3 Das Gespräch findet statt
Pünktlich um zwanzig Uhr klingelte Giovanni Bologna bei Uwe Schneiders Anwaltskanzlei, die sich in einem der ziemlich neuen Hochhäuser am Rande der Innenstadt befanden. Er mochte diese Klötze einfach nicht, viel zu viel Glas und dieser schreckliche Sichtbeton, der ihn an die Bauruinen aus seiner Heimat erinnerte. Aber immerhin hatte Avvocato Schneider eine richtig gute Espressomaschine. Die allein war schon einen Besuch wert. Ein edles Stück geballter italienischer Caffè-Tradition im Gewand deutscher Ingenieur-Wertarbeit. Uwe Schneider empfing Giovanni mit einem ganz frisch zubereiteten Espresso, dann setzte er sich hinter seinen riesigen aber gut aufgeräumten Schreibtisch und wies mit der offenen Hand einladend auf einen der beiden mokkabraunen Ledersessel, die davor standen. Giovanni nahm Platz, schlug die Beine übereinander, vergewisserte sich, dass die nun sichtbare Socke keine Falten warf, dann blickte er Schneider erwartungsvoll an. „Ja, mein lieber Herr Bologna“, sagte dieser, stützte die Ellbogen auf die Tischkante, faltete die Hände und legte sein Kinn darauf. „Wie soll ich anfangen!“ In der Kunstpause, die dann folgte, war Giovanni schwer damit beschäftigt, alle Informationen durchzuscannen, die von Schneiders Attitude ausgingen, und sich gleichzeitig zu zwingen, nicht die Augenbrauen und die Schultern hoch zu ziehen und/oder die Backen aufzublasen. „Also, ich versuche es der Reihe nach. Heute war jemand bei mir, der juristischen Beistand gesucht hat.“ Schneider schien doch tatsächlich nach Worten zu suchen, sehr seltener Fall. „Nicht, dass das etwa ungewöhnlich wäre, aber die Sache liegt, sagen wir mal, etwas außerhalb meines üblichen Betätigungsfeldes. Sie wissen ja, dass ich mich sonst fast nur mit Steuersachen beschäftige, aber dieser Herr... also, er ist in einen Mordfall verwickelt.“ Jetzt machten sich Giannis Augenbrauen ganz selbstständig auf den Weg nach oben. „Madonna.“ „Er behauptet aber, nichts damit zu tun zu haben und nur durch Zufall zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein.“ „Und wieso kommt man dann auf ihn?“ Giannis Interesse war geweckt. „Der Mord ist nachts auf einem Rastplatz geschehen, es gibt dort an der Tankstelle Überwachungskameras, die sein Auto gefilmt haben. Er streitet auch nicht ab, dort gewesen zu sein.“ „Auf einem Rastplatz? War das das erstochene Mädchen, dass heute in der ...“ - Giovanni fühlte, wie er rot wurde. Uwe Schneider grinste ihn an: „Oh, Sie haben es schon gelesen?“ Petzen oder nicht petzen? Er konnte sich doch nicht herausreden, indem er Schneider erzählte, dass seine eigene Frau ihm den Artikel unter die Nase gehalten hatte, und er mit ihr darüber gequatscht hatte. Oh, Gott, wie peinlich. „Ja“, sagte er deshalb nur mannhaft und blickte Schneider offen ins Gesicht, auch um seine Reaktion zu sehen. Dieser hatte wohl mit seinem einmaligen Grinsen die Situation ausreichen kommentiert und räusperte sich nun. „Nun, Sie sehen also, der Fall ist von öffentlichem Interesse und ich dachte mir, dass etwas kostenlose Werbung...ähm, Sie verstehen?“ „Selbstverständlich.“ Giovanni, brachte sein allerfreundlichstes Sonntagslächeln an den Mann. „Allerdings möchte ich mich im Vorfeld vergewissern, dass der Mann wirklich unschuldig ist, und deshalb wollte ich Sie um Ihre wertvolle Mitarbeit bitten.“ „Wertvoll finde ich gut“, sagte Giovanni sehr seriös und freute sich schon auf das großzügige Honorar. „Auf diese juristischen Spitzfindigkeiten, mit denen viele Kollegen arbeiten, habe ich keine Lust.“ Kunstpause. „Entweder der Mann ist unschuldig, dann verteidige ich ihn, falls es zu einer Anklage kommt, oder ich empfehle ihm jemand anderen als Verteidiger. Ich glaube, ich wüsste auch schon, wen.“ Er lächelte in sich hinein. Giovanni wusste nicht, ob er das jetzt gemein finden sollte oder normal. „Was haben Sie sich denn vorgestellt?“, fragte er, stellte nun beide Füße auf die Erde und beugte sich vor. „Ich denke, ich überlasse Sie Ihrer Intuition, mein Lieber“, sagte Schneider, stand auf und holte aus einem Regal ein beschriebenes Blatt Papier und ein Foto. Er reichte es Giovanni und sagte: „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“ Offensichtlich war das Gespräch beendet.
