Eigentlich ist es fast nicht nachvollziehbar, weshalb Psychologische Psychotherapie, generell die Diplom-Psychologie und die Diplom Pädagogik, keine politische Funktion im Sinne eines Schutzes für Menschen als Berufsinhalt gesellschaftlich formulier(t)en. Eine mögliche Erklärung, die der geschlechtspezifischen Abwertung von Frauen und Gefühlen folgt, ist gerade mitgeteilt worden. Auf diesem Strang liegt auch die generelle gesellschaftliche Abwertung von Psychotherapeuten, ob psychologischen oder ärztlichen, auch wenn in den vergangenen Jahren diesbezüglich offiziell ein kleiner Wandel von statten ging – im Inneren der KV-Hierarchie innerhalb der Ärzteschaft und Standesorganisationen selbst, ist es beim alten geblieben. Ebenso verhält es sich in der gesamtgesellschaftlichen Maskenbildung: Nach Außen tut man modern, aufgeschlossen und stellt Psychotherapie wie selbstverständlich vor, aber hinter der Kulisse läuft es völlig anders. Die Zwiespältigkeit resultiert aus der generell gespaltenen Haltung dem Weiblichen gegenüber:
Einerseits wollen Männer Frauen, aber sie behalten sich vor, sie so zu behandeln, wie sie das für richtig halten: Man will sie unter Kontrolle klein halten, in wichtigen Fragen haben sie gefälligst nichts zu sagen und sollen dann so zur Verfügung stehen, wie Mann sie möchte - und zwar mit viel Gefühl: Wie sollen Frauen Männer so lieben? So ist das mit der Psychotherapie innerhalb der Ärzteschaft auch: Wenn Arzt nicht weiter weiß, soll Psychologischer Psychotherapeut schauen, was fehlt . Das geht allerdings nicht, ohne sozialpolitische und psychoökonomische Vorgänge zu reflektieren, wie sie Patienten mit in die Psychotherapien hineintragen. Im Therapiezimmer zeigen sich die Grundwidersprüche in unserer Kultur bis ins Intimste, sei es im Offenbarwerden der Verfehlungen der Wirtschaft, der Politik, der Familie etc. (vgl. Band 1-1.2). Den Psychologischen Psychotherapeuten wird Tag für Tag ein intimer Einblick ins Innere unserer Kultur durch Patienten in vielerlei Hinsicht zuteil. Die zwiespältige Haltung gegenüber Psychologischen Psychotherapeuten zeigt sich bis in Berufsrecht und Honorarpolitik. Sie haben an entscheidenden, gesellschaftlich relevanten Stellen keine Einflussmöglichkeit: Zum Beispiel bei Krankschreibungen von Patienten. Werden Berufsrecht und Handlungsmöglichkeiten weiterhin so eingeschränkt, wie gegenwärtig, ist die Abschaffung des Fachbereichs zu prognostizieren. Dies geschieht klammheimlich, den Augen und Ohren der Patienten und generell der Menschen entzogen. So ist auch die offizielle Anerkennung der Psychotherapeuten im Rahmen der Kassenärztlichen Vereinigung als eine Möglichkeit zu verstehen, sich jeglicher politischer Vorwurfshaltung zu entziehen: Es käme einer „Zulassung zur Abschaffung“ gleich. Wir bekommen kaum rechtlich relevante Berufsrechte und Befugnisse, werden schlecht bezahlt und können uns fragen, ob diese uns täglich treffende politisch-wirtschaftliche Abwehrhaltung für unser tägliches Leben reicht oder ob wir uns in den nächsten Jahren selbst MVZen oder ärztliche Praxen zum Verkauf anbieten oder den Beruf gleich an den Nagel hängen sollen.
