„Die Familie ‚von Zollern‘ ist eine Nebenlinie der früheren deutschen Herrscherfamilie Hohenzollern. Der letzte deutsche Kaiser war zum Beispiel ein Hohenzollern.
Ihre Großmutter war eine Gräfin! Daher verwundert es mich auch nicht mehr, dass sie von ihrer Familie ausgeschlossen wurde, als sie mit achtzehn von einem amerikanischen Soldaten ein Kind erwartete … übrigens Ihre Mutter!“ führt er aus.
Nun muss ich doch erst einmal schlucken!
Meine Grandma war adlig?
Und ich bin mit dem letzten deutschen Kaiser verwandt?
„Aber warum machen die jetzt Schwierigkeiten? Die sollen doch nur eine klitzekleine Blutprobe abgeben, um ein Leben zu retten oder ist deren Blut wirklich blau?“ scherze ich müde, obwohl mir eigentlich gar nicht danach zumute ist.
Außerdem rebelliert mein leerer Magen schon wieder und nachdem ich abermals lauter gelblichgrüne Galle gespuckt habe, fährt Dr. Spector in seinem Bericht fort.
„Die Familie hat jetzt Angst, dass Sie Ansprüche stellen könnten in Bezug auf einen Titel oder Erbansprüche in Form von Geld, Ländereien oder Immobilien.
Heute Morgen habe ich ein Schreiben von einem Rechtsanwalt der Familie erhalten, in dem Sie aufgefordert werden freiwillig auf alles zu verzichten und welches Sie unterschreiben möchten. Dann könnte eventuell über eine Stammzellenspende nachgedacht werden.“
„Pfff! Das ist ja Erpressung!“ schüttle ich mit dem Kopf und atme erschöpft durch.
„Sie sollten aber darüber nachdenken, es könnte vielleicht Ihr Leben retten. Außerdem hätten Sie ohne Ihre Krankheit wahrscheinlich nie erfahren, wer Ihre deutschen Verwandten sind. Von daher spielt es keine Rolle, ob man das als Erpressung sieht oder nicht.
Ich finde es zwar auch nicht in Ordnung, aber es ist eine weitere Chance einen geeigneten Spender zu finden und nur das zählt im Moment. Was bringt Ihnen ein Titel oder viel Geld wenn Sie tot sind?" fragt er eindringlich.
Scheiße!
Ich brauche also doch ganz dringend einen Spender und diese ganze Chemo-Scheiße allein kann mich gar nicht wieder gesund machen.
Sie zögert den Tod nur hinaus oder hilft vielleicht Zeit zu gewinnen, um einen geeigneten Spender zu finden … mehr nicht.
„Okay! Sie haben ja Recht! Bringen Sie mir den Wisch und ich unterschreibe alles was Sie wollen. Weiß meine Mum schon darüber Bescheid?“ sage ich seufzend.
„Ja! Ich habe sie vorhin darüber informiert, denn sie musste auch unterschreiben und auf alles verzichten.“ antwortet er.
„Was hat sie gemacht?“ frage ich neugierig.
„Sie hat ohne zu Zögern unterschrieben, weil es um Ihr Leben geht Mr. Bolder und sie meinte ‚Mein Sohn ist mir wichtiger, als alles Geld und materielle Dinge dieser Welt oder sogar irgendein Titel‘.
Sie dürfen übrigens stolz sein auf ihre Mutter, sie ist eine Löwin die den Kampf nicht aufgibt. Sie organisiert inzwischen ganze Typisierungstage in Schulen, Universitäten und Vereinen, um mögliche Spender zu finden.
Die Bone Marrow Donors Worldwide Organisation hat im Moment in Philadelphia und Umgebung alle Hände voll zu tun.“ lächelt er.
„Was? Davon weiß ich gar nichts, aber ich bin meistens ohnehin viel zu müde, um viel mit ihr zu sprechen und vielleicht will sie auch gar nicht viel Aufhebens mir gegenüber darüber machen.“ sage ich erstaunt.
Müde lege ich dennoch den Kopf nach hinten und schließe die Augen, obwohl mir schon wieder speiübel ist.
„Schlafen Sie sich erst einmal aus, ich lasse Ihnen das Papier hier auf den Nachttisch legen und sie können es unterschreiben, wenn Sie sich dazu in der Lage fühlen.“ sagt er freundlich und verlässt das Zimmer, womit ich mit meiner Infusion wieder alleine bin und verzweifelt versuche einzuschlafen, wenn die Übelkeit es zulässt.
Doch ich komme um eine weitere Rebellionsattacke meines Magens nicht herum und spucke erneut eine Nierenschale mit gelblichgrüner Galle voll.