4 G. frühstückt bei Paolo und erfährt etwas
„Buon giorno, Paolo. Hast du schon auf?“ Im Cafe P war es noch dunkel. Nur die Theke war beleuchtet und Paolo füllte gerade Kaffeebohnen in das hohe Schauglas an der Kaffeemaschine. „Gianni! Buon giorno. So früh? Hast du ein Shooting?“ „No, ich brauche ein anständiges Frühstück. Ich werde den ganzen Tag unterwegs sein.“ Gianni lehnte sich an die Theke und sah Paolo zu wie er die hochglanzpolierte Maschine startbereit machte. „Caffè, Spremuta und Brioche?“ „Ja bitte. Mach mir zwei Hörnchen. Und hast du rote Apfelsinen?“ „Certo, dalla Sicilia.“„Perfetto.“ Giovanni lehnte sich an einen Barhocker neben der Theke. Er frühstückte nie im Sitzen, das Frühstück musste für ihn ein Start in den Tag sein und keine gemütliche Prozedur, so wie er es oft bei Paolos Gästen sah, die den ganzen Vormittag verfrühstücken konnten. Heute trug er eine Jeans und einen schwarzen Lederblouson, die Haare gewollt unordentlich nach hinten gegelt. Paolo reichte ihm ein Tablett über die Theke. „Hier, bello. Caffè und frisch gepresster Saft. Die Cornetti brauchen noch, du weißt ja, man darf sie nur langsam aufwärmen. Soll ich mal raten in welcher Szene du dich heute herumtreiben musst?“ „Wenn du das könntest, dann wärst du schon weiter als ich. Ich habe bisher nur einen Namen, ein Bild und eine wahrscheinlich falsche Adresse.“ Er griff in die Innentasche seiner Jacke und holte einen zusammengefalteten Zettel heraus. „Ach so, gar kein Casting, sondern wieder mal so ein Geheimauftrag? Zeig mal.“ Paolo angelte nach dem Zettel. „Was denn? Die Adresse?“ „No, das Bild. Die Welt ist klein und mein Gedächtnis ist gut.“ Giovanni strahlte ihn an. „Rate mal, warum ich bei dir frühstücke?“ „Weil mein Frühstück das Beste ist?“ „Klar, auch. Schau doch mal, ob die Cornetti schon fertig sind.“ „Nein, sind sie noch nicht. Los fammi vedere.“ „Was würdest du denn machen, wenn du erfährst, dass einer deiner Gäste unter Mordverdacht steht?“ „Dipende, kommt drauf an. Hab ich mir noch nie überlegt. Ist das denn so?“ Paolo war die Ruhe selbst. Er schaute auf die Uhr, holte einen Teller von einem Stapel, legte eine Serviette darauf und ging damit zu dem kleinen Öfchen. Dann holte er mit einer Gebäckzange die heißen, goldbraunen, duftenden Cornetti heraus, legte sie auf den Teller und bestreute sie ganz leicht mit Puderzucker. Mit einer leichten Verbeugung stellte er sie vor Giovanni hin und sagte „Buon apetito.“ „Grazie, das duftet wie zu Hause.“ „In der Zeit, wo du isst, kann ich mir doch das Bild ansehen.“ Paolo ließ nicht locker. „Vabbene.“ Giovanni schob ihm das Bild hinüber. „Hier, schau dir das Foto eines hässlichen Osteuropäers an, den du nie im Leben kennst und lass mich in Ruhe essen.“ Paolo nahm das Foto, sah es eine Weile an und runzelte die Stirn „Der ist kein Gast.“ „Ach was.“ „Aber, Moment, der hat mal jemanden abgeholt.“ „Non mi prendere. Verarschen kann ich mich selbst.“ „Ist klar, aber das stimmt wirklich. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber ich merke mir alle Leute, die ich schon einmal mit einem meiner Gäste zusammen gesehen habe. Wahrscheinlich, weil ich mir einfach so aus Spaß immer Geschichten um sie herum ausdenke.“ „Mann, musst du dich langweilen.“ „Gar nicht, das ist doch nur Gehirnjogging. Ich schreibe mir ja auch die Bestellungen nicht auf und weiß trotzdem immer, wer was bezahlen muss.“ „Ach so, Gehirnjogging. Ich dachte, du schreibst wegen deiner kreativen Abrechnungen nichts auf.“ „Dai, ich bin nicht kreativ.“ „Wer war denn der Gast, mit dem du diesen Sabota gesehen hast?“ „Sabota? Wie lustig. Man muss nur zwei Vokale umdrehen, dann heißt er Samstag. Was hat denn dein Herr Sabato gemacht?“ „Sabota heißt der, und für mich klingt das eher nach Sabotage. Aber jetzt erzähl schon, woher kennst du ihn? Wen hat er abgeholt?“ „Ich glaube, du kennst sie. Sie modelt auch.“ Jetzt war es an Giovanni, seine makellose Stirn zu runzeln. „Meinst du die Milena? Also, kennen ist zu viel gesagt. Ich habe sie einmal bei einem Casting kennen gelernt.“ „Sie erzählt immer, ihr wäret Kollegen.“ „Bitte? Wir haben einmal zusammen vor einer Tür gesessen. Aber als ich erfahren habe, dass es um Erotik-Unterwäsche ging, bin ich wieder gegangen.“ „Du scheinst aber mächtig Eindruck hinterlassen zu haben.“ „Vielleicht sollte ich diese alte Bekanntschaft mal wieder etwas aufwärmen.“ Giovanni steckte den Rest des Hörnchens in den Mund. „Weißt du zufällig auch, wann sie hier normalerweise auftaucht?“ „Come no? Naturalmente. Ich bin ein guter Barista. Aber man spricht nicht mit vollem Mund.“
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