Der einzelne in dem Gesundheitswesen der Gesundheitswirtschaft arbeitende Arzt, Mediziner und Psychologische Psychotherapeut wird in dieses starre politische Korsett gepresst und kann froh sein, wenn er noch atmen kann. Die Psychologischen Psychotherapeuten konnten in den letzten zehn, ja nun fast elf Jahren nur einmal durchatmen: als sie die Kassenärztliche Zulassung errungen hatten. Drei Monate später verschlug es ihnen bereits wieder den Atem: Die Kürzung des Honorars um mehr als 2/3 des vorherigen durch einige Krankenkassen (z. B. BKK) und generelle Kürzungen durch die übrigen Krankenkassen. Die ärztlichen Standesorganisationen, die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihr Vorstand, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), haben mit ihrer Ausgrenzungs- und Standesdünkelpolitik maßgeblich zum gegenwärtigen schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung und zur Kostenexplosion beigetragen. Jetzt wird anders geheilt – denn jetzt wird gerechnet. (Vgl. Blüchel: Heilen verboten, töten erlaubt.) Ein Beispiel bieten die Chronikertarife, die vermuten lassen, dass die Heilungserfolge ausbleiben dürfen.
Die Brüche in unserer Kultur sind so vielfältig wie die ersonnenen Gesetze, um wirtschaftliches Handeln zu legitimieren. Wir leben im Spannungsfeld einer Doppelmoral und Doppelethik – dies ist auch den Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft bekannt. Aber auch hier gilt offenbar: Es reicht, es gesagt zu haben; ändern muss man es deshalb ja nicht.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass meine geäußerte Kritik natürlich nicht auf jeden zutrifft. Vielmehr geht es darum, die paradigmatische Ausrichtung und zunehmende Vermarktung von Patienten und Behandlern in den Strukturen der Gesundheitswirtschaft aufzuzeigen. Dennoch werden sich einzelne Ärzte mit meiner Kritik auseinandersetzen müssen – und bisweilen werden sie sich bis ins Mark getroffen fühlen. Sie müssen sich fragen, warum sie zu vielem geschwiegen, vieles mitgemacht und so zur aktuellen Situation beigetragen haben. Das betrifft aber ebenso den „ärztlichen“ Fachbereich der Psychotherapeuten, die studierten Diplom-Psychologen – und letztlich jeden Bürger, der immer noch darauf hofft, dass es schon nicht so schlimm werden wird … Und so gilt auch für den vorliegenden Band: Egal, wer sich auf die Füße getreten fühlt, er möge bitte bedenken, dass es hier und jetzt um Größeres geht als um mich oder die betreffende Gruppe oder Einzelmenschen in gewissen Funktionen. Es geht um den Bestand und um den Gesundheitszustand von Menschen und die Lebensbedingungen in Deutschland. Generell spreche ich für die Psychologische Psychotherapeuten- und Ärzteschaft. Trotzdem ist das Thema äußerst haarig, da ich die Ärzteschaft wie die Politik der Kassenärztlichen Vereinigung an bestimmten Punkten kritisiere, um sie an anderen entschieden in Schutz zu nehmen – sofern ich das von der Kompetenz her vermag: Schließlich bin ich nur eine „kleine Behandlerin“ in diesem Räderwerk.
Die gegenwärtige Lage macht das Schreiben dieses Buches allerdings nicht nur erforderlich, sondern auch mitunter diffizil: Sich ändernde Bedingungen auf unterschiedlichen Ebenen dirigieren und kontrollieren maßgeblich das Geschehen im Gesundheitswesen. Die Aufforderung zum Wettbewerb greift massiv um sich. Sprich, die freie Wirtschaft hält Ausschau, wen und was sie einkaufen und dann gewinnbringend verkaufen kann. Ärzte und Psychotherapeuten müssen dabei zuschauen, weil sie nicht handeln dürfen; denn die Berufsordnung ist entsprechend gesetzlich verankert. Mit den Wirkungen der vielfältigen und vielschichtigen Gesetze wird der Hippokratische Eid entsorgt, die Psychologischen Psychotherapeuten und die Ärzteschaft ausverkauft. Die nicht an die KVen gebundenen, tatsächlich freiberuflich tätigen Behandler lachen darüber, wie die professionalisierte KV-Elite wie ein Esel an einen Strick gebunden zuschauen muss und darauf warten darf, bis jemand aus der Wirtschaft sie einkauft. Oder, wie sie versuchen, ihre Existenz zu retten – dabei allerdings vergeht allen beizeiten das Lachen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die politischen Pläne Richtung Verstaatlichung weitergehen. Die Verarmung geht weiter und überträgt sich auf die Berufseinsteiger: Stress, Angst – Angststörungen nehmen zu wie Christian Schüle in seinem Artikel „In den Fängen der Angst“ mitteilt. (In: DIE ZEIT, 19. April 2007).
