Beim Betreten des Schlafraumes fällt mein Blick auf das zerwühlte Doppelbett. Die Benutzung beider Betten erklärt Peter damit, Pauliano habe darauf bestanden, Nicola als Aufpasser bei ihm einzuquartieren. „Liebling, du schläfst in meinem Bett und ich leg mich auf Nicolas Seite. Morgen werden die Betten frisch bezogen. Ich hoffe, du bist für eine Nacht mit dieser Lösung einverstanden. Ich will das Personal nicht unnötig auf unsere brenzelige Situation aufmerksam machen.“
(Er hat es nicht einmal für nötig gehalten, die Spuren der vergangenen Tage und Nächte zu beseitigen. Das Liebesnest, noch warm von der Benutzung mit anderen Frauen ist nun frei für mich. Bei dem Gedanken wird mir heute noch übel.)
Peter schenkt mir nachträglich zu meinem Geburtstag ein dunkelblaues,viel zu großes, entsetzlich kratzendes Twinset. Ich tausche es um. Eine Ansichtskarte, die einen wunderschönem Sonnenuntergang zeigt, der einen Augenblick unserer großen Liebe verdeutlichen soll, trägt den Hinweis, dass noch immer das große Geschenk in der Hamburger Goldschmiede auf mich, seine große Liebe warte. Ich spiele die Hocherfreute, obwohl ich seine Geste als lieblos und unpersönlich empfinde.
(Ich verleugne mich, darauf bedacht, dass es ihm gut geht. Ich verleugne mich, den Menschen, der über 60 Jahre aufrecht und ehrlich durchs Leben gegangen ist. Mich, meine Persönlichkeit, das was mich ausmacht, lösche ich aus, ohne Rückgrat, abhängig von seiner Zuwendungen. Ich bin Wachs in seinen Händen. Warum gehe ich in klaren Momenten, oh ja, die habe ich tatsächlich manchmal, nicht zur Polizei? Jetzt kann ich mir die erstaunten, fragenden Blicke, das wissende Lächeln einiger Frauen erklären, denen wir in den nächsten Tagen begegnen.)
Das Hotel verlässt er jeden Morgen pünktlich um 10:00 Uhr. Mit einem bereit stehenden Taxi macht er sich auf den Weg, den Stoff entgegenzunehmen, um ihn anschließend auf der Insel zu verteilen. Meine Anwesenheit enthebt ihn nicht seiner „Pflichten“!
(Von einem Bett ins nächste.)
Ich gehe alleine zum Strand, unternehme lange Spaziergänge, immer begleitet von den Sorgen um ihn.Von Erholung kann keine Rede sein. Pünktlich um 15:00 Uhr trifft er völlig erschöpft an meinem Strandkorb, unserem Verabredungspunkt ein. An einem der nächsten Tage wird er von Pauliano gnädigst seiner Aufgaben enthoben.
(Sicherlich ist die Dame, die es hieß zufrieden zu stellen abgereist und er muss sich erst nach neuen Opfern umsehen.)
Seine Enthaltsamkeit bei mir erklärt er mit seiner großen Anspannung, der Angst und Anstrengung beim Dealen.
(Dabei steht er an anderen Stellen seinen Mann. Der Gedanke, dass er auf diese Art und Weise die Kosten unseres Syltaufenthalt bestreitet, unser Essen bezahlt, erfüllt mich mit Ekel. Ich glaubte bisher, so etwas gibt es nur in Filmen und Büchern. Das ich mit einem Callboy lebe, von ihm für seine Zwecke benutzt und ausgenommen werde, würde ich in meinen kühnsten Träumen nicht zu träumen wagen. Ich bin so naiv und gutgläubig.)
Von meinem Anruf bei seinen Schwiegereltern zeigt sich Peter ganz und gar nicht begeistert. Wie auch. „Selbstverständlich habe ich dort angerufen,“ lügt er, „um den Urlaub mit Joshua abzusagen.“ Bei dem Gedanken daran kullern wieder Tränen. „Joshua ist so enttäuscht und traurig.“ Dass die Großeltern als Entschädigung, einen Fahrradurlaub in Holland planen, tröstet den kleinen Mann nicht darüber hinweg, den Vater nun doch nicht sehen zu dürfen.
(Für alles hat er eine Erklärung.)
Eines Nachmittags kommt er zum Strand und lässt sich stumm neben mir in den Sand fallen. „Was ist, was hast du?“ Auf meine besorgte Frage reagiert er nicht, starrt vor sich hin.
(Was für ein exzellenter Schauspieler.)
