1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 „Auf Wiederhören, Herr Kommissar.“
„Ein Einbruch bei Grebers?“, erkundigte sich Katharina, als Peter den Hörer aufgelegt hatte.
„Im September wurde in das Arbeitszimmer ihres Mannes eingebrochen. Die Täter hinterließen zwar ein verwüstetes Zimmer und waren wohl auch sonst nicht zimperlich, aber außer den Unterlagen im Safe und dem Laptop wurde offenbar nichts entwendet. Beide, Papiere wie Rechner, sind bis heute nicht wieder aufgetaucht.“
„Hältst du einen direkten Zusammenhang zwischen dem Einbruch und dem Mord für möglich?“
„Glaubst du an einen Zufall? Einen Zusammenhang einfach zu ignorieren, wäre doch grob fahrlässig. Wir müssen uns unbedingt mit den Kollegen vom Einbruchsdezernat in Verbindung setzen, um Näheres zu erfahren. Und dann sollten wir uns unter allen Umständen auf die Suche nach der Festplatte machen. Sie könnte einige Überraschungen für uns bereithalten. Greber jedenfalls war außer sich. Er zeterte lauthals, er brauche unbedingt die Papiere des Safes zurück und jammerte gegenüber unseren Beamten, seine gesamten auf dem Rechner gespeicherten Geschäftsverbindungen seien jetzt verloren.“
„Das ist doch völliger Blödsinn!“, schaute Katharina ungläubig. „Er kann doch nicht so dumm gewesen sein, von allen wichtigen privaten wie geschäftlichen Daten keine Sicherungskopie angefertigt zu haben. Wenn wir also von der Existenz einer solchen Kopie ausgehen, ist es doch hirnrissig, sich so aufzuregen.“
„Klingt vernünftig. Seine Reaktion ist eigentlich nur zu erklären, wenn es sich um belastendes Material handelt, das ihn entlarven könnte: krumme Geschäfte wie Bilanzfälschungen, Steuerhinterziehung, Immobilienbetrügereien oder andere kriminelle Machenschaften. Um Klarheit zu gewinnen, müssen wir an diese Daten herankommen, sei es über die Festplatte oder über eine Kopie. Ich bin mir sicher, dass uns die Durchsicht der Daten ein gutes Stück voranbringen könnte.“
„Und was ist mit den Unterlagen des Safes?“
„Gute Frage. An diese angeblichen Papiere kann ich einfach nicht glauben. Überlege mal. So fahrlässig ist doch heute niemand mehr, seinen Safe hinter einem Bild im Schlafzimmer anzubringen, denn dort wird er mit Sicherheit zuerst gesucht. Nein, nein, Greber war sich dessen bewusst und ließ den Safe mit voller Absicht hinter dem Bild installieren. Er wollte, dass im Einbruchsfall genau dort gesucht wird. Folglich hat er unseren Kollegen eine Komödie vorgespielt, als er darüber lamentierte, man hätte ihm wichtige Unterlagen entwendet. Der Safe war entweder leer oder enthielt nur unwichtiges Zeug. Seine tatsächlichen Unterlagen bewahrt er ganz woanders auf. – Möglicherweise hat er mit dem Versuch, unerwünschte Besucher an der Nase herumzuführen, zu hoch gepokert.“
„Damit könntest du richtig liegen.“
„Es sei, wie es sei. Jetzt konzentrieren wir uns erst einmal auf unsere nächsten Schritte. Wir sammeln, was wir haben und entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Oder anders ausgedrückt“, überlegte er, indem er tiefer in den Drehstuhl rutschte und seiner Lieblingsbeschäftigung beim Nachdenken frönte, mithilfe seines Zeigefingers eine Haarsträhne zu Locken zu drehen, „was wir wann wie machen.“
Katharina hatte nur beiläufig zugehört. Sie betrachtete unterdessen die Tatortfotos der Spurensicherung und war heilfroh, dass die groteske Szenerie, die sie in der Kapelle so mitgenommen hatte, durch die kühle Distanz der Bilder ihren Schrecken weitgehend verloren hatte. „Schau dir doch mal die Fotos an und achte auf die Körperhaltung der Leiche!“
„Tut mir leid“, antwortete Peter, nachdem er sich die Fotos angesehen hatte, „ich verstehe beim besten Willen nicht, was du meinst. Für mich liegt da nach wie vor nur ein lebloser Körper auf den Treppenstufen einer Kapelle.“
„Eben nicht! Dass der Tote so auf den Stufen liegt, ist kein Zufall. Ich bin mir sicher, es hier mit einer bewussten Inszenierung zu tun zu haben.“
