„An der Akademie sieht es auch nicht gut aus“, berichtete Tyrbalt. „Unter der jungen Königin kann ich zwar weiter arbeiten und magische Studien betreiben, aber bei Hofe herrschen Intrigen und Laster wie nie zuvor und die Bevölkerung im ganzen Reich und auch in der Hauptstadt ist völlig verarmt und verroht. Viele fähige Zauberer gibt es nicht mehr.“
„Ist das der Grund deiner Reise?“, fragte Adebar. Er war zwar ein begeisterter und sehr erfolgreicher Student der Zauberkünste gewesen, hatte jedoch nicht geplant, an der Akademie oder bei Hofe zu dienen, weil die Verhältnisse dort schon seit langem unliebsam waren und in diesen Zeiten alle Kräfte zur Weiterführung des elterlichen Landsitzes gebraucht wurden.
„Es ist ein Grund“, sagte der alte Zauberer. „Ich befinde mich tatsächlich auf Wanderschaft, um fähige Gefährten zu finden, mit denen ich den Gefahren dieser Tage etwas entgegensetzen kann. In deinem Fall ist es jedoch etwas besonderes.“
„Worum geht es?“, fragte Adebar.
„Es gibt Anzeichen von deinem verschollenen Bruder“, sagte Tyrbalt. „Darüber sollten wir jedoch vorerst nicht mit deinen anderen Verwandten sprechen.“
„Er ist vor Jahren verschwunden“, sagte Adebar erstaunt. „Was hat es mit diesen Neuigkeiten auf sich?“
Tyrbalt lehnte sich schwermütig zurück und nahm einen großen Schluck aus seinem Bierkrug. Er schwieg eine Zeit lang und blickte in eine unbestimmte Ferne, bevor er weiter sprach.
„Die Anschläge der letzten Jahre auf das Königshaus“, erklärte er, „scheinen auf eine unbekannte Macht aus dem Wüsten Land zurückzugehen. Ich haben Untersuchungen darüber angestellt und tatsächlich eine Quelle von unglaublicher und unheimlicher Macht aufgespürt. Ein mächtiger Schwarzmagier namens Alazar treibt von dort aus sein böses Spiel und seine dunkle Macht scheint von Tag zu Tag weiter zu wachsen. Im Zuge seiner finsteren Bestrebungen hat er die alten Unwesen und große Teile des Wilden Volkes für seine Machenschaften eingespannt. Auch die Füchse und die Hirsche und andere Hybridwesen stehen unter seinem Einfluss. So kam es zu den vielen Untaten und auch Entführungen durch sie in den letzten Jahren.“
„Dann ist Andron also wirklich von den Füchsen verschleppt worden“, sagte Adebar. „Und er ist am Leben? Es gibt plötzlich Zeichen von ihm?“
„So ist es“, sagte Tyrbalt. „Die Füchse haben ihn jedoch nicht bloß, wie frühere Vermutungen über derartige Geschehnisse besagen, als Sklaven gefangen, um ihn auszubeuten und sich an ihm zu belustigen oder ähnliches. Genaueres weiß ich noch nicht. Aber letztlich dürfte er nach Osten in das Wüste Land zu Alazar gelangt sein, der ihn als Werkzeug für seine dunklen Ziele benutzt.“
„In diesem Fall hast du einen Gefährten für deine Wanderschaft gefunden“, sagte Adebar entschlossen.
Am nächsten Morgen verließen Tyrbalt und Adebar den Landsitz. Sie verabschiedeten sich herzlich von den Eltern Ascolan und Adele, von den Geschwistern Adama und Alena und vom Hofpersonal. Von den geheimen Vermutungen und Plänen Tyrbalts durften sie der Familie nichts sagen, um sie nicht in größere Gefahr zu bringen und damit die Nachrichten nicht über Dritte an die Falschen und womöglich an den größten Feind geraten konnten. Den überstürzt wirkenden Aufbruch und den Abschied von Adebar auf unbestimmte Zeit konnte man nur schwer verstehen und verkraften. Der junge Zauberer sagte jedoch, dass er einfach Abenteuerlust verspüre sowie den Drang, in diesen schweren Zeiten an der Seite von Tyrbalt mehr für das Reich und die Menschen zu bewirken, als zu Hause möglich war. Mit Proviant und den besten Wünschen der Familie ausgestattet begaben die beiden sich auf die Landstraße, die sie zunächst wieder in die Hauptstadt Atlantium führen sollte, bevor sie weiteres über die bedrohliche Lage und das Wirken des Feindes aus dem Wüsten Land herausfinden mochten.
