Oder ihn dazu überreden mal „Klitoris“ zu googeln oder so. Wo man sie findet und was man damit anrichten kann. Er ist nicht ganz das göttliche Geschenk an die weibliche Hälfte der Bevölkerung, für das er sich hält.
Als mir klarwurde, dass ich mich von Michael trenne, gingen schlagartig alle Poren auf. Ich bin plötzlich so unglaublich hungrig nach Sex und habe zunächst mit großem Genuss mit mir selber geschlafen, zwei- oder dreimal am Tag. Inzwischen reicht mir das nicht mehr so wirklich. Was mach ich nur? Mir ist, als müsste ich schon mal ein großes Paket Gummis besorgen, ich bin so spontan zurzeit.
Dabei kann ich das gar nicht gebrauchen. Ich suche eine Wohnung! Ich lese Kleinanzeigen, erst mal "Wohnung". Abgegrast. Dann „Jobs“. Puh, auch nicht üppig. Aus lauter Frust lese ich als nächstes die Rubrik "Lust und Liebe".
Am nächsten Tag habe ich einen Promo-Auftritt in einer blöden Disco, ätzend genug, ein dummer Säufer brennt mir mit der Zigarette ein Loch ins Kostüm. Es wird spät. Auf dem Heimweg stehe ich in der U-Bahn, die ist voll mit müden Punks. Wo kommen die denn alle her? Einer erkennt in der Tasche, die ich über der Schulter trage, meinen Säbel.
„Ey, die hat ja n Schwert dabei!“
Ja, ey. Ich hatte den Säbel an eine Kollegin aus der Promo-Truppe verliehen und ihn heute erst zurückbekommen. Alle Punks in der U wollen jetzt sofort, dass ich blankziehe, in der vollen Bahn. Dabei gibt es nichts Besonderes zu sehen, das ist einfach nur ein Requisit. Ein langer Typ, der an der Tür gegenüber lehnt, sagt ganz cool:
„Ey. Die Frau is‘ n Ninja.“
So. Und damit ist auf einmal alles klar und alle beruhigen sich wieder. Ey. Der Mann ist cool. Und der Iro ist wahrscheinlich für ihn erfunden worden. Wir fahren noch eine Weile U-Bahn und kommen ins Quatschen. Und irgendwann wird es hell, wir sind irgendwo im hochsommerlichen Berlin und ich bin völlig fasziniert.
Die nächsten Tage war ich mit dem Überleben in der Todeszone voll beschäftigt. Wohnungssuche. Hier und da geh ich zu einer Besichtigung – vollkommen chancenlos. Jedes Mal ein Massenauftrieb an Leuten, die viel toller sind und viel mehr verdienen.
Dann musste ich mich dringend um meinen Papierkram kümmern, ein paar Rechnungen bezahlen, einiges an Post hatte sich angehäuft. Ich vermeide es, in der Wohnung zu bleiben, nehme den Laptop und gehe raus, in den Park, an einen See oder so.
Mein Konto sieht mau aus, deshalb geh ich nicht ins Café. In der Wohnung pirsche ich auf Zehenspitzen herum, schleiche mich in die Küche, um mir was zu essen zu machen. Keine Lust, Michael zu treffen. Ich habe immer noch keine Wohnung.
Der Quickie mit Angel hat meine hormonelle Bedrängnis nur verschlimmert. Was mach ich nur? Angel gefällt mir, Angel ist leicht verfügbar, aber das nützt mir gar nichts. Der Sex war lausig. Bin ich in ihn verliebt?
Sicher nicht. Ich fühle mich eher, als müsste ich direkt irgendwen anspringen. Fürchterlich. Wahrscheinlich will ich nur irgendwie den Stress abreagieren, die Wut auf Michael ablassen und die Wohnungspanik eine kleine Weile vergessen.
Sehr schön analysiert, auch das hilft mir nicht weiter. Ich bin so gefährlich leicht verführbar zurzeit, ich brenne schnell. Ich muss auf mich aufpassen. Leicht zu erregen, schwer zu befriedigen? Wer weiß. Auf jeden Fall mörderisch frustriert.
Beim nächsten Probentermin kommt Angel wieder in den Übungsraum, extra früher als sonst, wohl um mich bloß nicht zu verpassen. Wir tändeln ein bisschen herum, aber ich bin schon genervt. Ich sag ihm diesmal genau, was ich brauche, aber er hört nicht zu. Bevor ich wieder unbefriedigt bleibe, reiße ich mich los, schnapp meinen Rucksack und gehe.
"Geht´s dir nur um Sex?", höre ich ihn mir noch nachrufen.
Die Zeit rennt. Wochen sind vergangen, keine Wohnung in Sicht. Michael macht Terror. Schon klar, dass er mich raushaben will, aber ich weiß einfach nicht wohin. Michael empfindet alles, was ich mache, als Nachricht, interpretiert irgendwas hinein und schreibt mir lange wirre Briefe.
