Mehrere Forschungsbereiche widmen sich diesen Phänomenen, zum Beispiel die Zwillingsforschung an eineiigen Zwillingen, die in unterschiedlicher Umgebung aufwuchsen.
Wie entsteht Psychopathie?
M.Stout bezeichnet als Soziopathie, was allgemein unter Psychopathie verstanden wird. Nach ihrer Terminologie entspricht es der antisozialen Persönlichkeitsstörung. Doch dazu später mehr.
Aus ihrer Sicht spielen kulturelle Einflüsse offenkundig eine wichtige Rolle bei der Entstehung oder dem Ausbleiben von Soziopathie in einer gegebenen Bevölkerung. Nach ihrer Recherche liegt der ungefähre Durchschnitt bei 4 % in der westlichen Welt. Dagegen scheint Soziopathie in einigen ostasiatischen Ländern relativ selten aufzutreten, insbesondere in Japan und in China. In ländlichen Regionen wie auch in Städten Taiwans wurde mit 0,03 bis 0,14% eine bemerkenswert niedrige Verbreitung der antisozialen Persönlichkeitsstörung festgestellt. Dies erklärt sich M.Stout mit der Tatsache, dass dort destruktives Verhalten einfach nicht toleriert wird. Beispielsweise lässt dort niemand zu, dass Tiere gequält werden. Im Gegensatz dazu „...scheint die Verbindung der Soziopathie in den USA zuzunehmen. Die vom (Staatliches Institut für geistige Gesundheit) 1991 durchgeführte (Studie zur Ermittlung von Inzidenz- und Prävalenzraten wichtiger psychiatrischer Störungen) berichtet, dass sich die Verbreitung der antisozialen Persönlichkeits-störung unter jungen US-Bürgern in den 15 Jahren vor der Studie fast verdoppelt habe. Es wäre schwierig, wenn nicht gar unmöglich, einen so dramatischen Anstieg genetisch oder neurobiologisch zu erklären.“
(M.Stout, Der Soziopath von nebenan, S.168/169)
2013. Englischsprachiger Raum. Lehrerin einer Sonderschulklasse für verhaltensauffällige Kinder, Mitte 50, sehr gut fortgebildete, erfahrene und engagierte Lehrkraft. Sie besorgt dem hochbegab-ten Viertklässler die Matheaufgaben für Abiturienten, damit er ausgelastet ist, und ist Lerntherapeutin für Lernverweigerer: „bei mir lernt jedes Kind lesen, und wenn's auf den Samentütchen für den Garten ist!“
Einer ihrer Schüler, 8 Jahre alt, bringt sie an ihre Grenzen. Er zerstört regelmäßig und systematisch, ist gewalttätig. Keine ihrer phantasievollen konstruktiven Angebote erreichte diesen Jungen. Er hat einen guten familiären Hintergrund, zwei Schwestern, nette normale Eltern – die inzwischen längst an ihren Grenzen sind mit dem Sohn. Nicht einmal nachts ist Ruhe. Mitten in der Nacht steht er auf, geht ins Zimmer der Schwestern, zieht der jüngeren die Decke weg und sticht sie mit einem Küchenmesser. Sowas kommt ihm öfters in den Sinn, es ist keine Ausnahme. Inzwischen schläft das Mädchen im Kleiderschrank eingeschlossen aus Angst vor ihrem Bruder.
Einmal verliert diese hervorragende Lehrerin die Nerven. Sie schmeißt den Jungen aufs Matratzenpolster und schreit ihn an, „mit dir ist es nicht zum Aushalten, du bist schrecklich und widerlich und ich wünschte, dich gäbe es nicht!“ Gleichzeitig weiß sie, dass sie sich unmöglich verhält: „wenn mich jemand gesehen hätte, das hätt' mich meinen Job gekostet!“ So geht sie sonst nie mit Kindern um.
Doch von diesem Moment an „ging“ es in ihrer Klasse mit diesem Jungen. Er benahm sich. Er wirkte auch nicht verunsichert, verstört, irritiert, verhalten aggressiv.
Ich frage mich natürlich, ob sie es mit einem psychopathischen oder gar soziopathisch veranlagten Jungen zu tun hat. Vieles spricht dafür. Allerdings könnte auch eine versteckte Traumatisierung vorhanden sein, die nach einer klaren Grenze verlangte, wobei diese außerordentlich gute Lehrkraft selbstverständlich ein großes Repertoire an guten Möglichkei-ten hat, gesunde Grenzen zu setzen. Das alles hatte bei diesem Jungen ja nicht gewirkt. Zurzeit haben wir keine Möglichkeit, diese Unterschiede eindeutig festzustellen.