Ich warte, ahne nichts Gutes. Ein tiefer Seufzer, ein Stöhnen kommt aus seiner Brust. Dann platzt es aus ihm heraus. „Man hat beschlossen, Pauliano zu liquidieren. Übermorgen, am 26. Juli, will man ihn in Hamburg in eine Falle locken und erschießen. Das unberechenbare, grausame Verhalten des Paten ist für die Organisation zu einer großen Gefahr geworden und nicht mehr tragbar.“ Das Schlimme daran, Peter muss sich an dieser Hinrichtung beteiligen. Es ist üblich und beschlossene Sache, dass jedes Mitglied des „Familienrates“ einen Schuss auf das Opfer abgibt, damit unklar bleibt, wessen Schuss der tödliche ist. So sind alle in dieser Tat vereint, schuldig, unschuldig. „Es graust mir bei dem Gedanken“ flüstert er fast unhörbar, „jedoch darf ich mich vor dieser Aufgabe nicht drücken, sonst bin ich vielleicht das nächste Oper.“
Die Aussicht, dass wir damit frei und nicht mehr Paulianos Willkür ausgeliefert sind, mindert das ungeheuerliche Ausmaß seines Berichts. „Aber Peter,“ automatisch flüstere ich auch, „dann bist du ein Mörder.“ Es schüttelt mich vor Entsetzen. Ernst sieht er mich an. „Willst du, dass man mich auch tötet? In diesen Kreisen kennt man keine Gnade. Man wird in mir einen Verräter an ihrer Sache sehen. Mir bleibt gar keine andere Wahl. Außerdem, habe ich dir doch gerade erklärt, kann keiner wissen, wer der Todesschütze ist, sodass ich nur ein Mittäter und kein Mörder bin. Damit will ich das Entsetzliche der Tat nicht herunterspielen. Gleich im Anschluss wird Paulianos Nachfolger gewählt. Ich kann nur hoffen, die Wahl fällt auf einen mir Wohlgesonnen, damit ich endlich aus der Organisation ausscheiden darf. Dann, das glaube mir, hat alle Angst ein Ende.“
Als wolle sich die Natur unserer Lage anpassen, hat sich von uns unbemerkt ein Unwetter zusammengebraut. Plötzlich prasselt der Regen los. Der stürmische Wind erfasst unsere Sachen, wir haben Mühe, sie wieder einzusammeln. Hastig verstauen wir alles in der Badetasche und laufen zum nahe gelegenen Strandrestaurant. Hier drängen sich die Menschen Schutz suchend. Bilde ich es mir ein oder treffen mich wieder neugierige Blicke, tuschelt man hinter vorgehaltener Hand? Es nervt und verunsichert mich.
Würden diese Leute nur einen Bruchteil unserer Situation kennen, dass sich unser Gespräch eben noch um einen bevorstehenden Mord gedreht hat, wie würden sie reagieren? Was kümmern mich die Gedanken anderer. Nur wir zählen.
Im Hotel gibt mir Peter zwei Fahrkarten für den Autoreisezug mit Ziel München. „Hasenherz, wenn ich Samstag zurück bin, Freitag sollte das Urteil an Pauliano vollstreckt werden, fahren wir mit dem Zug nach Bayern, vergessen all unsere Sorgen. Dann sind wir endlich frei. Hoffentlich gibt es keine Schwierigkeiten. Pauliano hat eben doch noch einige treue, langjährige Anhänger.Vorsichtshalber werde ich wieder die kugelsichere Weste tragen, die mir einen gewissen Schutz bietet. Nun sieh mich nicht so entsetzt an Liebling, es ist nur zu meiner Sicherheit, deinem Männe wird schon nichts passieren.“ Warum spricht er erst so beruhigend, um mich sogleich mit dem nächsten Satz wieder in helle Aufregung zu versetzen. „Was noch hinzu kommt und für uns ganz wichtig ist, ich bekomme endlich deine EC-Karte zurück, die Pauliano vor einiger Zeit von mir gefordert hat, um mich ganz von ihm abhängig zu machen. Aber das weißt du ja, weil ich dir während deines Krankenhausaufenthalt das ein oder andere besorgen musste. Seit dem habe ich keinen Gebrauch mehr von ihr gemacht. Wenn Pauliano mich auch knapp hält, steckt Nicola mir heimlich immer wieder größere Summen zu. Du kannst dich darauf verlassen, Nicola ist auf meiner Seite.“
„Was, meine Kreditkarte in den Händen dieser Verbrecher? Das ist mir ganz neu. Schlaganfall hin, Schlaganfall her, nichts aber auch gar nichts ist mir davon bekannt.“ Wütend sehe ich ihn an.
Diese Karte benutzte ich so gut wie nie. Regelmäßig anfallende Kosten, wie Miete, Versicherungen, werden per Dauerauftrag von einem eigens für diese Zwecke eingerichteten Konto bedient. Auch eine bestimmte Summe für meine Privatausgaben werden von diesem Konto abgebucht. Für größere Anschaffungen benutze ich die Mastercard. Darum habe ich die Kreditkarte noch gar nicht vermisst. Sie ist für ein Konto gültig, auf dem mir jeder Zeit 250.000,00 € zum Abruf bereitstehen. Zu Deep-Zeiten hatten mein Sohn und ich mehrmals auf Ibizza
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