Tatsächlich möchte ich am liebsten ganz unbemerkt bleiben, aber ich muss eben auch meine Jobs managen, Abläufe durchgehen, telefonieren und so. Ich will nicht provozieren und nur hier raus. Das macht mich schon traurig, immerhin verliere ich das, was auch mein Zuhause war. Als ich einzog war vieles noch Baustelle. Ich habe sämtliche Decken hier gestrichen, regelmäßig meine Miete gezahlt und Michaels Lieblingsbilder aufgehängt. Den Haushalt gemacht zum größten Teil und eine Weile gedacht, das ist eine Liebesbeziehung hier.
Ich bin dauernd unterwegs auf Wohnungssuche in allen möglichen Richtungen. Wohnung, WG-Zimmer, Zirkuszelt, Hundehütte, irgendwas, was ich mir leisten kann. Egal welcher Bezirk, alles egal. Neulich fuhr ich nach Zehlendorf wegen eines Zimmers im Haus eines älteren Paares.
Das Häuschen war hübsch, aber das Zimmer winzig, 15 Quadratmeter mit einem Schrank mit einer Küche drin. Klo auf der Treppe. Nicht das, was ich brauche, aber ich hätte es genommen, nur um endlich ein Dach überm Kopf zu haben. Dann stehen die beiden Alten da und grinsen gehässig und sagen mir, dass ich das Zimmer aber nicht kriege.
Ich dreh2 auf dem Absatz um und bevor ich die Tür hinter mir schließe, höre ich noch einen Satzfetzen und hämisches Kichern …
„Doch nicht an so einen kessen Vater!“
Ach so. Die meinen, nur weil ich eine Herrenfrisur habe, wäre ich lesbisch. Mann, bei den Leuten möchte ich nicht mal Topfpflanze sein! Meine Fresse! Das Zimmer sah nicht so aus, als könnte ein gesunder junger Erwachsener dort ein Liebesleben haben, egal welches. Und bisher habe ich noch nie eine erotische Liebe zu einer Frau erlebt, aber ich stelle mir das wunderbar vor.
Vielleicht irgendwann, ich gebe die Hoffnung jedenfalls nicht auf.
Die Lage eskaliert vor sich hin. Michael stellt mir jetzt ein Ultimatum: ich einer Woche muss ich weg sein. Und da meldet sich Frank, meine Jugendliebe bei mir. Schau an. Wir telefonieren lange, es gibt viel zu erzählen. Er wurde damals nach dem Abi ins Ausland geschickt, ich ging nach Berlin und uns brach total das Herz.
Aber das ist auch ein paar Jahre her, viel passiert inzwischen. Er war ganz schnell wieder liiert, Verlobung, hieß es. Jetzt sagt er, es sieht so aus, als ob er sich trennt...
Was erzählt er mir da? Was genau soll das bedeuten?
Ich spiele das mal in Gedanken durch: zurückkehren in die Kleinstadt, zurück zu meiner Jugendliebe und eine Wohnung finde ich da wahrscheinlich auch leichter. Hm, das wäre zu einfach, oder?
Die Zeit läuft ab. Ich organisier Kartons und einen Umzugsservice und miete mir einen Lagerraum. Ich packe eine Tasche mit allem Lebensnotwenigen, ein paar Klamotten, Laptop und Zeug und schlafe von da an reihum bei Freunden. Und muss natürlich sehen, dass ich trotzdem meine Termine einhalte und auch vorbereitet bin.
Fototermine, Promotion, Agenturen abklappern, all sowas. Das Leben ist jetzt deutlich schwieriger geworden. Ich habe keinen Raum für mich und wenn ich etwas aus dem Fundus brauche, muss ich ins Lager und dort herumkramen und danach suchen. Und ich bin immer noch auf Wohnungssuche.
Scheißwetter! Inzwischen ist es Herbst, kalt und nass und scheußlich. Ich komme von einem Job draußen und bin patschnass. Und völlig erledigt. Ich sollte mich aufraffen, mich wenigstens abzuschminken und meine nassen Sachen aufhängen.
Zum Glück kann ich die nächsten Tage in Evis Bude bleiben, sie ist unterwegs mit einer ihrer vielen Bands. Es ist unglaublich gemütlich bei ihr, alles voller Pflanzen und alter Möbel.
Ich bin so froh über ein paar Tage Ruhe, um mich zu sortieren, Wäsche zu waschen und alles weitere zu organisieren. Wie lange kann ich so noch weitermachen? Wenn ich anfange drüber nachzudenken, muss ich weinen, ich weiß einfach nicht weiter. Ich fühle mich krank und ausgelaugt. Mutlos. Evis alter Kater, Herr Schmidt, legt sich zu mir, wie lieb. Und ich heule gleich noch mehr.
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