1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 zu hören. Die Zeitungen repräsentieren eine bedeutende Macht. Vielleicht wäre es mir möglich, mich
seiner in einem Artikel anzunehmen. Wie schade, daß Ihnen diese interessante Geschichte nur unter dem
Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt worden ist!«
Ihre Wangen röteten sich. Sie zog ein nicht ganz reines Taschentuch, um es im Falle des Bedürfnisses
sofort bei der Hand zu haben, und sagte:
»Was diese Diskretion betrifft, Sir, so fühle ich mich jetzt nicht mehr zu ihr verpflichtet, da die Herren
abgereist sind. Ich weiß, daß man das Zeitungswesen eine Großmacht nennt, und würde ganz glücklich
sein, wenn Sie dem armen Dichter zu seinem Rechte helfen könnten.«
»Was in meinen Kräften steht, soll ja ganz gern geschehen; nur müßte ich von den betreffenden
Verhältnissen unterrichtet sein.«
Ich muß gestehen, daß es mir Mühe kostete, meine Aufregung zu verbergen.
»Das werden Sie, denn mein Herz gebietet mir, Ihnen alles mitzuteilen. Es handelt sich nämlich um eine
ebenso treue, wie unglückliche Liebe.«
»Das habe ich mir gedacht, denn eine unglückliche Liebe ist das größte, herzzerreißendste,
überwältigendste Leiden, welches ich kenne.«
Natürlich hatte ich von Liebe noch nicht die blasse Ahnung.
»Wie sympathisch Sie mir mit diesem Ausspruche sind, Sir! Haben auch Sie dieses Leiden empfunden?«
»Noch nicht.«
»So sind Sie ein glücklicher Mann. Ich habe es ausgekostet bis fast zum Sterben. Meine Mutter war eine
Mulattin. Ich verlobte mich mit dem Sohne eines französischen Pflanzers, also mit einem Kreolen. Unser
Glück wurde zerrissen, weil der Vater meines Bräutigams keine Coloured-Lady in seine Familie
aufnehmen wollte. Wie sehr muß ich also mit dem bedauernswerten Dichter sympathisieren, da er aus
demselben Grunde unglücklich werden soll!«
»So liebt er eine Farbige?«
»Ja, eine Mulattin. Der Vater hat ihm diese Liebe verboten und sich schlauerweise in den Besitz eines
Reverses gesetzt, in welchem die Dame unterschrieben hat, daß sie auf das Glück der Vereinigung mit
William Ohlert verzichte.«
»Welch ein Rabenvater!« rief ich erbittert aus, was mir einen wohlwollenden Blick von der Dame eintrug.
Sie nahm sich das, was Gibson ihr weisgemacht hatte, mächtig zu Herzen. Gewiß hatte die sprachselige
Lady ihm von ihrer einstigen unglücklichen Liebe erzählt, und er war mit einem Märchen bereit gewesen,
durch welches es ihm gelang, ihr Mitgefühl zu erregen und die Plötzlichkeit seiner Abreise zu erklären.
Die Mitteilung, daß er sich jetzt Clinton nenne, war mir natürlich von der größten Wichtigkeit.
»Ja, ein wahrer Rabenvater!« stimmte sie bei. »William aber hat ihr seine Treue bewahrt und ist mit ihr
bis hierher entflohen, wo er sie in Pension gegeben hat.«
»So kann ich doch noch nicht ersehen, warum er New Orleans verlassen hat.«
»Weil sein Verfolger hier angekommen ist.«
»Der Vater läßt ihn verfolgen?«
»Ja, durch einen Deutschen. O, diese Deutschen! Ich hasse sie. Man nennt sie das Volk der Denker, aber
lieben können sie nicht. Dieser erbärmliche Deutsche hat sie, mit einem Reverse in der Hand, von Stadt
zu Stadt bis hierher gejagt. (Ich mußte innerlich lachen über die Entrüstung der Dame gegen einen Herrn,
mit dem sie soeben recht gemütlich verkehrte.) Er ist nämlich Polizist. Er soll William ergreifen und nach
New York zurückbringen.«
»Hat der Sekretär Ihnen diesen Wüterich beschrieben?« fragte ich, gespannt auf weitere Mitteilungen
über mich selbst.
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»Sehr genau, da ja anzunehmen ist, daß dieser Barbar die Wohnung Williams entdecken und zu mir
kommen wird. Aber ich werde ihn empfangen! Ich habe mir schon jedes Wort überlegt, welches ich zu
ihm sagen werde. Er soll nicht erfahren, wohin sich William gewendet hat. Ich werde ihn grad nach der
entgegengesetzten Richtung schicken.«
Sie beschrieb nun diesen ›Barbaren‹ und nannte auch seinen Namen - - es war der meinige, und die
Beschreibung stimmte sehr gut, wenn sie auch in einer für mich sehr wenig schmeichelhaften Weise
vorgetragen wurde.