„Wie, du glaubst, der Mörder hat die Leiche absichtlich so angeordnet?“
„Genau. Der angewinkelte Oberkörper, die Haltung der Arme und Beine, all das kann kein Zufall sein. Seit ich die Fotos betrachte, werde ich mein Déjà-vu-Gefühl nicht mehr los, eine ähnliche Körperlage schon irgendwo gesehen zu haben. Ich komme nur nicht drauf, wo das gewesen sein könnte. Weiter zu grübeln hat im Moment auch wenig Zweck. Es geht mir – du kennst diesen dämlichen Werbespot bestimmt auch – wie dem Mann, der einen Bekannten trifft und plötzlich dessen Namen nicht mehr weiß. Ihm verspricht die Werbeindustrie Hilfe durch ein wirksames Präparat. Ich vertraue lieber auf die zeitliche Distanz. Irgendwann fällt mir gewiss wieder ein, woher mir dieses Bild bekannt vorkommt.“
„Warten wir’s ab. Vielleicht hast du ja recht und die Leiche wurde tatsächlich mit Absicht so hingelegt. Dann hätten wir möglicherweise, sofern dir wieder einfällt, wo du das Bild schon mal gesehen hast, unter Umständen einen Hinweis auf das Motiv des Täters“, bemerkte Peter, der ganz fasziniert mit dem Rosenkranz spielte. Er ließ ihn durch die Finger der linken Hand gleiten, drehte mit dem Daumen Kugel um Kugel, ähnlich wie es Muslime mit ihren Gebetsketten machen, und betrachtete interessiert Schild und Kapuze. Als er aufschaute und Katharinas fragenden Blick bemerkte, meinte er schmunzelnd: „Sehr beruhigend. Kann ich dir nur empfehlen. – Nein, im Ernst“, und sich aus dem Stuhl aufrichtend, fuhr er fort, „ich frage mich schon die ganze Zeit, warum diese seltsamen Hinterlassenschaften? Warum einen Rosenkranz? Warum das Schild mit der Aufschrift? Warum die Kapuze? Hast du eine Idee, was der Täter damit sagen will?“
Sie strich mit einer anmutigen Bewegung eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht, schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf: „Nein, da bin ich überfragt und genauso ratlos wie du.“ Und nach einer kurzen Denkpause fragte sie sich: „Wer könnte so was tun? – Ein religiöser Fanatiker vielleicht?“
„Das passt irgendwie nicht ins Bild“, winkte Peter ab. „Der Mörder will uns das vielleicht glauben machen. Aber ich bin überzeugt davon, dass es um was ganz anderes geht und mehr dahintersteckt als ein simpler Ritualmord. Nein, so kommen wir nicht weiter. Wir dürfen das familiäre und geschäftliche Umfeld des Opfers nicht vergessen und deshalb wirst du heute mit Grebers Tochter Klara reden und ich werde mich um seinen Geschäftspartner ...“
Katharina reagierte sofort auf Peters kurze Sprechpause: „… Dirk Voller“, half sie ihm wieder mal nach einem Blick in ihr Notizbuch auf die Sprünge. „… Dirk Voller kümmern“, beendete Peter seinen Satz. „Vorher ergänzt du bitte unsere Tafelanschrift und überträgst die aktualisierte Form in den Rechner: Motivlage, Vernehmungen, offene Fragen, usw. – Du weißt schon, die ganze Palette halt. Ich werde unterdessen die Pathologie anrufen. Die haben immer noch nichts von sich hören lassen. Ach ja, was macht die Telefonliste von Grebers Handy?“
„Bisher wenig. Alle Nummern, die ich angerufen habe, gehören Personen, die wir schon kennen: Voller, sein ehemaliger Geschäftspartner, seine Tochter, seine Stammtischbrüder usw. Nichts, womit wir was anfangen könnten.“
„Und die Kontrolle seiner letzten Anrufe?“
„Ebenfalls negativ. Alles unverdächtig, keine auffällige Häufung.“
Während Katharina an der Tafel notwendige Streichungen und Ergänzungen vornahm, ergriff Peter den Hörer: „Hallo Bernd, wie sieht’s aus? Hast du schon Neuigkeiten für uns? Ihr habt euch ja bisher nicht gemeldet.“ Er hörte einen Moment schweigend zu, um dann festzustellen: „Also nichts wirklich Neues, lediglich eine Bestätigung deiner Vermutung. Okay. – Ob ich den Anwalt schon angerufen habe? Nein, noch nicht. Tschüs, bis später.“
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