Christine Alexander
Warum Olga ?
Giovanni Bolognas 1. Fall
Warum Olga ?
1 Giovanni und Franzi lesen Zeitung
„Signora, Sie sollten das nicht lesen.“ Giovanni Bologna saß in seinem Lieblingscafe, dass seinem Freund Paolo Contino gehörte und trank seinen Spätnachmittags-Aperitivo. Erstaunlicherweise fühlte er sich hier, im Café P total italienisch, obwohl er meistens von älteren deutschen Damen umgeben war. Immer, wenn er feststellte, dass sein italienischer Akku leer wurde, dann kam er her, um Italianità nachzutanken. Er brauchte nur die Tür zu öffnen, und sein senso italiano, sein sechster Sinn, entfaltete sich und übernahm die Herrschaft über die anderen Sinne. Jetzt war dieser gerade bei dem Wort „signora“ angesprungen, und Giovanni richtete seine Aufmerksamkeit auf die so angesprochene hübsche rothaarige Frau, Franzi Schneider. Er kannte sie. „Signora, bitte.“ Paolo Contino tat empört. Er kam hinter der Theke hervor, mittelgroß, etwas gedrungen, schneeweißes, perfekt sitzendes Hemd über der schwarzen Barista-Schürze. „Dieser Mann ist mir ein ewiges Rätsel“, murmelte Franzi Schneider laut genug, dass die anderen es hören konnten. Sie sah von der Zeitung auf und schaute sich um. „Signor Barista, wenn Sie sich Sorgen um meine geistige Gesundheit machen, sollten Sie diese Druckwerke nicht frei herumliegen lassen. Ich dachte, sie seien zum lesen. Als Dekoration sind sie in deinem Ambiente doch völlig daneben.“ Sie schaute Paolo in die nutellafarbenen Augen, etwas zu lange für Giovannis Empfinden. Er wunderte sich, sie hatte ihn geduzt. Jetzt legte sie die Zeitung vor sich auf das Marmortischchen und setzte sich bequemer in der kleinen, eleganten, cremefarbenen Ledercouch zurecht. Sie schlug die langen Beine über und legte die gefalteten Hände, deren manikürte Fingernägel perfekt zu der Ledercouch passten, brav auf das übergeschlagene Bein, sie blickte am Hosenbein ihrer Gucci-Jeans entlang bis zu dem wippenden Fuß, mit dem daran baumelnden Pumps. Dann konnte sie sich nicht mehr beherrschen und nahm die Zeitung doch wieder zur Hand. Paolo kam mit einem kleinen silbernen Tablett, auf dem eine Tasse Espresso und ein Glas Wasser standen. „Ach, Signora, die Bildung.“ „Hier steht, dass gestern auf einer Autobahnraststätte ein erstochenes Mädchen gefunden worden ist. Weißt du, wo die Oberpfälzer Alb ist?“ „Wollen Sie etwa nachsehen fahren? Madonna. Wahrscheinlich ist die Nachricht genauso falsch, wie der Busen daneben. Signora, klappen Sie die Zeitung bitte zu. Ich kann das nicht sehen.“ „Na gut“, schmollte sie, faltete die Zeitung sehr langsam zusammen, legte sie neben ihren Caffè, strich sich die roten Locken hinters Ohr und sah sich unternehmungslustig um. „Gianni, komm, setz dich zu mir.“ Giovanni erhob sich automatisch. Wenn die Schönheit befahl, dann gehorchte er. Schon stand er vor ihr und deutete einen eventuell ernst gemeinten Handkuss an. „Ciao Signora Schneider, come va?“„Ach, Gianni, wenn ich hier bin, geht es mir immer gut. Du weißt doch, Paolos Espresso ist meine Droge. Erzähl, was gibt’s Neues? Der gestrenge Herr Barista hat mir verboten, zu lesen.“ Giovanni schaute erstaunt zu Paolo hinüber, der emsig mit seiner Kaffeemaschine beschäftigt war, dann setzte er sich neben Franzi auf das Zweiersofa. Diese strahlte ihn an und atmete tief ein. „Gianni, was hast du vor? Du siehst aus, wie frisch aus dem Journal entsprungen und duftest nach Pinien und Orangenblüten. Oh, Verzeihung, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“ Na ja, fast gelungen, dachte Giovanni. Diese Franzi Schneider war ihm manchmal ein bisschen zu schnell, besonders mit Worten. Wenn sie fand, dass er gut roch, dann konnte sie es doch für sich behalten. „Tutto normale, signora.“ Meistens war es Giovanni peinlich, auf sein Äußeres angesprochen zu werden. Er konnte doch nichts dafür, dass er aussah, wie der David von Michelangelo, nur nicht aus Marmor und mit schwarzen Locken. Wenn von seinen Modeljobs die Rede war – und das kam oft vor, weil er je nach Saison ganze Kataloge von Versandhäusern bevölkerte – würde er sich am liebsten verkriechen. Er hoffte inständig, dass sein Vater auf seinem Landgut in der Toskana niemals ein solches Druckerzeugnis in die Hände bekommen würde. Obwohl, zu enterben gab es ja sowieso nichts mehr. „Paolo, fammi un caffè, per favore. Wieso darf die Signora denn nicht lesen?