»Ich erwarte ihn jeden Augenblick,« fuhr sie fort. »Als Sie mir gemeldet wurden, glaubte ich, er sei es
bereits. Aber ich hatte mich glücklicherweise getäuscht. Sie sind nicht dieser Verfolger der Liebenden,
dieser Räuber süßesten Glückes, dieser Abgrund von Unrecht und Verrat. Ihren treuherzigen Augen sieht
man es an, daß Sie in Ihrer Zeitung einen Artikel bringen werden, um den Deutschen niederzuschmettern
und die von ihm Gejagten in Schutz zu nehmen.«
»Wenn ich das tun soll, was ich allerdings sehr gern möchte, so ist es freilich notwendig, zu erfahren, wo
William Ohlert sich befindet. Ich muß ihm jedenfalls schreiben. Hoffentlich sind Sie über seinen
gegenwärtigen Aufenthalt unterrichtet?«
»Wohin er gereist ist, das weiß ich allerdings; aber ich kann nicht sagen, ob er sich noch dort befinden
wird, wenn Ihr Brief ankommt. Diesen Deutschen hätte ich nach dem Nordwesten geschickt. Ihnen aber
sage ich, daß er nach dem Süden ist, ins Texas. Er beabsichtigte, nach Mexiko zu gehen und in Veracruz
zu landen. Aber es war kein Schiff zu haben, das sofort die Anker lichtete. Die Gefahr drängte zur
größten Eile, und so fuhr er mit dem ›Delphin‹, welcher nach Quintana bestimmt war.«
»Wissen Sie das genau?«
»Ganz sicher. Er hatte sich zu beeilen. Es gab grad noch Zeit, das Gepäck an Bord zu bringen. Mein
Portier hat das besorgt und ist an Deck gewesen. Dort sprach er mit den Matrosen und erfuhr, daß der
›Delphin‹ wirklich nur bis Quintana gehen, vorher aber noch in Galveston anlegen werde. Mit diesem
Dampfer ist Master Ohlert wirklich fort, denn mein Portier hat gewartet, bis das Schiff abfuhr.«
»Und sein Sekretär und die Miß sind auch mitgereist?«
»Natürlich. Der Portier hat die Dame indessen nicht gesehen, da sie sich nach der Damenkajüte
zurückgezogen hatte. Er hat auch gar nicht nach ihr gefragt, denn meine Bediensteten sind gewöhnt, im
höchsten Grade diskret und rücksichtsvoll zu sein; aber es versteht sich doch ganz von selbst, daß
William nicht seine Braut zurücklassen und der Gefahr aussetzen wird, von dem deutschen Wüterich
ergriffen zu werden. Ich freue mich eigentlich auf seine Ankunft bei mir. Es wird eine sehr interessante
Szene geben. Zunächst werde ich versuchen, sein Herz zu rühren, und dann, wenn dieses mir nicht
gelingt, so werde ich ihm meine Donnerworte in das Gesicht schleudern und in einer Weise mit ihm
sprechen, daß er sich unter meiner Verachtung förmlich krümmen muß.«
Die gute Frau befand sich in wirklicher Aufregung. Sie hatte sich die Angelegenheit sehr zu Herzen
genommen. Jetzt war sie von ihrem Sessel aufgestanden, ballte die kleinen, fleischigen Fäuste gegen die
Türe und rief drohend:
»Ja, komme nur, komme nur, du diabolischer Dutchmani Meine Blicke sollen dich durchbohren und
meine Worte dich zerschmettern!«
Ich hatte nun genug gehört und konnte gehen. Ein anderer hätte das auch getan und die Dame einfach in
ihrem Irrtum gelassen. Ich aber sagte mir, es sei meine Pflicht, sie aufzuklären. Sie sollte nicht länger
einen Schurken für einen ehrlichen Menschen halten. Ein Vorteil erwuchs mir aus dieser Offenherzigkeit
gar nicht. Ich sagte also:
»Ich glaube nicht, daß Sie Gelegenheit haben werden, ihm Ihre Blicke und Worte in so zerschmetternder
Weise entgegen zu werfen.«
»Warum?«
»Weil er die Sache wohl ganz anders anfangen wird, als Sie meinen. Auch wird es Ihnen nicht gelingen,
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