Der Tod kommt ohne Vorbereitungen, er meldet sich nicht an, damit du noch Zeit hast, schnell mal noch in den Urlaub zu fliegen, deine Freunde zu besuchen, dein Testament zu schreiben, deine persönlichen Dinge zu ordnen. Nein, er überrascht dich, deine Familie und der Schock ist riesengroß, unermesslich der Verlustschmerz.
Ich habe mich gefragt, warum es auch mich so hart getroffen hat, wo wir doch alle wissen, dass bei der Geburt der Tod bei uns ist, mit uns verbunden ist, untrennbar. Liegt es daran, dass wir uns nicht genügend vorbereiten, ihn nicht akzeptieren wollen, den Tod am liebsten zum Mars schicken möchten ohne Rückfahrkarte, weil wir leben wollen? Ja, das wollen wir! Und doch wissen wir, dass es begrenzt sein wird, dass wir irgendwann in die Box springen werden, wann und zu welchen Konditionen wissen wir nicht. Macht uns das Angst, weil wir nicht wissen, WIE er zu uns kommen wird? Werden wir mit einer schweren Krankheit konfrontiert, durch Unfall, durch Suizid? Was hat unser Schicksalsplan, unser Seelenplan vorgesehen?
Ich spreche immer wieder vom Seelenplan, denn ich bin davon überzeugt, dass unsere Seele unsterblich ist, dass sie immer wieder in einen neuen Körper reinkarniert, um Erfahrungen zu sammeln, um sich weiter zu entwickeln. Wenn du Leser nicht daran glaubst, kannst du spätestens hier das Buch wieder zurücklegen, denn ich bleibe bei dieser Erkenntnis, bei diesem „Modell“ der Wiedergeburten.
Auch wenn ich keiner Religion „angehöre“, glaube ich an Gott, der schwer zu definieren ist, jedoch jeder mit ihm auf seine Art und Weise Kontakt hat, das sollte jeder respektieren, gleich welcher Religion er angehört, es gibt nur einen Gott, der hat aber viele Namen hier auf Erden.
Und ich habe mit meinem Gott geschimpft, mit ihm gehadert, ich war wirklich böse auf ihn. Wie konnte er es zulassen, dass du Timo so plötzlich von uns gerissen wirst?
Somit ging ich auf die Suche nach Antworten auf meine vielen Fragen in der Hoffnung, das Geschehene zu verstehen und begreifen zu lernen, es zu akzeptieren, irgendwie. Dieser tiefbohrende undefinierbare Dauer-Herzschmerz, die unendliche Wut, die energieraubende Trauer, das große tiefe Tränental und Orientierungslosigkeit ließen mich in einen Strudel/Tornado der Zerstörtheit wiederfinden, aus dem ich versuchen muss, wieder herauszukommen.
Als am 3.11.13 gegen 14 Uhr das Telefon in meinem Kurzimmer klingelte, wusste ich schon, dass es mein Chef ist, da er sich per Handy-SMS angekündigt hatte. Doch wegen schlechter Verbindung wollte er mich unbedingt am Festnetz sprechen. Ich ahnte nichts Schlimmes, viel eher ging ich davon aus, dass er eventuell eine Akte suchte oder noch Fragen hatte, was meine Arbeit anging. Ich arbeite als Angestellte bei der Kripo. Als er am Telefon war, spürte ich in seiner Stimme einen Unterton, den ich bis dato nicht kannte. Er bat mich, mich hinzusetzen und ich dachte immer noch, dass ich irgendwie einen „Bock auf Arbeit geschossen“ habe, sonst gäbe es ja keinen Anlass, mich anzurufen.
„Timo ist tot“ … dieser Satz verfolgt mich seitdem, denn es ist eine Aussage, die ich nicht begreifen konnte, ich verstand nicht, was mein Chef sagen wollte. Ich fragte nach, was das soll und nachdem er es ein paar Mal wiederholte, musste ich es irgendwie geschnallt haben, dass er meinen Timo meint.
„Timo wurde vom Zug überfahren, er wurde identifiziert, er liegt in der Rechtsmedizin“, war sein weiterer Satz und ich legte, eher knallte ich den Hörer auf, weil ich das nicht wahrhaben wollte. Vielleicht träumte ich, denn ich war ja schon 2 Tage krank im Bett gelegen, konnte die Wanderung mit meinen Kur-Müttern nicht mitmachen.
Doch dann kam zeitgleich eine SMS von Robin: „Mum, Timo ist nicht daheim, wir wollten doch zur Oma“. Mein Gehirn lief auf Hochtouren, mein Verstand pochte hartnäckig an meiner Gehirnrinde, mein Herz raste, mir war schwindelig. Mir wurde schlagartig bewusst, dass Robin allein zu Hause war und nach Timo suchte, es war 14 Uhr. Und auf Timo konnten wir uns immer verlassen, wenn es einen vereinbarten Termin gab, hielt er sich stets daran. Wieso war Timo jetzt nicht da?