Ich möchte noch einmal betonen, dass es um die systemischen Auswirkungen der Gesundheitswirtschaft auf alle Behandler geht: Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten, Naturheilpraktiker, Pädagogen, Physiotherapeuten und andere Behandler brauchen für ihre Heilungsabsichten, die sie in ihrem Beruf – schon aus humanistischen Gründen – verwirklichen (möchten), Schutz. Dieser Schutz ist jedoch nur zu gewährleisten, wenn sie selbst die Voraussetzungen dafür schaffen. Noch werden sie von keiner Seite im Lande geschützt oder unterstützt. Im Gegenteil: Sie werden jetzt verstärkt der Gesundheitswirtschaft und ihren Reformen ausgeliefert, die an den Interessen von Patienten und Behandlern und somit generell an einer humanistischen Entwicklung unserer Kultur vorbeigehen. Dazu bedarf es dringend der Aufklärung über die Situation, wie sie sich tagtäglich darstellt. Nicht nur das sozial ausgerichtete Gesundheitswesen, sondern jeder einzelne Behandler wird den neuen Strukturen namens Gesundheitsmarkt oder Gesundheitswirtschaft geopfert. Es besteht die Gefahr, dass die heilerische Intention, der Grundsatz jeden Behandler, in diesem Zuge vollständig seiner Bedeutung und Inhalte beraubt und den Behandlern mittels Mitgliedsbeitrag im Zuge der Marktwirtschaft der privaten Krankenkassen und finanzstarken Investoren ihre Identität abgekauft wird. Darüber hinaus ergibt sich offenbar eine Fortsetzung der durch Blüchel (2003) aufgezeigten Vorgehensweisen in der rechtlich nun möglichen Ärzte-GmbH innerhalb der Ärzteschaft in neuen Kleidern: die aber nun wiederum auch von den ärztlichen Standesorganisationen genutzt wird – die Psychologischen Psychotherapeuten fehlt es an gleichen Rechten, wie Ärzte sie haben. Wie ich bereits andeutete, scheint hier ebenfalls ein Selbsterhalt aus existenziellen Gründen vorzuliegen: Die, die Oben sind, bringen sich in Sicherheit - um weiter zu verdienen: Die KVWL baut sich um und sorgt für schlechte Zeiten vor. Die Ärzteschaft finanziert derweil die KVen mit ihren monatlichen Beiträgen, die sich aus jeder erbrachten Leistung prozentual errechen, ihren Übergang in neue Rechtsstrukturen. Das hätten wir auch gern: Einkünfte, die einfach weiter fließen und die uns gestatten, in Ruhe alles weitere zu planen! Blüchel teilte in seinem Buch über das alte Gesundheitssystem Folgendes mit: „Meine Kritik gilt dem gestrandeten, von den Zunftmeistern der ärztlichen Standesorganisationen fehlgesteuerten Gesundheitssystem, seinen aus Inkompetenz geborenen Korruptions- und Betrugsstrategien.“ (2003, S. 18 f.) Ich persönlich würde das Handeln der Standesorganisationen heute als überaus clever und dadurch als hoch brisant beurteilen, vor allem in Bezug auf die weiterhin dominante Machtfunktion, die nun auch in der Gesundheitswirtschaft etabliert wird. (Über Korruption, Betrug oder Verrat an den Mitgliedern zu sprechen steht mir nicht zu.) Mir geht es darum, die verschiedenen Positionen, die sich in der erblühenden Markt- und Gesundheitswirtschaft abzeichnen, phänomenologisch aufzuzeigen. In diesem Zuge weise ich auf die Notwendigkeit des aktiven Zusammenschlusses von Behandlern hin. Anders ist der beruflichen Entwertung und weiteren Entmündigung durch reformerische Staatspolitik, Macht versessene Standesorganisationen in Verbindung mit den gesetzlichen und privaten Krankenkassen nicht zu entgehen. Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten müssen sich in der Gesundheitswirtschaft nun selbst einen Platz zuweisen und klare Positionen einnehmen. Ich habe eine solche rechtlich abgesicherte Möglichkeit geschaffen: In ihr steht die Heilungsabsicht an erster Stelle. Verpassen die Behandler die Chance, sich zusammenschließen, verspielen sie jegliche Autonomie, Unabhängigkeit, berufliche Identität und Anerkennung und werden stattdessen von anderen Interessensgruppen instrumentalisiert.
Die Ideen und Gedanken, die von Politik und Wirtschaft entwickelt und in Gesetze umgesetzt wurden, um uns im Ergebnis die Gesundheitswirtschaft und gegenwärtige Kultur zu präsentieren, müssen hinsichtlich ihrer ursprünglichen Intentionen und Ziele aufgespürt werden. Die Motive liegen nicht direkt offen zutage – weder hinsichtlich des Einflusses des Kapitalinteresses noch des Einflusses, der auf dem gesellschaftlichen Strang von Weiblichkeit, Gefühl, Fürsorge, Mitgefühl und Heilung liegt. Insofern sei der Hinweis aus dem Talmud erlaubt, der an Achtsamkeit erinnert.
Achte auf deine Gedanken,
denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte,
denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen,
denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten,
denn sie werden dein Charakter.
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