Für den Polizeidirektor war sie jedoch kein unbeschriebenes Blatt mehr, denn seine Untersuchungsbeamten hatten längst die Hintergründe für ihre Ausweisung aus Berlin, Warschau und Baden-Baden herausgefunden. Auch waren ihm alle Einzelheiten über ihr intimes Verhältnis mit dem Pariser Verleger Dujarier bekannt, das durch dessen Tod bei einem Duell ein jähes Ende genommen hatte. Durch seine Spione, die ihre Augen und Ohren überall hatten, wusste er auch von dem Gerede, die spanische Tänzerin verdiene sich als spanische Hure ein erkleckliches Zubrot: den Bayerischen Hof habe sie gleich nach ihrer Ankunft zu ihrer Münchener Absteige gemacht, wo sie jedem Mannskerl für zwei Gulden ihre Liebesdienste feilbiete. Ob wahr oder nicht, dachte Johann Nepomuk Freiherr von Pechmann, dieser Frau traue ich alles zu. Er zweifelte auch nicht im Geringsten daran, dass sie den Aufruhr in der Frühlingsstraße vom Zaun gebrochen hatte, wenngleich sie das jetzt alles weit von sich wies, worin sie sogar noch von allen Zeugen Unterstützung erhielt, die wie sie Stein und Bein schworen, die Frau in der Düsternis nicht genau gesehen zu haben, außer dem Glasermeister, der aber nun plötzlich am helllichten Tag behauptete, beim besten Willen Madame Lola Montez nicht als die Frau identifizieren zu können, der er in der Nacht geholfen habe.
Nach einem Bericht jedoch hatte die Spanierin sich das Schweigen ihres Samariters erkauft und zwar mit vierzig Gulden sowie der schriftlichen Zusage, ihre Freunde auch weiterhin zu belohnen. Doch beweisen konnte der Polizeidirektor diese Bestechung leider nicht.
Wie sag’ ich’s meinem Kinde? überlegte Pechmann hin und her. Pardon, wie erkläre ich das alles Seiner Majestät? Denn die Fakten offen auf den Tisch legen, das muss ich, das bin ich ihm als Polizeidirektor schuldig. Meine Pflicht erfordert es, den König zu schützen vor dieser Frau, die ihm so völlig den Kopf verdreht hat. Mit diesem Entschluss traf er pünktlich wie jeden Freitagmorgen in der Residenz ein, um dem Monarchen seinen Wochenbericht über die Sicherheit in der Hauptstadt zu überreichen.
Als die Rede auf den Zwischenfall in der Frühlingsstraße kam, unterbrach Ludwig ihn nach den ersten Worten, es bedürfe keiner weiteren Erklärung, er wisse bereits alles und habe sich darüber schon seine eigene Meinung gemacht, die durch nichts und niemanden zu erschüttern sei. „So wahr ich vor Ihnen stehe, Pechmann, sie war es nicht, die jenen Auftritt in der Frühlingsstraße verursacht hat! Aber so sind sie nun mal, meine Münchener, ich kenne sie gründlich, und glauben Sie mir, die Vornehmsten sind die Ärgsten! Ich brauche da nur an all die Lügen und Verleumdungen über mich und meine Familie zu denken, die regelmäßig in der Stadt die Runde machen. Muss ich Ihnen da noch groß und breit erklären, dass es nun Leute gibt, die mit allen Mitteln den Ruf meiner lieben Freundin beschmutzen wollen? Wie gesagt, ich kenne meine Münchener durch und durch! Wer aber meint, man könne mir etwas abtrotzen oder abzwingen, der ist auf dem Holzweg. Gegen mich rennen sie vergebens an, ich habe nämlich ein Herz und einen Kopf so hart und unbezwingbar wie die Felsen am Königssee!“
Johann Nepomuk Freiherr von Pechmann verkniff sich ein Lächeln über den etwas sonderbaren Vergleich von des Königs Herz und Kopf mit den Felsen am Königssee, vielleicht sollte es ein Hauch von Poesie des königlichen Dichters sein, doch davon verstand er nichts. Dafür begriff er umso mehr, dass er mit seinem Bericht über den Vorfall in der Frühlingsstraße nichts ausrichten würde und begnügte sich daher mit der Frage, ob er seine Nachforschungen in dieser Sache weiterführen solle.
