„Ein guter Vorschlag. Wir folgen deinem Rat gerne.“
Ein friedlicher Abend mit eigentlich belanglosen Gesprächen folgte. Dennoch gewährten all diese Gespräche den anderen immer tieferen Einblick in die Bedürfnisse der Beteiligten und als man sich – vom Wein ein wenig betrunken – Schlafen legte, erwarteten alle eine fruchtbare Fortsetzung der Gespräche am nächsten Morgen.
Dem friedlichen Abend folgte eine ruhige Nacht, die jedoch in den frühen Morgenstunden eine jähe Unterbrechung erfuhr. Zuerst war es das drohende und fast bösartig klingende Knurren eines der drei Kangals, dann kam das herausfordernde Keckern einer Hyäne hinzu und gleich darauf eine dreistimmige tiefe Antwort. Die Kangals hatten eine Front gegen die Hyäne gebildet. Mitten in diese Geräusche hinein dann ganz plötzlich jammerndes Geschrei, die hohe Stimme eines Kindes.
Joel war als erster aus seinem Mantel und aufgesprungen. Sein Schwert flog ihm fast wie von selbst in die Hand und im Dämmerlicht des frühen Morgens entdeckte er nach kurzem Suchen eine Situation, die mehr als unwahrscheinlich anmutete.
Ungefähr hundert Schritte von ihm entfernt lauerten vier Hyänen und waren wütend, weil ihnen eine sicher geglaubte Beute entgangen war. In einem Abstand von kaum zehn Schritten standen die Kangals den Hyänen gegenüber und genau in der Mitte zwischen den beiden Fronten entdeckte Joel einen … Mann? Einen Jungen?
Was immer es war, ein Kind war es nicht, dazu war es zu groß. Doch die Stimme war die eines Kindes. Joel bückte sich rasch, klaubte ein paar faustgroßer Steine zusammen und schlenderte dann recht gemächlich auf den Tatort zu. Aus einer Entfernung von etwa fünfzig Schritten warf er den ersten Stein und traf die frechste der Hyänen genau an der Schnauze, am weit aufgerissenen, geifernden Maul. Es gab einen dumpfen Schlag mit einem klirrenden Unterton und gleich darauf ein wütendes und erbostes Heulen, die Hyäne ergriff die Flucht. Sie blutete stark am Maul und Joel war sich sicher, dass sein Wurf dem Aasfresser mindestens einen Reißzahn gekostet hatte. Joel hob den rechten Arm, ein zweiter Stein sauste hinaus und wieder jaulte eine der Hyänen auf, denn der Stein hatte sie direkt neben dem linken Ohr am Kopf getroffen. Auch diese Feindin ergriff nun die Flucht und da gaben die beiden noch übrigen Hyänen ihre Absicht ebenfalls auf, wandten sich ab und trollten sich unter wütendem Gekecker.
Die Kangals aber bildeten ein Dreieck um das Beinaheopfer, das sie eben noch beschützt hatten und verhinderten so, dass es weglaufen konnte.
Joel ließ sich Zeit. Er hatte keine Ahnung, wen die Hyänen und Kangals da aufgegriffen hatten, aber er würde es herausfinden. Mittlerweile war das ganze Lager auf den Beinen, doch nur einer machte sich die Mühe, Joel zu folgen und sich ihm anzuschließen. Yamalin schloss zu Joel auf und aus dessen erbittertem Fluchen entnahm Joel, dass der Numa ganz genau wusste, wen er dort draußen bei den Kangals antreffen würde.
„Wer ist es?“
„Einer, den wir vielleicht besser den Hyänen überlassen hätten. Prinz Bagarol, der zweite Sohn Bachailans und einer der beiden Thronanwärter. Der erste und bessere der beiden.“
„Ach ja? Wusstest du von seiner Anwesenheit?“
„Nein, natürlich nicht, denn sonst hätte ich ihn vielleicht heimlich im Maron ersäuft. Dieser kleine Satan hält sich einfach an nichts, er hat vor nichts Respekt.“
„Nun, wir werden sehen. Im Moment scheint er die Hosen voll zu haben und vielleicht hat er jetzt etwas kennen gelernt, das ihm Respekt einflößt. Hyänen und Kangals haben das auch schon bei echten Männern geschafft.“
Prinz Bagarol hatte nichts mehr an sich, das an einen jungen Mann aus hohem Hause erinnerte, sah man von seinen eleganten und ganz sicher sehr teuren Kleidern ab. Vor allem seine eng anliegenden, seidenen Hosen hatten jede Eleganz verloren, denn vorne, zwischen den Beinen hatte sich ein großer, nasser Fleck gebildet und hinten, unterhalb seines Gesäßes hing ein feuchter Knödel, der einen üblen Geruch verbreitete.
