Ja, sie taten nur so, als ob sie nett wären. Aber sie wollten mich nur auslachen. Ja, ja, sie haben uns eingeladen, nur um zu zeigen, welche schönen Möbel sie haben. Weil sie wussten, dass wir nicht so viel Geld haben wie sie.
Übertreibe nicht, Lisa, das stimmt nicht, dass ich mit allen und mit jedem unzufrieden bin. Warum verteidigst du immer Menschen, die mir nicht guttun?
Ja? Was kann ich dafür, dass alle so doof sind?
Es liegt an mir?
Du übertreibst ein bisschen, Lisa. Echt!
Willst du sagen, dass ich ein unglücklicher Mensch bin, weil ich den Lärm von diesen ausländischen Kindern nicht ertragen kann?
Aber Lisa, du übertreibst jetzt wirklich. Willst du wirklich behaupten, dass sie keine Ausländer sind? Nur weil ihre Mutter aussieht wie du? Das macht sie zu meinen Landsleuten?
Ich würde nicht die Fahne des Vaterlandes mit ihnen verteidigen.
Was ist nur aus uns geworden? Echt. Es geht wirklich zu weit, wenn du sagst, dass du mich nicht verstehst! Dass ich krank bin! Weil ich in meinem eigenen Land meine Ruhe haben will!
Hast du das wieder gehört? Hast du, Lisa? Sie haben sogar gelacht, während ich mich hier ärgere. Sie lachen und sind fröhlich, Lisa. In meinem Land, die Ausländer lachen, es geht ihnen gut und ich habe Burnout. Es geht ihnen besser als mir! Lisa, ist das fair? Nein, das kann doch nicht wahr sein. Oh mein Gott, das haben wir jetzt davon, wenn nur Adolfo da wäre. Er hatte Recht. Das hat man davon, wenn sich unsere Frauen mit solchen primitiven Menschen vermischen.
Ich soll damit aufhören? Das sagst du, Lisa? Du nennst mich einen dummen Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen? Das ist aber ein harter Vorwurf, Lisa… Du weißt, ich habe nichts gegen Ausländer, aber…
Ich soll meinen Mund halten? Du verteidigst diese Halbmenschen?
Hörst du? Lisa, komm mal hierher. Hörst du nicht? Sie lachen, haben Spaß und scheinen glücklich zu sein. Sie scheinen glücklich zu sein hier in meinem Land und ich? Und ich, Lisa?
Gib mir doch eine Antwort! Und ich? Habe ich nicht auch das Recht darauf, glücklich zu sein?
Sie haben mich nicht daran gehindert, auch glücklich zu sein? Was sie damit zu tun haben könnten, dass ich nicht lache?
Was kann ich denn dafür, dass ich Burnout habe? Dass es mir nicht gutgeht? Dass ich überall nur ausgelacht werde? Was kann ich denn dafür, Lisa? Warum soll es ihnen besser gehen als mir? Warum? Sollte es nicht andersherum sein?
Moment mal. Was höre ich da? Eine männliche Stimme, wer sonst als ihr verdammter Vater?! Ja, der ist es und er lacht auch. Ich glaube sie haben Besuch, Lisa. Ich höre plötzlich unterschiedliche Stimmen von Kindern und Erwachsenen. Du auch?
Und das stört dich nicht?
Hör mal, sie lachen, sie haben Freude und das hier in diesem, unserem Land. Wer gibt ihnen das Recht, sich bei uns so aufzuführen? Oh Landsleute, oh Landsleute, stellt euch mal vor. Sie lachen, die Kinder hüpfen, schreien, sie amüsieren sich, sie haben Spaß, sie sind glücklich – und wir?
Lisa, du übertreibst jetzt aber wirklich. Ich soll nicht sagen wir, sondern ich ? Ich soll sagen, sie sind glücklich – und ich ?
Was? Du bist auch glücklich? Hör bloß damit auf. Du willst es so hinstellen, als ob ich das Problem wäre? Das versuchst du immer. Bist du noch normal, Lisa, dass du die Geräusche von solchen Menschen duldest? Wie kannst du es akzeptieren, dass es ihnen gutgeht und ich jeden Tag hier in meiner Wohnung sitze und die ganze Zeit jammere?
Sie bekommen oft Besuch. Niemand besucht mich in meinem eigenen Land. Wann hat uns das letzte Mal jemand besucht? In unserem eigenen Land haben wir kaum Landsleute, die unsere Freunde sind. Oh Gott, wie tief ist unser Land gesunken? Wie ist es passiert, dass wir so miteinander umgehen? Der Nachbar drüben, ja der gegenüber, kann sterben und seine Leiche drei Monate in der Wohnung liegen und vertrocknen und wir würden es hier, in zwei Meter Entfernung, nicht mal mitbekommen, nur weil wir nichts miteinander zu tun haben wollen.
