Anthony gab als erster seinen Garderobenzettel ab, und die Garderobiere nahm das Trinkgeld Mr. Goldheims für die ganze Gesellschaft.
»Können wir Sie irgendwo hinbringen?«
»Wenn Sie so liebenswürdig wären, mich bei Ritz-Carlton abzusetzen?« sagte Anthony zögernd. »Das heißt, nur wenn es auf Ihrem Wege liegt.«
Es traf sich gut, daß die anderen den Nachmittag in einem Theater zubringen wollten, das ganz in der Nähe dieses palastartigen Hotels lag. Anthony blieb noch einen Augenblick im Eingang stehen und winkte seinen liebenswürdigen Gastgebern zum Abschied zu, dann trat er in die Empfangshalle.
»Ich möchte ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer haben.«
Er hatte nicht die geringste Absicht gehabt, in das Ritz-Carlton oder irgendein anderes Hotel überzusiedeln, aber im Augenblick kam ihm der Gedanke, daß dies das richtige Hauptquartier für einen Briganten sei, der der ganzen Gesellschaft den Krieg erklärt hatte.
»Ich werde mein Gepäck später schicken. Aber wohlverstanden, ich muß Zimmer haben, von denen aus man die Straße übersehen kann.«
»Darf ich um Ihren Namen bitten?«
Anthony zeichnete sich in bester Stimmung in das Hotelbuch ein, und bevor der Portier erwähnen konnte, daß bei Ritz-Carlton Zimmer für Leute ohne Gepäck nicht reserviert werden, wenn sie nicht eine große Anzahlung machten, fragte Anthony schon, wo die nächste Depositenkasse der Hardware Trustbank von New York sei.
»Wenn Sie herauskommen, gleich rechts, mein Herr. Dann müssen Sie noch einmal nach rechts abbiegen und die Geschäftsräume liegen vor Ihnen. Es ist aber gebräuchlich, daß man ...«
Aber in diesem Augenblick kam eine willkommene Unterbrechung.
Jemand klopfte Anthony auf die Schulter. Er wandte sich um und sah in das Gesicht eines großen, liebenswürdig dreinschauenden Herrn, dessen dunkle Gesichtsfarbe darauf schließen ließ, daß er sein Leben in der frischen Luft verbrachte.
»Sie sind doch Mr. Newton?« fragte er erwartungsvoll.
Anthony trat einen Schritt zurück und streckte dann die Hand aus.
»Ich kann mich wirklich nicht auf Ihren Namen besinnen, aber ich kenne Sie doch so gut?«
»John Frenchan, von der Firma Frenchan und Carter. Sie erinnern sich doch an unser Geschäft in Kapstadt?«
»Aber selbstverständlich«, sagte Anthony begeistert und schüttelte die Hand des anderen kräftig. »Daß ich das vergessen konnte! Wo haben wir uns doch gleich kennengelernt? Aber jetzt weiß ich Ihren Namen. Er war mir früher so geläufig wie mein eigener.«
Er wandte sich von dem Tisch ab, und der Hotelangestellte wagte nicht, die beiden in ihrer Unterhaltung zu stören. Er schrieb mechanisch eine Zimmernummer hinter Mr. Newtons Namen, aber in seine Privatliste trug er ein: »Kein Gepäck.« Und dahinter setzte er ein Fragezeichen, das auch mehr als berechtigt war.
Anthonys neuer Freund führte ihn in den Palmengarten, wo die Herrschaften bei Kaffee und Zigarren saßen. Ein Kellner trat heran und setzte Stühle für sie zurecht.
»Sie haben ja schon gespeist – darf ich Sie vielleicht zu einer Tasse Kaffee einladen?« fragte Mr. Frenchan. »Mit welchem Schiff sind Sie denn herübergekommen?«
»Mit der Balmoral Castle«, antwortete Anthony.
In seiner früheren Stellung hatte er viel mit Schiffen und Schiffsverbindungen zu tun gehabt, und es waren ihm nicht nur die Dampfer der Castle Line geläufig, sondern auch der Name der bekannten Firma Frenchan und Carter, die zu den größten Importeuren von landwirtschaftlichen Maschinen in Kapstadt gehörte. In der Zeitung hatte er gelesen, wann die Balmoral Castle angekommen war.
