Sigrid Ellenberger - Dame ohne König

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Das Leben von Constanze Holm wird mächtig durcheinandergewirbelt, als ihr Mann Klaus die Familie verlässt und bei einer Unkomplizierteren einzieht. Constanze ist somit alleine für die Kinderbetreuung, den Unterhalt, ihre Job- und Wohnungssuche zuständig.
Mit wachsendem Selbstvertrauen findet sie beides: einen neuen Job, der sie finanziell unabhängig macht und eine neue Wohnung auf einem Bauernhof – sehr zum Gefallen der Kinder und ihrem Hund Robert.
Doch dann wird Robert krank und Constanze, die sich eigentlich nie wieder verlieben wollte, blickt in die Augen eines unglaublich attraktiven Tierarztes …

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Zehn vor acht (Mund am Tee verbrüht, da mich das Telefon erschreckt hatte)

„Constanze, halt dich fest!“

Es war wieder einmal Susi. Sie war einfach immer und zu den unmöglichsten Zeiten präsent. Und schon so wach!

„Umberto sucht eine selbständig arbeitende Übersetzerin bei freier Zeiteinteilung. Na ja, zumindest ein bisschen frei! Das bist DU!“

Ja. Und tausend andere.

„Susi, ich habe seit Jahren nicht mehr in meinem Beruf gearbeitet. Ich weiß gar nicht, ob ich da die allergeringste Chance hätte.“

Umberto war meines Wissens ein großer italienischer Konzern, der Großgeräte in Großküchen einbaute. Wahrscheinlich suchten sie auch eine „große“ Übersetzerin. Also: nicht mich.

„Quatsch. Ich habe schon mit Sandra gesprochen, du kennst doch Sandra aus meinem Zumba-Kurs? Egal. Sie ist dort Assistentin des Personalchefs. Der restlichen Welt ist noch gar nicht bekannt, dass dieser Job frei ist.“

Das war wieder einmal typisch Susi: ich wunderte mich, dass sie noch nicht meinen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte.

„Hier ist die Telefonnummer: 8744300. Sandra wartet auf deinen Anruf. Du kannst dir direkt einen Vorstellungstermin vereinbaren. Und mach' schnell, denen brennt es unter den Nägeln. Ihre einzige Übersetzerin ist nämlich letzte Woche Hals über Kopf nach Italien abgereist, weil sie einen italienischen Starkoch kennengelernt hat. Irgendein reicher Macker mit wenig Zeit und viel Geld. Das müsste uns mal passieren, was?“

Es war unglaublich, wie schnell und ohne Luft zu holen Susi reden konnte. So schnell konnte ich nicht mal denken.

Nachdem Susis Worte meine Gehirnwindungen erreicht hatten und die Synapsen sich zur Teamarbeit zusammengefunden hatten, wurde ich ganz zappelig. Das war ja fast zu schön, um wahr zu sein. Selbständig arbeiten war überhaupt die Lösung meines Problems. Mutter sein und bei freier Zeiteinteilung gleichzeitig einen Job erfüllen war die optimale Kombination für mich. Sollten die bei Umberto mich wirklich einstellen, musste ich nicht einmal in eine andere Region umziehen. Swenja musste nicht den Kindergarten wechseln, Julia konnte weiterhin ihre Freunde aus der Krabbelgruppe besuchen und vor allen Dingen blieb mir Susi auf eine kurze Tasse Tee erhalten.

In meinen Gedanken malte ich mir schon unsere Zukunft aus.

„Na, was sagst du?“, riss Susi mich wieder in die Gegenwart zurück.

„Nun, versuchen kann ich es ja einmal. Mehr als eine Absage werde ich schon nicht kassieren, oder?“

Ich hörte Susi am anderen Ende der Leitung jubilieren.

„Constanze, so gefällst du mir. Hurra, ich habe meine alte Freundin zurück!“

16:00 Uhr (Lippe dick angeschwollen)

Meine Güte, war ich aufgeregt! Zwischen herumstehenden Kisten, ungebügelter Wäsche und Memory spielenden Kindern suchte ich verzweifelt nach meinen Schminksachen und meinem Lieblingsparfüm. Irgendwie hatte ich diesen Accessoires in letzter Zeit keinerlei Bedeutung mehr beigemessen. Ich hatte fast schon vergessen, wie gut ich mich frisch geschminkt fühlte. Wieso hatte ich mich eigentlich in all den Jahren für Klaus geschminkt und nicht für mich selbst? Ich war gerade dabei, eine völlig unbekannte, aber spannende Seite an mir zu entdecken. Würde ich die durch die Trennung gewonnenen Erkenntnisse in einem Buch zusammenfassen, würde ich vermutlich auf irgendeiner Bestsellerliste landen. Constanze Holm – die Retterin der Single-mit-Kindern-Frauen. Ich strotzte vor Stolz!

„Schau mal, Julia, Mama macht sich hübsch“, flötete Swenja.

Mama macht sich nicht hübsch, sie ist es. Mal abgesehen von der dicken Lippe. Manchmal musste es nur ein bisschen betont werden.

