Conductor besorgt. »Und wir paar Mann vom Steamer können gegen eine solche Übermacht nichts tun.«
Der Kapitän blickte sinnend vor sich nieder. Dann zuckte es lustig über sein gutmütiges Gesicht, als ob er
einen vortrefflichen Einfall habe, und er wendete sich zu uns:
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»Ich werde diesen Sezessionisten einen Streich spielen, an den sie noch lange denken sollen. Ihr müßt
euch aber genau so verhalten, wie ich es von euch verlange. Macht vor allen Dingen keinen Gebrauch von
der Waffe. Steckt eure Büchsen da unter die Bank zu den Sätteln. Gegenwehr würde die Sache
verschlimmern.«
» All devils! Sollen wir uns ruhig lynchen lassen, Master?« rief Old Death verdrießlich.
»Nein. Haltet euch an passive Gegenwehr! Im richtigen Augenblicke wird mein Mittel wirken. Wir
wollen diese Halunken durch ein Bad abkühlen. Verlaßt euch auf mich! Habe keine Zeit zur Explikation.
Die Kerle nahen schon.«
Wirklich kam grad jetzt die Rotte aus der Restauration gestiegen. Der Kapitän wendete sich schnell von
uns ab und erteilte dem Conductor einige leise Befehle. Dieser eilte zum Steuermanne, bei welchem die
zwei zum Boote gehörigen Deckhands standen. Kurze Zeit später sah ich ihn beschäftigt, den ruhigeren
Passagieren heimliche Weisungen zuzuflüstern, konnte aber nicht weiter auf ihn achten, da ich mit Old
Death von den Sezessionisten in Anspruch genommen wurde. Nur so viel bemerkte ich im Verlaufe der
nächsten zehn Minuten, daß die erwähnten friedlichen Reisenden sich möglichst eng am Vorderdeck
zusammenzogen.
Kaum hatten die betrunkenen Sezessionisten die Restauration verlassen, so waren wir beide von ihnen
umringt. Wir hatten nach der Weisung des Kapitäns die Gewehre weggelegt.
»Das ist er!« rief der Sprecher von gestern, indem er auf mich deutete. »Ein Spion der Nordstaaten, die es
mit Juarez halten. Gestern noch ging er als feiner Gentleman gekleidet; heute hat er einen Trapperanzug
angelegt. Warum verkleidet er sich? Meinen Hund hat er mir getötet, und beide haben uns mit ihren
Revolvern bedroht.«
»Ein Spion ist er, ja, ein Spion!« riefen die andern wirr durcheinander. »Das beweist die Verkleidung.
Und er ist ein Deutscher. Bildet eine Jury! Er muß am Halse baumeln! Nieder mit den Nordstaaten, mit
den Yankees und ihren Geschöpfen!«
»Was treibt ihr da unten, Gentlemen?« rief in diesem Augenblicke der Kapitän von oben herab. »Ich will
Ruhe und auch Ordnung an Bord. Laßt die Passagiere ungeschoren!«
»Schweigt, Sir!« brüllte einer aus der Rotte hinauf. »Auch wir wollen Ordnung, und wir werden sie uns
jetzt verschaffen. Gehört es zu Euren Obliegenheiten, Spione an Bord zu nehmen?«
»Es gehört zu meinen Obliegenheiten, Leute zu befördern, welche die Passage bezahlen. Kommen Führer
der Sezessionisten zu mir, so sollen sie mitfahren dürfen, vorausgesetzt, daß sie zahlen und anständig
sind. Das ist meine Loyalität. Und wenn ihr mir mit der eurigen das Geschäft verderbt, so setze ich euch
ans Ufer und ihr mögt zu Lande nach Austin schwimmen.«
Ein höhnisches, wieherndes Gelächter antwortete ihm. Man drängte Old Death und mich so eng
zusammen, daß wir uns nicht rühren konnten. Wir protestierten natürlich, doch wurden unsere Worte
durch das fast tierische Geschrei dieser rohen Bande verschlungen. Man stieß uns vom ersten Platze fort,
hinaus, bis an die rauchende Esse, an welcher wir aufgeknüpft werden sollten. Dieselbe war oben mit
eisernen Ösen versehen, durch welche Taue liefen, also eine wunderbar schöne und praktische
Vorrichtung, um jemanden aufzuhängen. Man brauchte die Taue nur schlaff zu lassen und uns mit der
empfindlichen Gegend des Halses an dieselben zu befestigen, um uns dann gemächlich emporzuhissen.