5. Kapitel: Bei den Füchsen
Zwei Füchse hatten wir bereits erlegt, als sie plötzlich von Überall wie aus dem Nichts auftauchten. Meine Jagdgefährten waren nirgends mehr zu sehen, als die Wilden von allen Seiten auf mich zu schnellten und zu sprangen. Ich sah ihre schlanken, muskulösen Körper und ihre wilden, roten Gesichter um mich herum wirbeln und dann spürte ich einen harten und schmerzhaften Schlag auf dem Hinterkopf und verlor das Bewusstsein.
Als ich wieder erwachte, war es um mich herum stockdunkel. Zuerst fühlte ich die Schmerzen von dem Schlag im Nacken. Dann bemerkte ich, dass ich an Armen und Beinen gefesselt und an einem Baumstamm oder Pfahl oder etwas ähnlichem angebunden war. Nachdem ich wohl erneut eingeschlafen war, näherte sich mir irgendwann eine grelle, heiße Flamme. Etwas stieß mir in die Rippen und ich erkannte, dass ein Wilder mit einer Fackel und einem Holzstab vor mir stand.
Der Fuchs gab unverständliche kehlige und zischende Laute von sich und schien mich von oben bis unten zu begutachten, wobei er mich mit dem blendenden Licht der Fackel beleuchtete und mich immer wieder grob mit seinem Stab anstieß, als nehme er eine genaue Untersuchung vor. Dann verschwand er wieder und ich schlief erneut vor Erschöpfung ein.
Später fiel von irgendwo ein leichter, flackernder Lichtschein auf den Ort meiner Gefangenschaft und ich erkannte, dass ich mich in einem kleinen, niedrigen Höhlenraum befand, dessen Wände aus dunklem Gestein und fester, schwarzer Erde bestanden. Bald kamen mehrere Füchse, um ihre Beute zu betrachten, und stießen mich ebenfalls mit Stöcken und Lanzen an. Zum Teil fügten sie mir damit Stiche und kleinere Fleischwunden zu, was die Wilden weiter anstachelte und zu einem widerlichen Kichern und Glucksen anregte.
An Flucht war wohl kaum zu denken, doch zu meiner Überraschung banden die Füchse mich irgendwann los und führten mich in einen anderen, größeren Höhlenraum, in dessen Mitte sie ein Lagerfeuer errichtet hatten. Sie geboten mir mit groben Gesten und kehligen Lauten, mich niederzulassen, und schließlich gaben sie mir ein paar bittere braune Wurzeln zu essen und etwas Wasser zu trinken.
Nun durfte ich mich weitgehend frei in ihren Höhlengewölben und finsteren Gängen bewegen. Wenn ich jedoch an bestimmte Stellen kam, die vielleicht zu geheimen Räumen der Horde oder zu einem Ausgang führen mochten, dann erschien ein Fuchs und stieß mich brutal nieder, fauchte mich wild an und verwies mich auf die begrenzten Bereiche zurück, in denen ich mich aufhalten konnte.
Mit der Zeit lernte ich, wo ich mich bewegen durfte und welche Bereiche der Höhle mir verwehrt waren. Ich suchte mir einen Schlafplatz, den ich mit etwas weichem Gestrüpp auslegte, das ich in den Gängen gefunden hatte. Ähnlich schienen es auch die Wilden mit ihren Schlafplätzen zu halten, die keine gesonderten Privatbereiche kannten und sich lediglich in kleinen Gruppen auf Lagerstätten zusammen fanden, die so etwas wie Partnerschaften oder Familienverbände darstellen mochten. Zu bestimmten Zeiten versammelten sich die Füchse um ihr Lagerfeuer und es gab etwas zu essen, sodass ich mich daran orientierte und mich zu ihnen gesellte, um nicht zu verhungern und zu verdursten.
Außer gewissen Mahlzeiten und Schlafphasen, die jedoch nicht sehr regelmäßig vonstatten gingen, hatte ich keine Orientierung darüber, wann draußen Tag oder Nacht sein mochte. Und somit wusste ich auch nicht, wie lange ich bereits in dem Fuchsbau verbracht hatte, als ich schließlich die Gesichter der rund dreißig Füchse dieses Stammes unterscheiden konnte und über einige Gesten und Laute hinaus begann, die Sprache des Wilden Volkes zu erlernen. Ich nahm an ihren kargen Mahlzeiten und Versammlungen um das Lagerfeuer teil ebenso wie an ihren spielerischen Stockkämpfen und den wenigen weiteren primitiven Aktivitäten zum Zeitvertreib in der tristen Höhle. Ich wurde langsam zu einem Mitglied jenes Volkes, dessen glänzendes rotes Fell ich als kleiner Junge nur in ausgestopfter Form oder zu Mänteln des Hochadels verarbeitet gesehen hatte.
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