Meine beiden Mädchen schauten begeistert zu, wie ich meine Nägel lackierte, Make-up auftrug und meine Augen mit einem passenden Kajalstift ummalte.

Es war vier Uhr am Nachmittag aber ich fühlte mich wie nach einem langen, erholsamen Zwölfstundenschlaf.

„Kinder, Susi holt euch gleich ab und geht mit euch in den Zoo.“

Und Mama pinkelt sich vor Aufregung gleich in die Hose.

Ich hoffte inständig, diese Stelle zu bekommen! Etwas bange wagte ich einen Blick in den Spiegel, ob sich meine Hektikflecken am Hals schon einfanden. In kluger Voraussicht hätte ich besser einen Rollkragenpullover angezogen, aber das käme sicherlich sehr sonderbar, angesichts der Temperaturen um die achtundzwanzig Grad. Celsius, versteht sich.

Mein Italienisch und mein Englisch waren gut, zugegeben. Aber schließlich hatte ich seit mehr als fünf Jahren nicht mehr als Übersetzerin gearbeitet. Meine Sprachkenntnisse hielt ich nur durch gelegentliche Lektüren auf dem Laufenden. Allerdings ging es in diesen Lektüren selten um Großküchengeräte. Was hieß eigentlich Gefriertruhe auf italienisch?

Ich fummelte nervös an meinen unbezähmbaren Locken herum, als Susi klingelte und die Mädchen gefolgt von einem winselnden Robert wie Furien zur Haustür rannten.

„Hallo meine Lieben, seid ihr fertig?“

Susi wuschelte Swenja durch die Locken und nahm Julia auf den Arm.

Robert nahm sabbernd vor ihr Platz und hoffte auf einen Hundekeks.

Ich drückte Susi alle zusammengesammelten Kinderutensilien in die freie Hand.

„Und vergiss nicht, Julia ihre Nachmittagsmilch zu geben … und Swenja soll nicht so viele Süßigkeiten essen, sonst bekommt sie wieder Bauchschmerzen. Und pass auf, dass die beiden nicht ins Affengehege greifen, die Kapuzineräffchen werden leicht aggressiv … und schau ...“

Susi lachte und winkte ab.

„Mensch, Constanze, so aufgeregt habe ich dich ja noch nie erlebt! Es wird schon schiefgehen. Die bei Umberto sollen froh sein, wenn sie dich kriegen.“

Ich wünschte mir etwas von Susis Optimismus.

„Grüß bitte Sandra von mir, ja?“

Sandra? Ach so, Susis Sportkollegin. Alles klar.

Und jetzt fiel es mir auch wieder ein: congelatore, das italienische Wort für Gefriertruhe.

18:00 Uhr (Schweißperlen auf der Stirn und Schweißflecken unterm Arm)

„Dann wären wir uns also einig?“

Und W I E einig wir uns waren. Ich konnte es kaum fassen: ICH hatte die Stelle. Signore Castello - „nennen Sie mich doch bitte Tonio“ - war mir auf der Stelle sympathisch. Ich schätzte ihn auf Ende vierzig, schwarzhaarig mit leicht angegrauten Koteletten, einem unsagbar netten Lächeln, bei dem sich kleine Grübchen in seinen Wangen zeigten und einem kleinen, aber unübersehbaren Bäuchlein. Vermutlich kochte Signora zu gut.

Ganz offensichtlich mochte er mich auch.

Tonio beschrieb mir meinen neuen Job: geplant waren ungefähr fünfundzwanzig Wochenarbeitsstunden für Übersetzungen und etwa zwei Stunden jeden Montag im Hause Umberto zur Besprechung im Team. Die Bezahlung war absolut zufriedenstellend. Meine Arbeiten konnte ich mir je nach Bedarf abholen und nach der Übersetzung wieder abliefern. Die Fahrtkosten würde Umberto übernehmen. Handbücher sollten mir online zugehen. Online? Das hieß, ich brauchte einen eigenen PC. Klaus hatte unser Laptop nämlich eingepackt noch bevor ich es vermissen konnte. Wohlgemerkt: er hatte nicht alle Unterhosen eingepackt, aber sein Laptop!

Als ich Tonio zum Abschied die Hand schüttelte, fühlte ich einen kleinen Anflug von Stolz. Und Glück.

Ja, nach sehr langer Zeit war ich wieder glücklich. Und das hatte nichts mit einem Mann zu tun. Na ja, nicht direkt!

18 Uhr 30 (wieder zwischen Kisten und Kästen)

Ich machte mich, zu Hause angekommen, sofort daran, den „Müllberg“ zu studieren, eine Zeitung, in der man vom Partner bis zum Trödel alles fand. Ich beschloss, mir einen eigenen PC und die dazugehörigen Übersetzungsprogramme zu kaufen, möglichst gebraucht.

Im „Müllberg“ gab es allerhand Auswahl an Computern und Zubehör. Für mich hörten sich die meisten davon an, als wären es spanische, nein, chinesische Dörfer. Ich war zwar seit ein paar Jahren nicht mehr in der Arbeitswelt zuhause, hatte aber den Eindruck, man hätte mich direkt in ein neues Jahrtausend gebeamt. Wie in „zurück in die Zukunft“.

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