Goldmann selbst wurde später aus politischen Gründen abgelöst. Dem Verleger passte die Ausrichtung des Magazins nicht mehr, und er wurde zum Gourmetblatt STILVOLL FEIERN abgeschoben. Wo er es aber nicht lange aushielt und von sich aus kündigte.
Die Verlagsgruppe, zu der auch der STAR gehört, wünschte sich in dieser Zeit eine mehr wertkonservative Grundhaltung, wie es der Vorstandsvorsitzende nannte, und in diesem Zusammenhang mussten noch andere Redakteure gehen.
„Dann lieber zu einer kleinen Tageszeitung“, sagte Goldmann, der damals zunächst zum Göttinger Tageblatt wechselte, „als vor Langeweile sterben.“
Wir telefonieren noch in größeren Abständen miteinander, und manchmal hole ich mir Rat bei ihm. Inzwischen arbeitet er nur noch als freier Journalist und schreibt vor allem witzige, politische Kolumnen.
Seinen Nachfolger beim STAR , Gerlach, kenne ich kaum. Wir sehen uns selten, aber er lässt mich in Ruhe arbeiten, und das ist das Wichtigste.
„Phil“, sagte Goldmann damals in Hamburg, „Sie sind einfach zu schade für diese provinzielle Kacke. Entschuldigen Sie, ich meine nicht die Sendung. Ich meine, Sie vertrödeln dort nur Ihre Zeit und Ihr Talent.“
Der Meinung war ich ganz und gar nicht. Ich arbeitete gern für den Sender, der mir fast Zuhause war wie meine Heimatstadt Herford, die ich schon einige Male aus beruflichen oder privaten Gründen verlassen hatte, in die ich aber immer wieder gern zurückkehrte.
Ich wohnte nach der Trennung von Vera inzwischen im ersten Stock eines alten Patrizierhauses am Ufer eines kleinen Flusses, der Werre , und fuhr jeden Tag die paar Kilometer entweder mit dem Auto oder Zug nach Bielefeld zum Westdeutschen Rundfunk, der sein Sendezentrum dort erweiterte.
Die Bedeutung der regionalen Sender wuchs gerade in dieser Zeit, und ich sollte im Zuge dessen größere Aufgaben bekommen, so dass ich mit dem Angebot des STAR sogar zwischen zwei interessanten Aufgaben wählen konnte.
„Hören Sie, Goldmann“, sagte ich, „ob Sie es glauben oder nicht, der Sender mit seinen Aufgaben, der Ort, die Menschen da, das ist mehr als das, was ich mir ursprünglich vom Leben erträumt habe.“
Der Chefredakteur stand aus seinem Sessel auf und trat an die gläserne Front im dreizehnten Stock des Verlagshauses. Von dort aus hatte man einen phantastischen Blick zur Elbe hin und über die Stadt.
„Ich lege Ihnen Hamburg zu Füßen“, sagte er nach einigem Hin und Her, „und Sie schwärmen mir von dieser ostwestfälischen Provinz vor. Ich frage mich, ob Sie pokern oder mit Ihrer Bescheidenheit kokettieren.“
„Ich bin kein Spieler“, antwortete ich, „ich will nur, dass Sie wissen, worauf Sie sich einlassen. Und ich will wissen, was mich erwartet.“
„Na schön, Phil“, sagte Goldmann und kehrte an seinen Schreibtisch zurück, „ich erwarte nur, dass Sie ab und zu hier aufkreuzen, von Ihren Plänen erzählen, mit dem Redaktionsleiter reden, dem Feuilletonchef oder mit mir. Ansonsten haben Sie mehr oder weniger freie Hand. Sogar bei der Auswahl der Themen. Sie reisen ganz einfach in der Weltgeschichte herum und machen mich mit Ihren Reportagen glücklich. Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, wie Ihre Seiten heißen werden?“
„Also, immer vorausgesetzt ...“
„Schon klar“, sagte Goldmann.
„Ich dachte Lebensgespräche wäre ein guter Titel“, antwortete ich, „schließlich will ich mit Leuten reden, die außergewöhnliche Geschichten zu erzählen haben. Die das Leben entscheidend beeinflusst haben.“
„ Lebensgespräche “, wiederholte Goldmann nachdenklich, „klingt in der Tat nicht schlecht. Machen Sie es, Phil.“
Ich hasse es, wenn Leute mich so nennen. Die Abkürzung meines Vornamens klingt nach jovialer, plumper Vertrautheit, aber der Mann war mir auf Anhieb sympathisch.