Was ich dann tat, war irgendwie gesteuert, anders konnte ich es in meinem Schockzustand nicht erklären – im Nachhinein. Ich rief meine beiden Freundinnen an und sagte nur kurz und knapp, was passiert ist, bat sie, sich sofort auf den Weg zu unserem Haus zu machen, da Robin allein ist und Timo verzweifelt sucht. Ich wollte Robin die Todesnachricht, während meine Freundinnen unterwegs zu ihm waren, am Telefon selbst überbringen, auch wenn ich 400 km entfernt und unter Schockzustand war. Ich wollte diese Aufgabe als seine Mama erledigen und wählte die Privatnummer.
Wie überbringt man eine Todesnachricht schonend? Gar nicht! Robin reagierte genauso wie ich am Telefon mit meinem Chef. Er lief die Treppen hoch zu Timos Zimmer – dort lag er nicht in seinem Bett. Er lief in den Keller, in Timos Partyraum – dort war er nicht. Verzweifelt versuchte Robin eine Antwort zu finden, dass Timo daheim ist, suchte alle Räume ab, vielleicht ist er gerade duschen …. Ich war froh, als ich die Stimmen von meinen Freundinnen am Telefon hörte und ich konnte nur noch sagen: „ich komme heute noch nach Hause“.
Sie übernahmen die Rolle, die ich hätte erfüllen müssen als Mutter, doch ich war nicht da für ihn. Ich fühlte mich wie ein aufgeblasener Luftballon, der gleich zerplatzen will. Was lief da ab, ein Film ein Traum, ja bitte, bitte ein Traum! Doch es war ein Alptraum.
Im Nachhinein war ich froh, dass Timo die Hausklingel nachts ausstellte, sonst hätte der KDD (Kriminaldauerdienst) Robin frühmorgens geweckt und Robin wäre allein Zuhause mit dieser Schreckensnachricht gewesen. Nach diesem Telefonat, suchte ich verzweifelt nach Gesprächspartner im Kurhaus, doch alle waren wandern. Niemand da! Nicht mal die diensthabende Schwester da bzw. greifbar, die Rezeption nicht besetzt. Ich verstand das nicht, dass man mich alleine ließ, wenn ich schon krank im Bett lag. Wo sind sie alle, mit wem kann ich reden?
Irgendwann fand man mich in der Eingangshalle liegend, erinnerlich war es jemand vom Küchenpersonal. Vieles habe ich vergessen, verdrängt. Es waren dann zwei Frauen bei mir, die mich beruhigen wollten, hielten mich fest, weil ich wieder loslaufen wollte, nach Hause … einfach nur nach Hause zu meinen Kindern!
Irgendwann kam die Haus-Psychologin, Seelsorger, Arzt und die Polizei in mein Kurzimmer, man hat mich dorthin gebracht, wie? Weiß ich nicht mehr. Eine junge Beamtin (Kollegin) fragte mich: „wie geht es Ihnen?“ Die Fensterscheiben in meinem Zimmer hielten den Fausthieb stand. „Wie soll es mir denn gehen, wenn ich gerade erfahre, dass mein Sohn getötet wurde?“ entgegnete ich ihr schreiend. Sie verschwand sehr schnell aus dem Zimmer.
Irgendwann waren meine Sachen gepackt und ich wartete auf den Krankenwagen, der mich nach Hause bringen sollte. Selber durfte ich nicht mehr fahren, wäre auch dazu nicht mehr im Stande gewesen. Zwei Begleiter im Krankenwagen, der jüngere davon, so alt wie Timo, hatte eine Art an sich, die mich beruhigte und mich auch an Timo erinnerte. Er hörte mir zu, soweit er mein Gestammel noch verstehen konnte, er reichte mir endlos Taschentücher. Mein Handy-Akku wurde leer, somit musste ich entscheiden, wen ich noch verständigen soll. Ich saß ja über fünf Stunden im Auto. Freunde, Timos und Robins Halbbruder, ihren Vater … dazu reichte der Akku noch.
Ich saß im Krankenwagen und immer wieder versuchte ich mir vorzustellen, wie Timo auf die Zuggleise kam? Ich wusste weder den genauen Ort, noch die Zeit, noch die Ursache. Ich bombardierte den jungen Mann, er hieß Peter, (Sanitäter) mit meinen vielen Fragen, versuchte mir einzureden, dass es Timo gar nicht sein kann und hoffte zugleich, dass der junge Mann mir das bestätigte, doch er blieb ruhig und lenkte mich ab mit anderen Themen. Ein junger Sanitäter, ca. 22 Jahre alt, schon so erfahren und voller Verständnis. Da hätte auch Timo sitzen können, denn er war genauso zurückhaltend, gefühlvoll, immer ein Ohr haben, immer für alle da, voller Fröhlichkeit und Vertrauen, dass alles gut wird. Und nun sollst du tot sein? Mein Timo doch nicht, so verantwortungsbewusst, vorausschauend, zielstrebig, niemals!
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