Die rüde Art, wie mit der Behandlerschaft, ob Mediziner oder Psychotherapeuten, Naturheilpraktikern, Pädagogen oder Sozialarbeitern, gesellschaftspolitisch umgegangen wird, wurde vom Präsidenten der Caritas, Dr. Peter Neher, kommentiert und angemahnt:
„Wir brauchen einen öffentlichen Diskurs über soziale Berufe, über ihre Rahmenbedingungen und ihre Wertschätzung. Wir brauchen eine Politik, die soziale Arbeit fördert und nicht verhindert. Wir brauchen Menschen, die diese Berufe wählen, und wir brauchen alle, die sie darin unterstützen, auch weil es uns selbst betrifft.“ (Gesundheits- und Sozialpolitik, 2004, S. 28)
Hierzu sollte man wissen, dass dem deutschen Gesundheitswesen die Ärzte ausgehen! Der Arztberuf ist nicht mehr attraktiv – nicht zuletzt dank der aktuellen Reformen. Damit spreche ich das Thema „Kommunikation“ generell in unserer kulturellen Wirklichkeit an: Zu hoffen bleibt, dass nicht nur Kliniken auf öffentliche Kritik konstruktiv reagieren, wie der Ombus-Verein (2004) feststellte, sondern auch Politik, Unternehmen, Standesorganisationen und Kassenärztliche Vereinigungen etc. In Deutschland ist es ein Leichtes, sich auf irgendein Gesetz zu berufen, um Kommunikation, Reflexion und Denken zu verhindern. Das Alte soll im Kern erhalten bleiben. Nach dem Motto: Was ist zu ändern, um nichts zu verändern bzw. das Bestehende noch zu verschlechtern und als gut erscheinen zu lassen? wird unentwegt an Verordnungen, Gesetzesvorlagen und Gesetzen herumgefeilt, bis das Resultat wieder zu Lasten des Bürgers geht und das alte Muster des Sündenbocks, der Schuldverschiebung neu auflebt. Damit kann sich der Reformer – politisch bar jeglicher Verantwortlichkeit – aus der gesellschaftlichen Affäre ziehen. Diese politisch abgesicherte Gesetzesmacherei bezieht sich auf Berufsrechte für Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte, aber ebenso auf Grundrechte und staatliche Verordnungen, und widerspricht dem Gedanken von Demokratie, Freiheit und Gleichheit. Generell zieht der Bürger den Kürzeren. Beispiel: Praxisgebühr.
Die provozierenden Pressemitteilungen zu den Ärztestreiks im ersten Vierteljahr des Jahres 2006 an Universitätskliniken à la „Dürfen Ärzte streiken?“ werden an dieser Stelle nicht wiederholt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Die politischen Stellungnahmen wie zum Beispiel die der Gesundheitsministerin im März 2006, die Ärzte sollten an ihre moralisch-ethische Verpflichtung Patienten gegenüber denken und, statt für ihre Honorare zu streiken, wieder arbeiten gehen, werfen die Frage auf, wann Politiker und führende Wirtschaftsvertreter ihre moralisch-ethische Verpflichtung allen Bürgern gegenüber einlösen, statt die Probleme immer wieder erst verbal anzuerkennen, sie dann bis zur Unkenntlichkeit zu diskutieren, um sie schließlich in der politischen Grube versickern zu lassen …und dabei nicht vergessen, ihre eigenen Gehälter zu erhöhen. Die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung teilt im Juni 2009 mit: „Der Streit in der Ärzteschaft um die Honorare hat nicht zur Steigerung der Akzeptanz des KV-Systems in der Öffentlichkeit beigetragen. So berichten die Medien fast durchgängig über Ärzte, die Zuzahlungen verlangten, Behandlungen von GKV-Patienten verweigerten, die Praxen dicht machten. ‚Dr. Maßlos’ (Bild), ‚Lautes Klagen auf hohem Niveau’ (Südwestpresse) oder ‚Ärzte ohne Grenzen’ (Spiegel) waren typisch für die Berichterstattung.“ (Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung, 2. Mitgliederbrief 2009, Titelseite, Juni 2009) Diejenigen, die Patienten versorgen, werden zum Sündenbock, wenn sie eigene existenzielle und berufspolitische Interessen anmelden und sich dafür einsetzen.
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