In Bezug auf unsere Thematik gibt es große Forschungslücken, viel Fehlinformation und darum unproportionale Darstellungen. Dies Buch soll wesentliche Informationen vermitteln, offene Fragen thematisieren und einige Lücken füllen, wenn es auch nur grob möglich ist, nicht in jedem Teilbereich detailliert. Damit verhilft es zu größerer Klarheit und regt hoffentlich zu weiterer detaillierter Forschung an mit dem Ziel, das Zusammenleben der Menschen auf diesem Globus von menschlicher Destruk-tivität zu befreien.
Differentialdiagnostik ist ein Begriff aus der Medizin. Dabei geht es darum, zu unterscheiden. Ich werde es kurz erklären. Für LeserInnen mit medizinischer Ausbildung ist der folgende Abschnitt überflüssig.
Zum Beispiel niesen Sie 3 mal. Warum?
ist es der Beginn einer Allergie, an der sie demnächst ersticken werden?
oder ist Ihnen einfach etwas Staub in die Nase geraten?
oder hat die Sonne Sie gekitzelt?
oder ist es der Beginn einer Erkältung
oder gar der Beginn einer heftigen Grippe?
oder der Beginn einer exotischen seltenen Krankheit?
Wahrscheinlich warten Sie erst einmal ab. Und vergessen das Niesen, weil weiter gar nichts passiert. Falls Sie von nun an aber öfters niesen müssen und noch dazu Ihre Nase anfängt zu laufen, fangen Sie an, darauf zu achten. Sie überlegen: waren Sie warm genug angezogen? Haben Sie zu wenig Vitamine zu sich genommen, zu wenig geschlafen, ist Ihr Immunsystem geschwächt? Oder könnten Sie sich irgendwo angesteckt haben – wo wohl? Und womit? Oder entwickeln Sie tatsächlich eine Allergie? Wogegen wohl? Hier fangen Sie schon selbst an, Differentialdiagnostik zu betreiben.
Wenn das Niesen wieder aufhört und das Nase-Laufen auch, hören Sie auf, darüber nachzudenken. Wenn es aber nicht aufhört, sondern heftiger wird und sich womöglich weitere Symptome dazu gesellen, gehen Sie zum Arzt. Nun ist er dran: Sie schildern ihm die Symptome, und er überlegt, bei welchen Krankheiten die Menschen gewöhnlich niesen und so weiter.
Erkältung, Grippe und Allergien stehen ganz oben in der Rangordnung. Also wird er Sie daraufhin untersuchen und Ihnen entweder Entwarnung geben - „ein bisschen mehr Ruhe und viel Trinken, mehr brauchen Sie nicht“. Oder er verschreibt Ihnen Antibiotika, falls sich schon Bakterien dazu gesellt haben. Oder er verschreibt Ihnen ein Antiallergikum. Meistens ist es damit gut – für Sie und für den Arzt.
Allerdings gibt es noch viele weitere Krankheiten, die mit Niesen und Nase-Laufen anfangen können, seltene Erkrankungen, an die auch der Arzt erst mal nicht denkt. Erst wenn seine Maßnahmen „nicht greifen“, überlegt er weiter. Manchmal kommt er drauf. Doch wenn nicht, geht die Fachärzte- und -klinikwanderung los...
WORAUF soll der Arzt untersuchen? Zuerst muss er eine Idee haben, welche Art von Erkrankung es sein könnte. Erst dann kann er spezielle Untersuchungen anregen. Dazu braucht er fundiertes Wissen. Dazu hat er studiert. Nicht jeder Hausarzt und auch nicht jeder Facharzt kennt alle Krankheitsmöglich-keiten! Denn es gibt auch sehr seltene Krankheiten, und für die Krankheiten, die noch nicht erforscht sind, gibt es sowieso weder Untersuchungen noch Diagnosen noch konventionelle Behandlungsmöglichkeiten.
Persönlichkeiten diagnostizieren
Krankheiten sind verschieden, obwohl sie ähnlich aussehen können, und gute Diagnostik ist eine Kunst. Auch menschliche Persönlichkeiten sind verschieden, obwohl sie ähnlich erschei-nen können. Auch sie können diagnostiziert werden. Welcher Art sind die Unterschiede?
menschliche Handlungen können gleich erscheinen,
erfolgen aber aus unterschiedlichen Motiven,
daraus resultieren unterschiedliche Ergebnisse.
Noch einmal anders ausgedrückt
wer macht was?
und warum?
und was kommt dabei heraus?
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