Verdammt!
Das macht mich fertig!
Ständig ist mir übel, meine Speiseröhre brennt inzwischen wie Feuer und obwohl ich künstlich ernährt werde nehme ich ständig ab.
Mein haarloser Körper besteht fast nur noch aus Haut und Knochen und meine Arme und Beine sind völlig verstochen von den täglichen Blutproben, die genommen werden müssen.
Wo ist mein Sixpack geblieben? Wo sind meine Muskeln in den Oberarmen auf die ich immer so stolz war?
Diese verdammte Leukämie raubt mir alle Kraft und ich weiß nicht, wo das alles noch enden soll?
Irgendwann am späten Nachmittag unterschreibe ich mit fahrigen kraftlosen Bewegungen die Forderung von meinen deutschen Verwandten, in der Hoffnung, dass sie ihr Versprechen wahr machen und sich dann typisieren lassen.
Aber vielleicht wäre Sterben doch die richtige Lösung, doch das kann ich meinen Eltern und vor allem Saundra nicht antun!
Woher soll ich jedoch die Kraft noch nehmen weiter zu kämpfen?
Eigentlich bin ich am Ende aller meiner Kräfte und ich kann fast nicht mehr!
Benebelt und schwindelig schlafe ich endlich ein, während der Chemie-Cocktail weiter in meine Adern rinnt.
Saundra kümmert sich aufopferungsvoll um mich, obwohl ich eigentlich für sie da sein sollte, aber es fehlt mir die Kraft dazu und ich bin dankbar, dass sie mich nicht einfach verlässt.
Lázló und Tristan sollen heute wieder aus Ungarn zurückkommen…
Doch an diesem Dienstagvormittag nach Ostern, geht es mir wieder ganz besonders schlecht und die Brechattacken hören einfach nicht auf, trotz der Antiemetika.
Saundra und Schwester Megan sind mit im Zimmer, als Dr. Spector abermals die Chemie-Keule an meinen Arm anschließt und ich mich wieder einmal vor seinen Augen mitten über die Bettdecke übergeben muss.
Völlig entkräftet und tief atmend beschließe ich in einer Kurzschlussreaktion damit endgültig Schluss zu machen und reiße mit letzter Kraft die beiden Kanülen aus meinem Körper.
„Ich kann nicht mehr! Lasst mich endlich sterben!“ rufe ich mit heißerer Stimme und lasse mich auf die Kissen zurück fallen.
Kurz sehe ich noch wie mein mit Leukozyten verseuchtes Blut über die Bettdecke rinnt und blicke in Dr. Spectors erschrockene Augen.
„Um Himmels willen, was machen Sie denn?“ ruft er aus.
„Schwester Megan! Schnell! Drücken Sie auf die Wunde!“
Gleichzeitig dreht er die Flasche ab und sieht sich nach Saundra um, welche auf mich zugestürzt kommt, neben meinem Bett auf die Knie fällt und in Tränen ausbricht.
„Matt! Neeiiin! Bitte nicht! Was machst du denn?“ ruft sie bestürzt aus.
Mit allerletzter Kraft versuche ich mich dagegen zu wehren, dass man mir die Wunden abdrückt und bitte erneut, doch diesmal sehr viel leiser „Das hat doch alles keinen Sinn! Bitte lasst mich sterben, ich bin am Ende meiner Kraft! Ich kann nicht mehr!“
„Schwester Megan holen Sie mir eine Beruhigungsspritze mit zehn Milligramm Diazepam! Schnell!
Und Tupfer und zwei neue Injektionsnadeln.“ ruft Dr. Spector laut.
In diesem Moment sehe ich aus den Augenwinkeln wie Lázló mit entsetztem Gesichtsausdruck unter der Tür steht und auf die völlig aufgelöste Saundra zustürzt, um sie vom Boden hoch in seine Arme zu ziehen.
„Um Gottes Willen, was ist denn hier los? Matt?“ fragt er fordernd und aufgeregt, doch ich schüttle nur schwach mit dem Kopf.
Dr. Spector versucht verzweifelt allein meine beiden Wunden abzudrücken, wogegen ich mich so heftig wehre wie es meiner Verfassung nach gerade eben geht.
Immer kraftloser werdend verschmiere ich dabei die Bettdecke allerdings noch mehr mit meinem krebskranken Blut.
„Mr. Bolder!“ ruft Dr. Spector laut und schüttelt mich an den Schultern.
„Verdammt! Sie hatten mir versprochen um Ihr Leben zu kämpfen! Jetzt tun Sie das auch!
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