Goldmann war groß, dick und schien aufrichtig, was in dem ganzen Gewerbe schon eine Menge ist. Er nannte mir ein monatliches Fixum, das mich fast umhaute, dazu Spesen, Sozialleistungen und das ganze Drumherum. Während unseres ganzen Gesprächs rauchte er in einer Tour.
„Ich weiß, ich muss damit aufhören“, sagte er, „sonst bringt es mich um, aber ich kann nicht. Und das Schönste ist doch, Sie können sogar in Ihrem Nest wohnen bleiben.“
Ich erbat mir eine Woche Bedenkzeit, was Goldmann absolut nicht verstehen konnte, auch wenn er zustimmte.
„Ich sehe schon, Phil“, sagte er, „Sie sind ein ganz harter Brocken. Ich könnte Ihnen hundertfünfzig Schreiberlinge nennen, die mir jetzt zu Füßen lägen, aber bei Ihnen hab ich das Gefühl, Ihnen dankbar sein zu müssen, wenn Sie zum STAR kommen. Okay, eine Woche.“
Nach der Vorstellung besuchte ich noch eine Bar nahe dem Kleinen Haus und war überrascht, dort auch die Frau zu sehen, die im Theater neben mir gesessen hatte und sich in einer Ecke mit ihrer Freundin oder Bekannten unterhielt. Sie saß mit dem Rücken zu mir, und ich sah sie im Spiegel der Theke, an der ich auf einem Hocker Platz genommen hatte.
Ich bestellte ein Bier und fragte mich, ob ich das Stück richtig verstanden hatte. Tatsächlich drehten immer mehr Menschen durch, weil sie mit sich, ihren Partnern oder den allgemeinen Lebensumständen nicht mehr klar kamen und die Welt nicht mehr verstanden, die so schrecklich kompliziert geworden war.
Nach zehn Minuten setzte sich ein Robert neben mich und gab mir die Hand.
„Sag einfach Rob“, duzte er mich, „und wenn du ein Problem damit hast, mir deinen Namen zu nennen - auch okay. Bei uns kann jeder tun und lassen, was er will. Wir leben in einem freien Land, oder?“
Rob war Apotheker und auf einem Bundeskongress in der Stadthalle, die nahe dem Bahnhof lag und aussah wie ein schwerfälliger Tanker, der auf Grund gelaufen war.
„Sicher“, sagte ich, und Rob erzählte mir, dass er einen Zug durch die Gemeinde machen wolle.
„Aber nicht mit den anderen Cowboys“, lachte er, „ich will schließlich was von der Stadt sehen.“
Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, aber derartige Einwände hätten ihn wohl kaum beeindrucken können, die Tour auf seine Weise fortzusetzen.
„Ich nehme an, Rob steht für Robert“, sagte ich. Einfach um etwas zu entgegnen, denn mein Thekennachbar war nicht der Typ, mit dem man einfach nur schweigen konnte.
„Stimmt auffallend. Die Kollegen, mit denen ich aus Bremen hier bin, haben sich was aufs Zimmer bestellt. He, Barkeeper, einen Bourbon mit viel Eis, aber ne Nutte kann ich überall kriegen, oder? Ja, siehst du.“
Er schaute sich flüchtig in der Bar um, die nicht besonders voll war für einen Freitagabend, aber die richtigen Nachtschwärmer würden ohnehin erst später aufkreuzen.
„Ach, eins muss ich dir noch sagen, als ich mit dem Zug hier ankam, wollte ich auf der Stelle kehrtmachen.“
„Ich verstehe“, sagte ich und sah, dass meine Sitznachbarin aus dem Theater aufstand, „das Bahnhofsviertel runter zur Stadt ist wirklich eine Schande.“
„Ich musste durch einen dreckigen, verpissten Betonschlauch, vorbei an Pennern, Bettlern und Fixern, eingenebelt in einem entsetzlichen Gedränge von Schweiß, Staub und häßlichen Fratzen. Ich sag’s dir.“
Auf dem Weg zur Toilette kam die Frau an der Theke entlang und lächelte freundlich, als sie mich wiedererkannte. Ich sagte Hallo und spürte ein kurzes brennendes Gefühl unter der Haut.
Rob stierte ihr ungeniert hinterher.
„Nicht schlecht, die Alte“, sagte er, „obwohl, der Hintern ist ein bisschen fett. Kennst du sie etwa? Bist wohl scharf drauf, was?“
„Nicht so, wie du denkst“, antwortete ich und legte einen Schein auf den Tresen.
„Was soll der Quatsch?“, fragte der Quacksalber, der unbedingt noch einen ausgeben wollte.
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