Überraschenderweise zwinkerte mir der Mann daraufhin verschwörerisch zu und sagte: „Das mit dem Rabatt vergessen wir mal ganz schnell. Ich spiele nämlich nur mal wieder den Laufburschen für meinen Vater, der unbedingt ein paar neue schicke Schuhe braucht. Er kann es sich durchaus leisten, den vollen Preis zu zahlen.“ Ich sah den Mann etwas verwundert an, beschloss jedoch, ihm keine weiteren Fragen stellen. Das Verhältnis zu seinem Vater ging mich schließlich nicht das Geringste an. Doch dann plauderte er zu meiner Überraschung von selbst aus dem Nähkästchen. „Mein Vater ist Personalmanager bei einem Modemagazin und heuert den ganzen Tag neue Leute an, während er andere feuert.“ Der Mann schmunzelte vielsagend.
„Er ist mit der Chefredakteurin verheiratet. Sie ist für mich eine Art Zierpflanze, er das Nachschattengewächs. Er lebt gewissermaßen in ihrem Schatten, was ihn durchaus wurmt, denke ich. Ich bin das ungeliebte Kind aus erster Ehe, das zu Botengängen abgestellt wird. Ich trage den Mädchennamen meiner Mutter, was meinem Vater, glaube ich, mehr als recht ist. Wahrscheinlich schämt er sich für mich, weil ich an meinem Physikstudium gescheitert bin. Schon nach ein paar Semestern war mir klar, dass ich nie eines Tages nervtötende Schüler unterrichten oder Atome spalten würde. Das wiederum hat meinen Vater und mich sozusagen gespaltet.“ Er legte eine kurze Pause ein, bevor er fortfuhr: „Ich sage Ihnen das nur, weil Sie so einen traurigen Eindruck auf mich gemacht haben. Hat wohl etwas mit der Geschäftsaufgabe zu tun. Ich wollte Ihnen damit klarmachen, dass auch ich nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens stehe. Aber selbstverständlich will ich Sie nicht mit meinem Leben langweilen oder Ihnen zu nahe treten.“
„Das ist schon in Ordnung“, entgegnete ich. Ich musste zunächst einmal verdauen, dass da ein Mann vor mir stand, der mir ohne Umschweife einen tiefen Einblick in sein Leben gegeben hatte. Dass er an seinem Physikstudium gescheitert war und dies ganz offen zugab, machte ihn mir sehr sympathisch. Bei dem Wort Modemagazin hatte mein Herz einen kleinen Sprung gemacht und mein Wunsch sich wieder in meine Gedanken gedrängt. Der Wunsch, eine Kolumne zu schreiben. Um der Unterhaltung wieder den Anstrich eines Verkaufsgesprächs zu geben, meinte ich: „Ich hole Ihnen jetzt den Gegenschuh zu dem, den Sie dort in der Ablage sehen. Dafür muss ich schnell ins Lager, bin aber gleich wieder da.“ Irgendwie fühlte ich mich mit einem Mal sehr in mich gekehrt. Völlig in Gedanken versunken. Als ich im Lager stand, brauchte ich auch deutlich länger als sonst, um den passenden Schuh zu finden. Als ich endlich den richtigen Karton in Händen hielt, ging ich zurück zur Theke. Der Mann hatte mittlerweile den gewünschten Schuh aus dem Regal geholt. Ich nahm ihm diesen aus der Hand und legte ihn zu dem in dem Schuhkarton, den ich daraufhin sofort schloss. „Wie möchten Sie zahlen?“, fragte ich und merkte, dass ich Blickkontakt zu dem jungen Mann suchte. „Ich bezahle mit der Kreditkarte meines Vaters. Keine Angst, ich habe Ihnen kein Märchen erzählt. Er würde wahrscheinlich sogar einen Wutanfall bekommen, wenn ich diese Schuhe nicht für ihn kaufen würde.“ Er zückte sein Portemonnaie und brachte die American-Express-Karte in Gold zum Vorschein. Ich pfiff unwillkürlich durch die Zähne, was mir im Nachhinein äußerst peinlich war. Der Mann reagierte darauf mit einem Lächeln: „Sie sehen selbst, dass mein Vater nicht auf die Suppenküche angewiesen ist.“
Ohne darauf etwas zu erwidern, zog ich die Karte durch das Lesegerät. Auf der Karte standen der Name Will Gerster und natürlich die Kreditkartennummer. Nachdem wir das Finanzielle geregelt hatten, sagte der Mann, während er sich den Karton unter seinen linken Arm klemmte: „Machen Sie es gut. Geschäftsaufgabe hin oder her, es wäre schade, wenn Sie Ihr Lächeln vergessen würden. Es ist nämlich sehr schön.“ Mit diesen Worten ließ er mich zurück, was zur Folge hatte, dass sich meine Lippen erneut zu einem breiten Lächeln verzogen. Sein Kompliment hatte mich sehr gefreut.
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