“ „Selbstverständlich darf sie lesen, alles, was sie will. Aber nicht diesen Blödsinn, nicht in meinem Cafe.“ „Du bist der einzige Barista, den ich kenne, der versucht, seine Gäste zu erziehen. Obwohl, nein, aspetta, warte mal, ich kenne einen, aber in Italien.“ Seine Gedanken schweiften ab nach Pineta, einem kleinen Örtchen in der Toskana. Da hatte er einen Barista kennen gelernt, der in einer Strandbar versuchte, Holländern das Cappuccinotrinken am Nachmittag abzugewöhnen. Ein Held. Paolo holte ihn wieder ins Hier und Jetzt indem er ihm seinen Espresso hinstellte. Dabei sah er Franzi an und sagte: „Signora, es ist eine Frage des Stils. Scusi.“ „Ich habe ihn nur gefragt, wo die Oberpfälzer Alb liegt.“ Franzi strich sich erneut eine rote Lockensträhne mit silbrigen Fäden aus dem Gesicht und sah mutwillig auf die Zeitung, dann zu Giovanni. Paolo war schon mit einem Tablett und zwei perfekt zubereiteten Latte macchiato zu seinen anderen Gästen unterwegs. „Wieso? Was ist denn da? Wollen Sie dort Urlaub machen?“ Giovanni tat ihr den Gefallen, sich auf den Smalltalk einzulassen. „Ich glaube, besser nicht. Da findet man erstochene Mädchen auf Rastplatztoiletten.“ Sie zeigte auf den Zeitungsartikel. „Glücklicherweise muss das ja nicht stimmen, wenn das dort steht.“ Giovanni hatte gerade keine Lust auf unappetitliche Geschichten zum Caffè. Er erhob sich, legte Geld auf den Tisch und sagte: „Ciao, ich muss weiter, grüßen Sie den Avvocato von mir.“ „Natürlich, gern. Ciao Gianni.“ Franzi schaute auf die Uhr. „Ich gehe besser auch nach Hause, dann kann ich in Ruhe das Abendessen vorbereiten.“
2 Giovanni verabredet sich mit Herrn Schneider
Giovanni trat vor die Tür vor Paolos Cafe und schlug den Kragen seines Jacketts hoch. Er musste lächeln weil ihm seine Mutter einfiel. Sie hatte ihm diese Marotte nicht abgewöhnen können, obwohl sie jedes und jedes Mal, wenn sie seine hochgeschlagenen Kragen gesehen hatte, diese wortlos aber freundlich wieder herunter geklappt hatte und ihm danach mit den Händen über die Schultern gefahren war, wie, um etwaige Unperfektheiten zu beseitigen. Er war gerade dabei, auch noch die Hände in die Jeanstaschen zu stecken, da fühlte er sein Handy vibrieren. Er griff in die Innentasche seines Jacketts und schaute auf das Display seines Telefonino. Wie klein die Welt doch war. Er drückte auf die Schaltfläche mit dem grünen Hörer uns sagte: „Buona sera, Avvocato.“ „Wieso sera?“, fragte am anderen Ende Uwe Schneider - Rechtsanwalt und der Ehemann von Signora Schneider, mit der er eben noch so nett geplaudert hatte. „Ich hoffe, Sie sind noch nicht zu müde, um nachher einmal bei mir im Büro vorbeizuschauen.“ „No, no. Selbstverständlich nicht. Bei mir zu Hause, also, a casa, in Italien, da sagt man schon ab Mittags buona sera. Das heißt aber nicht, dass man die Absicht hat, in absehbarer Zeit zu Bett zu gehen.“ „Ja, gut. Könnten sie gegen acht kommen? Ich denke, es wird nicht so lange dauern.“ „Kein Problem, Avvocato. Um acht ist ok“, sagte Giovanni so verbindlich, wie es ihm möglich war. Acht Uhr war überhaupt nicht ok, aber es winkte ein gutes Honorar. „Es tut mir leid.“ Schneider hatte offenbar nicht nur sehr gute Ohren, sondern er war auch empathiefähig. „Früher schaffe ich es nicht, ich bitte um Verständnis.“ „Non si preoccupi, für Sie habe ich immer Zeit“, sagte Giovanni, jetzt wirklich freundlich. Nach dem ersten Missmut über den verpassten Krimianfang im Fernsehen war ihm eingefallen, dass die realen Krimis, die er dank Avvocato Schneider kennenlernte, besser waren, als Fiktion. „Danke“, sagte Schneider. „Übrigens, ich habe den Anfang Ihres letzten Satzes nicht verstanden. Was war das doch?“ Giovanni überlegte kurz, was gab es denn da nicht zu verstehen? Er hatte gesagt: keine Sorge, für Sie habe ich immer Zeit. Dann ging ihm ein Licht auf. „Ach so, scusi, Entschuldigung. Non si preoccupi heißt dont worry.“ „Geht’s noch etwas babylonischer?“, fragte Schneider offenbar belustigt. „Bis später, und vielen Dank für den Ohrwurm.“
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