Yamalin ignorierte den Geruch und die Nässe, er nahm seinen dunkelblauen Offiziersmantel ab, legte ihn dem Jungen um die Schultern und führte ihn wortlos zu einem der beiden Wagen Bachailans. Er scheuchte den Jungen mit ein paar knappen Worten in einen der Wagen. Dort war es zunächst still, dann hörte man ein mürrisches Gemurmel und plötzlich ein fauchendes Gebrüll.
„Ich sage es dir jetzt zum letzten Mal! Du gehst jetzt hinunter an diesen verdammten Fluss und wäschst deinen verdammten, verschissenen, fürstlichen Arsch oder ich schwöre dir, ich schleife dich an den Ohren hinunter und werfe dich so weit hinaus, wie ich nur kann. Dann kannst du zeigen, wie gut ein Prinz Zeparanas schwimmen kann! Und es ist mir scheißegal, ob das Wassre im Fluss kalt ist oder nicht! Verschwinde jetzt!“
Es war Yamalins Stimme gewesen, die diese fürchterlichen Drohungen ausgestoßen hatte und gleich darauf sprang Bagarol mit nackten Beinen und nacktem Hintern aus dem Wagen und rannte zum Fluss hinunter, um seine mit Kot verschmierten Beine und Hinterbacken zu säubern. Ein gut gemeintes Vorhaben, doch auch diese Aktion ging schief. Bagarol erreichte das Flussufer und wollte gerade ein kleines Stück ins Wasser steigen und sich zu waschen beginnen, als er einen neuerlichen Schrei ausstieß. Yamalin rannte hinter ihm her und kam gleich darauf grinsend zurück. Er fragte Joshara, den er am Feuer traf:
„Der Strom hat eine Leiche angespült. Einen Mann ohne Kopf. Habt ihr ihn ins Wasser geworfen? Dann solltet ihr künftig darauf achten, dass ihr das nicht in einer Bucht oder unmittelbar vor einer Einmündung eines Nebenflusses tut. Dort bilden sich immer kreisende Strömungen und nichts, was man ins Wasser wirft, wird davon getragen.“
„Wir sind Steppenreiter. Alles können auch wir nicht wissen!“
„Ich sag es ja nur. Fürs nächste Mal…. War das Casim?“
Joshara nickte und Yamalin nahm es zur Kenntnis, doch später, am Beginn der Beratungen wollte Bachailan wissen:
„Ihr habt Casim getötet? Weshalb? Er hätte uns gute Dienste leisten können!“
Kazar nahm die Frage auf und fragte zurück:
„Und welcher Art wären diese Dienste gewesen?“
„Er stand viele Jahre im Dienst Sabandins und wusste bestimmt eine Menge über seinen Herrn.“
„Sicher, aber am Ende hat er seinen Herrn verraten und wer garantiert mir, dass er dergleichen nicht wieder tut? Ein Mann, der aus Rache und Hass gegen seinen früheren Herrn arbeitet, wird niemals ein zuverlässiger Partner oder Untergebener sein. Casims Zeit war abgelaufen und deshalb haben wir ihn Maron geschenkt. Den Kopf hat der Strom genommen, den Rest wird er sich auch noch holen, denke ich.“
Damit war das Thema Casim endgültig erledigt und man wandte sich den wichtigen Dingen zu. Alsbald stellte sich heraus, dass Bachailan den von Joel entwickelten und vom Rat der Ältesten abgesegneten Plan nicht weniger überzeugend fand, als dies Laakon und Hasket getan hatten. Auch über die Art und Weise, wie der Plan umgesetzt werden sollte, hatten sich Joel und Joshara schon ganz genaue Gedanken gemacht und noch ehe der Tag zu drei Vierteln um war, bestand streng genommen Einigkeit, dass man gemeinsam in die Zukunft gehen wollte.
Laakon war es, der alles zusammenfasste:
„Wir, die wir uns das Volk Sheehanoa nennen, werden also entlang der Grenze Kaanas feste Handelsposten einrichten und unterhalten. An keinem dieser Handelsposten dürfen weniger als zehn und mehr als hundert Menschen und die dazu erforderliche Anzahl an Tieren leben, denn auch an den Grenzen soll Kaana unbeschadet erhalten bleiben. Die Anzahl der Handelsposten, die wir einrichten bleibt uns überlassen, doch kein Posten darf von einem anderen mehr als einen Tagesritt mit einem Muli entfernt sein. Zwischen den Posten wird eine Nachrichtenübermittlung mit einem Spiegelsystem nach zeparanischem Muster eingerichtet und alle Nachrichten werden auch an den Palast in Zeparana weiter geleitet.
Читать дальше