treffen schien. Und schließlich erblickte er auf der anderen Seite der Gondel vorne rechts von ihm ein Mädchen, das offensichtlich ihn selbst schon eine Weile beobachtet hatte. Ihre Blicke trafen sich und Lenning überlegte, wo er diese Augen schon einmal gesehen hatte. Das Mädchen hatte eine Sonnebrille, die nach oben in die Haare geschoben war, und hatte das Gesicht mit einer sehr stark abdeckenden Sonnencreme eingeschmiert. Der Anzug war modisch hell mit Neonfarbmuster an den Seiten. Die Haarfarbe war dunkles Braun, wahrscheinlich mit Henna eingefärbt.
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