Was sagst du? Ich habe dir nicht richtig zugehört. Was? Diese Familie über uns ist nicht schuld daran, dass wir uns nicht lieben? Wer hat gesagt, dass sie schuld sind? Ich habe das nicht gesagt, aber ist das ein Grund für sie, uns zu zeigen, dass man lachen kann und darf? Dass man glücklich sein kann? Sie wollen uns nur ärgern. Sie wollen uns nur sagen: „Seht mal, wir kommen von weit her, wir sind bei euch und es ist schön hier.“ Was ist eigentlich so toll hier, dass man so lachen muss? Die Arbeit? Der Stress? Der Druck? Die Du-bist-mir-egal-Gesellschaft? Hä, Lisa? Wenn ich Unrecht habe, hörst du außer ihnen hier in diesem Haus noch jemanden lachen? Man hat den Eindruck, wir schämen uns, zu existieren, zu leben. Hast du schon mal jemanden auf der Treppe angetroffen? Nie, sagst du selbst. Glaubst du, das ist Zufall? Wir trauen uns nicht, uns zu begegnen. Wenn jemand rausgehen will, geht er an seine Tür und lauscht zuerst, dass niemand zu hören ist, dass niemand gerade auch die Treppe herunter oder hinaufgeht, und erst dann geht er raus und schnell, schnell ist er weg. All das, damit er niemandem begegnet, denn Begegnungen bedeuten „Hallo“, ob man will oder nicht. Stimme mir zu! Oder meinst du immer noch, dass ich verrückt bin? Das schlimmste, wovor wir am meisten Angst haben, ist zu hören: „Wie geht es dir?“ Bin ich schuld? Wie geht es dir? Aber wollen sie hören, wie es einem wirklich geht? Antworte doch wahrheitsgemäß und erzähle ihnen, wie es dir wirklich geht. Welche Depression du hast! Wie oft du Migräne und Kopfschmerzen hast, wie fertig du bist, dass du ständig Sorgen und Angst hast, wie einsam du bist. Tue es, und am nächsten Tag wird niemand noch mit dir zu tun haben wollen. Das ist unsere solidarische Gesellschaft.
Du verstehst mich, aber diese Menschen sind nicht schuld dran? Das mag sein. Aber warum erinnern sie uns daran, dass es jemandem dennoch gutgehen kann in so einer egoistischen Umgebung? Ja, das ist das Problem. Wenn sie ständig glücklich sind, schäme ich mich, dann ärgere ich mich, dass ich es nicht auch sein kann.
Bevor dieser Afrikaner mit seiner Familie eingezogen ist, konnten wir kaum Leben in diesem Haus wahrnehmen. So konnten wir unsere Mängel verdrängen, wir waren alle nicht glücklich in unserem Gefängnis, aber wir wurden auch nicht damit konfrontiert. So hatten wir nur einen einzigen Schmerz.
Und ausgerechnet der da will mir zeigen, was mir fehlt?
Hörst du, wie laut sie lachen? Immer lauter werden sie. Sie scheinen wirklich Spaß daran zu haben, uns zu ärgern. Ja, glaub mir, sie wissen, dass es uns wehtut. Das ist Absicht.
Dir macht es nichts aus? Du bist eine Heuchlerin. Ich bin sicher, dass es dir nicht egal ist. Warum lachst du dann nicht selbst oft mit mir? Warum hast du immer dieses strenge Gesicht? Wenn ich dich sehe, sehe ich nur Leid, Jammer. Du hast ständig Angst und frisst alles in dich hinein. Du bist langsam schon richtig fett.
Oh, ich soll mich selber ansehen? Ich soll mein Spiegelbild betrachten? Warum machst du dich lustig über mich? Weil ich übergewichtig bin? Ich habe doch Burnout! Das weißt du doch!
Willst du mir sagen, dass er da oben glücklich ist, weil er toll und sportlich aussieht? Siehst du, sie kommen zu uns und nehmen uns sogar das Schlanksein weg. Was können wir noch tun und sein in unserem eigenen Land?
Er hat mich nicht daran gehindert, Joggen zu gehen? Er ist nicht derjenige, der mir Bratwurst und Pommes oder Schweinshaxe kauft? Was willst du damit sagen? Die Bratwurst ist nicht schuld! Es ist der Döner von diesem Orientmann um die Ecke, nur Fleisch, Tsatsiki – ein richtig fettes Milchprodukt – und Weißbrot. Das willst du nicht sehen, Lisa. Nicht unser Essen macht mich dick, sondern das Essen von diesen Fremden. Das ist ein Komplott, damit wir alle dick werden. Willst du mir immer noch nicht Recht geben?
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