Statt klar mit Ja oder Nein zu antworten, überraschte der Souverän ihn mit der Ankündigung: „Sie bekommen heute einen schönen Besuch. Ich habe sie, ich meine Lola, zu Ihnen geschickt, sie kann dann mit Ihnen selbst sprechen. Alles Weitere finden Sie in den paar Zeilen, die ich ihr mitgegeben habe.“
Gegen Mittag kreuzte die stolze Spanierin im Haus des Polizeidirektors in der Sommerstraße auf, im Schlepptau Ambros Havard, der Besitzer des Goldenen Hirschen , als ihr Dolmetscher. Ohne lange Umstände ließ sie gleich ihrem Ärger freien Lauf und verlangte, Pechmann solle den Untersuchungsbeamten, der ihre Zofe verhört hatte, auf der Stelle aus München versetzen. Im Übrigen könne der Glasermeister bestätigen, dass sie nichts mit der Angelegenheit in der Frühlingsstraße zu tun habe. Es sei geradezu eine Majestätsbeleidigung, jetzt immer noch mit der polizeilichen Untersuchung bei ihr, der besten Freundin des Königs, fortzufahren, nachdem doch feststehe, dass sie überhaupt nicht in die Sache verwickelt sei. Ein Krawall mitten in der Nacht, wenn anständige Menschen längst schlafen... sie, ausgerechnet sie! Was sich Monsieur wohl dabei denke?
Was er sich dachte, behielt er klugerweise für sich, und um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, versuchte er mit all seinem diplomatischen Geschick klarzumachen, dass der bei ihr so tief in Ungnade gefallene Polizeibeamte sie keineswegs beleidigen wollte, sondern nur seine Pflicht getan habe. Selbstverständlich werde er alles unternehmen, um den Befehl Seiner Majestät zu befolgen, das heißt, jegliche Verleumdung ihrer Person zu unterdrücken.
War eben noch ihr Gesicht ein feuerspeiender Vulkan gewesen, so sprühte sie jetzt allen verführerischen Charme aus, dessen ein weibliches Wesen überhaupt fähig ist - und das sozusagen in null Komma nichts. Eine wahrhaft begnadete Schauspielerin! stellte der Freiherr bewundernd fest. Graziös hielt sie ihm zum Abschied ihr Kusshändchen hin, flötete verlockend, sein Besuch im Goldenen Hirschen würde ihr eine Ehre sein, und überließ es ganz seinem Gewissen, wie er künftig zu verfahren beliebe.
Noch am gleichen Tag hatte es auch der König mit seinem Gewissen zu tun, und zwar mit dem guten Teil davon, und war zu dem Entschluss gelangt, sein Testament zu ändern, ein Vorgang, den er mit den Worten begründete:
„Ich müsste kein Mann von Ehre sein, kein Gefühl haben, wenn ich nicht sorgte für sie, die alles wegen mir aufgab, die keine Eltern mehr, keine Geschwister, die auf der weiten Erde niemand hat als mich; dennoch ging sie mich im Geringsten nicht an, in meiner letztwilligen Verfügung ihrer zu gedenken, aus eigenem Antrieb geschieht dies. Ihre Bekanntschaft hat mich reiner gemacht, besser. Therese, mein liebes, gutes, edles Weib, beurteile mich nicht ungerecht.“
In memoriam ihres getreuen Galans sollte die geliebte Lola, die ihn so reiner und besser gemacht hatte, erstens das letzte vor seinem Tod gemalte Ölporträt von ihm erhalten; zweitens hunderttausend Gulden, vorausgesetzt, dass sie niemals zuvor verheiratet gewesen war; und drittens eine Jahresrente von zweitausendvierhundert Gulden auf Lebenszeit, sofern sie auch so lange unverheiratet bleiben werde.
Freunden, die über sein aufsehenerregendes Verhältnis den Kopf schüttelten, versuchte er sein Verhalten klarzumachen, so Heinrich von der Tann, der abseits vom Ort des Geschehens in Franken lebte. „Arg ist Lolitta (so nenne ich sie) verleumdet, wurde es und wird es noch“, schrieb er ihm in seinem ihm eigenen Stil. „Eine Fremde, die in München bleiben will, die schön ist, die vom König geliebt wird, die geistreich, was bedarf es noch mehr, um Feindschaft, Lüge, Verfolgung zu erregen. Auch dieses wird sich legen, auch darüber wird Beharrlichkeit siegen. Sie ist nicht nur eine mich Liebende, sondern gleichfalls Freundin. Wahrheit, erklärte sie mir, würde sie immer mir sagen“, und so manches Unangenehme habe sie ihm auch schon mitgeteilt. „So geliebt bin ich von ihr. Ich erhalte sie, nicht aber unterhalte ich sie.“
Es gibt eben keine Narrheit, die nicht noch übertroffen werden könnte.
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