»Ich habe Sie schon im Pallaterium erkannt«, sagte Frenchan. »Ich war meiner Sache ganz gewiß.«
»Wie?« fragte Anthony und entdeckte plötzlich, daß dieser Mann einer der drei Herren war, von denen er sich während des Mittagessens beobachtet geglaubt hatte. »Aber natürlich, ich habe Sie auch erkannt, ich wußte nur nicht, wo ich Sie unterbringen sollte.«
»Ich glaube, Sie haben auch viel Geld in Südafrika verdient?« Mr. Frenchan schien nach dem Ton seiner Stimme mit dem Erwerb seines eigenen großen Vermögens nicht recht zufrieden zu sein. »Es ist doch so leicht, Geld zu verdienen. Aber ich muß sagen, ich habe mich wohler gefühlt, als ich nur ein Pfund in der Woche hatte. Geld macht nicht glücklich!«
Anthony, der noch niemals so viel Geld besessen hatte, um sich zu einer solchen Auffassung aufzuschwingen, war ein wenig betroffen.
»Ja, ich habe ungefähr zwanzigtausend Pfund verdient.« Er zuckte die Schultern, um anzudeuten, daß eine solche Summe eigentlich nicht recht als Geld bezeichnet werden könne. »Aber ich war ja auch nicht lange in Afrika.«
Mr. Frenchan sah ihn mit neuem Interesse an. Als einen Vertreter der Kapitalisten könnte man Mr. Newton gebrauchen, aber wenn er ein selbständiger Kapitalist war, eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten, Geschäfte mit ihm zu machen.
»Kennen Sie die Goldheims sehr gut? Ich sah, daß Sie mit ihnen speisten.«
»Ich kann nicht gerade behaupten, daß ich sie sehr gut kenne«, entgegnete Anthony, der erkannte, daß er in diesem Augenblick nicht lügen durfte. »Ich habe sie eigentlich mehr durch Zufall kennengelernt.«
»Ein tüchtiger Geschäftsmann, dieser Goldheim.« Mr. Frenchan blickte nachdenklich auf seine Zigarre. »Er verdient sein Geld mit Petroleum. Der Mann ist eine Million wert, vielleicht auch zwei.«
»Sehen Sie einmal an!« Und um etwas zu sagen und auch zugleich einige nützliche Nachrichten zu sammeln, fragte Anthony: »Bleiben Sie lange in London?«
»Etwa drei bis vier Monate.« Mr. Frenchan machte ein unzufriedenes Gesicht. »Ich wäre überhaupt nicht hergekommen, wenn mein armer, verrückter Bruder nicht gestorben wäre.«
Anthony war gespannt, ob es die Armut oder die Verschrobenheit des verstorbenen Mr. Frenchan war, über die sich sein neuer Freund so aufregte. Sicherlich ärgerte er sich über eins von beiden, denn seine Züge verfinsterten sich.
»Ein Mann hat kein Recht«, explodierte er plötzlich, »die Mildtätigkeit bis zur Verrücktheit zu treiben. Wenn jemand sein Testament macht, soll er so über sein Vermögen disponieren, daß er seine Verwandten nicht lächerlich macht. Man soll sie beneiden, ja – aber nicht die Achseln über sie zucken.«
Anthony gab das ohne weiteres zu.
Mr. Frenchan sah entrüstet aus. Er schob seine Unterlippe vor und machte gerade keinen liebenswürdigen Eindruck.
»Wenn er tausend Pfund dem Waisenhaus, tausend Pfund einem Hospital in London und dann vielleicht noch zehntausend für ein Kinderheim hinterlassen hätte, würde niemand etwas dazu sagen. Persönlich bin ich auf das Geld meines Bruders überhaupt nicht angewiesen, ebensowenig meine Familie.«
Anthony entnahm dieser wegwerfenden Erklärung, daß der verstorbene Mr. Frenchan seinem Bruder überhaupt nichts hinterlassen hatte.
»Zu welcher Religion bekennen Sie sich eigentlich, Mr. Newton?« fragte Frenchan plötzlich und völlig unerwartet.
Anthony war einen Augenblick verdutzt.
»Ich gehöre zu den Altmethodisten«, sagte er dann. Wenn er überhaupt einer besonderen Kirche angehörte, so war es diese Sekte. Als Kind war er jeden Sonntagmorgen in ihre Kirche mitgenommen worden.
Der Eindruck, den diese Nachricht auf Mr. Frenchan machte, war überwältigend. Er lehnte sich weit in seinen Stuhl zurück und sah den jungen Mann lange groß an.
»Was für ein merkwürdiger Zufall«, sagte er dann langsam. »Sie sind der erste Altmethodist, dem ich in diesem Lande begegne.«
Anthony war sehr erstaunt. Er hatte niemals geglaubt, daß die Sekte, der er früher angehörte, einen solchen Eindruck hervorrufen könnte ... und er dachte nun dankbar an die kleine Kapelle zurück, die er in seiner Jugend immer besucht hatte.
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