Hier also wurde ein Kreis um und ein Gerichtshof über uns gebildet. Das letztere war eine reine
Lächerlichkeit. Ich glaube, die Schufte sind gar nicht dazu gekommen, sich zu fragen, warum wir gar
nicht Miene machten, uns zur Wehr zu setzen; sie sahen doch, daß wir im Besitz von Messern und
Revolvern waren, uns derselben aber nicht bedienten. Das mußte doch einen Grund haben.
Old Death mußte sich gewaltige Mühe geben, ruhig zu erscheinen. Seine Hand zuckte öfters nach dem
Gürtel; aber sobald dann sein Blick nach dem Kapitän flog, winkte dieser verstohlen ab.
»Na,« meinte er zu mir, und zwar deutsch, um nicht verstanden zu werden, »ich will mich noch fügen.
Aber wenn sie mir es zu toll treiben, so haben sie in einer einzigen Minute unsere vierundzwanzig Kugeln
im Leibe. Schießt nur gleich, wenn ich anfange!«
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»Hört ihr es!« rief der ofterwähnte Rowdy. »Sie reden deutsch. Es ist also erwiesen, daß sie verdammte
Dutchmen sind und zu den Schuften gehören, welche den Südstaaten am meisten zusetzen. Was wollen
sie hier in Texas? Sie sind Spione und Verräter. Machen wir es kurz mit ihnen!«
Seinem Vorschlage wurde brüllend beigestimmt. Der Kapitän rief ihnen eine strenge Mahnung zu, wurde
aber wieder ausgelacht. Dann warf man die Frage auf, ob man nun den Indianer prozessieren oder uns
vorher hängen solle, und man entschied sich für das erstere. Der Vorsitzende schickte zwei Männer ab,
den Roten herbeizuholen.
Da wir rundum von Menschen umgeben waren, konnten wir Winnetou nicht sehen. Wir hörten einen
lauten Schrei. Winnetou hatte einen der Abgesandten niedergeschlagen und den andern über Bord
geschleudert. Dann war er in die aus Eisenblech gefertigte Kabine des Conductors geschlüpft, welche sich
am Radkasten befand. Diese hatte ein kleines Fensterchen, durch welches jetzt die Mündung seiner
Doppelbüchse schaute. Natürlich erregte der Vorfall einen fürchterlichen Lärm. Alles rannte an die
Schiffsbrüstung, und man schrie dem Kapitän zu, einen Mann ins Boot zu senden, um den in das Wasser
Expedierten aufzufischen. Er kam diesem Rufe nach und gab einem der Deckhands einen Wink. Der
Mann sprang in das am Hinterteile befestigte Boot, löste das Tau, an welchem es gehalten wurde, und
ruderte nach dem Betreffenden, welcher glücklicherweise ein wenig schwimmen konnte und sich alle
Mühe gab, über Wasser zu bleiben.
Ich stand mit Old Death allein. Von Hängen war einstweilen keine Rede mehr. Wir sahen die Augen des
Steuermanns und der übrigen Schiffsleute auf den Kapitän gerichtet, welcher uns näher winkte und mit
unterdrückter Stimme sagte:
»Paßt auf, Mesch'schurs! jetzt geh ich ihnen das Bad. Bleibt nur ruhig an Bord, es mag geschehen, was da
wolle. Macht aber so viel Lärm wie möglich!«
Er hatte stoppen lassen, und das Schiff wurde langsam abwärts getrieben, dem rechten Ufer zu. Dort gab
es eine Stelle, über welche sich das Wasser brach, eine seichte Bank. Der Fluß war von da bis zum Ufer
überhaupt nicht tief. Ein Wink vom Kapitän - der Steuermann nickte lächelnd und ließ das Boot gerade
gegen die Bank treiben. Ein kurzes Knirschen unter uns, ein Stoß, daß alle taumelten, viele aber
niederstürzten -wir saßen fest. Das lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit vom Kahne auf das Schiff. Die
ruhigen Passagiere waren alle vom Conductor unterrichtet worden, schrieen aber laut Verabredung, als ob
sie die höchste Todesangst auszustehen hätten. Die andern, welche an einen wirklichen Unfall glaubten,
stimmten natürlich mit ein. Da tauchte einer der Deckhands hinten auf, kam scheinbar voller Entsetzen
zum Kapitän gerannt und schrie:
»Wasser im Raume, Capt'n! Das Riff hat den Kiel mitten entzwei geschnitten. In zwei Minuten sinkt das
Schiff.«
»Dann sind wir verloren!« rief der Kapitän. »Rette sich, wer kann! Das Wasser ist seicht bis zum Ufer.
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