Luna sah ihren Bruder verstört an, aber es kam ihr gar nicht so schlimm vor, was er da sagte. Gianna war ebenfalls schon sehr munter. Sie fiel Joago um den Hals und begrüßte ihn, als wäre er ein guter Freund.
„He, Süßer, wo ist deine Freundin?“
An seinem Gesicht sah sie, dass es genau die falsche Frage gewesen war. Mit bösem Blick wendete er sich ab und ging zu den Jungs in die andere Ecke des Raumes.
„Mir ist schlecht“, sagte Luna jetzt und eilte hinaus.
Im Garten war es nicht besser. Alles drehte sich um sie herum und sie hatte Angst, dass sie hinfallen würde. Gerade, als sie dachte, sich übergeben zu müssen, legten sich ein starker Arm um ihre Schulter und geleitete sie zu einer kleinen Mauer. Dort setzte sie sich und lehnte sich mit geschlossenen Augen an den warmen Körper.
Als sich der Garten nicht mehr drehte, schaute sie auf und sah in die blauen Augen von Samuel.
„Du … Retter. Schon wieder …“, stammelte sie und schämte sich.
„Wenn ich das gewusst hätte“, erwiderte der Junge und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht.
„Wenn du was gewusst hättest?“
„Dass man dich nicht alleine lassen kann.“
„Kann man doch. Ich bin schon groß und ich liebe André, aber der ist mit Lia im Kino“, platze es aus Luna heraus und sie sah, wie geknickt Samuel nun den Blick abwendete. „So ein Miststück. Weißt du, ich dachte, er kann mein Freund sein, aber jetzt ist er mit Lia …“
Urplötzlich schossen die Tränen aus Lunas Augen und sie ließ sich umarmen. Samuel gab ihr ein Papiertaschentuch. Luna schnäuzte sich lautstark und dann saßen sie schweigend auf der Mauer. Jetzt kam auch noch Joago an und baute sich vor seiner kleinen Schwester und Samuel auf.
„Lass die Pfoten von meiner Schwester!“, befahl er.
„Dann kümmere du dich doch um sie! Bring sie heim oder zu Gianna. Sie ist, glaube ich, betrunken.“
„Los, hol Gianna!“, fuhr Joago ihn an.
Samuel verschwand und kam nach fünf Minuten mit Gianna zurück. Die packte ihre Freundin und zog sie hoch. Die beiden Mädchen stiegen ins herbeigerufene Taxi, wo Luna sofort einschlief. Wie sie zu Gianna und ins Bett gekommen war, wusste sie nicht mehr, als sie am kommenden Mittag mit Kopfschmerzen aufwachte, die drohten, ihren Schädel zu sprengen.
Gianna schlief noch. Luna sah zur Decke und überlegte, was auf der Party geschehen war.
„Oh mein Gott!“, rief sie plötzlich laut und saß kerzengerade im Bett.
Gegenüber schlug Gianna erschrocken die Augen auf und blinzelte ins Sonnenlicht.
„Was ist denn passiert? Mensch, es ist noch früh am Morgen.“
„Oh mein Gott“, wiederholte Luna leiser. „War wirklich Joago auf der Party oder habe ich das geträumt?“
Gianna nickte.
„Dann bin ich tot. Wer war denn noch dabei, als ich im Garten war?“
„Samuel. Er hat dich gefunden, gerettet und du hast ihm die Ohren vollgeheult wegen André und Lia.“
„Oh mein Gott“, flüsterte Luna und fiel zurück ins Kissen.
Am Samstagabend schlich Luna bedrückt nach Hause. Sie hoffte, ihr Bruder würde mit seinen Kumpels unterwegs sein, aber noch mehr hoffte sie, dass er nicht gepetzt hatte. Doretta bereitete gerade das Abendessen zu, Piet war auf der Arbeit.
„Hallo, mein Kind“, rief die Mutter fröhlich.
„Hallo, Mama“, murmelte Luna und wollte sich in ihrem Zimmer verkriechen.
Doretta hatte die Augenbrauen hochgezogen und legte das Salatbesteck beiseite. Das Essen konnte warten, denn ihre Tochter hatte anscheinend Kummer. Sie klopfte und trat ein, als sie ein leises Ja gehört hatte. Luna lag auf dem Bett und hatte die Augen geschlossen.
„Was ist denn los, Süße? Bist du krank?“
Luna musste plötzlich losheulen, denn am Nachmittag war Lia bei den Mädchen aufgetaucht und hatte stolz berichtet, dass André ihre Hand gehalten hatte. Gianna hatte Luna angesehen und sich jeglichen Kommentar gespart, denn sie ahnte, wie es in der Seele ihrer Freundin aussah. Lia schwärmte noch eine Weile von dem coolen Jungen, dann lief sie eilig heim, weil sie noch mit André telefonieren wollte.
Jetzt setzte Luna sich auf und wischte die Tränen ab.
„Nein, Mama, ich bin nicht krank. Es ist nur …“, stotterte sie, „es … der André und Lia … sie …“
„Oh weh“, sagte Doretta sanft und nahm ihr Kind in den Arm. „Liebeskummer? Du magst André?“
Luna nickte und schon wieder rannen die Tränen über ihre Wangen. Sie schlang die Arme um den Hals ihrer Mutter und wurde bald ruhiger.
„Süße, wenn er lieber mit Lia ausgeht statt mit dir, dann ist er selbst schuld. Er weiß gar nicht, was ihm entgeht. Und Lia ist keine gute Freundin, wenn sie sich an den Jungen heranmacht, den du magst.“
„Ach Mann, sie wusste es ja nicht. Ich war so blöd und habe gesagt, sie könne ihn haben. Ich war so dumm! Und jetzt hat er ihre Hand gehalten.“
„Das tut mir leid, aber es gibt doch sicher noch andere nette Jungs in deiner Schule.“
„Nein! Ich will keinen anderen Jungen, ich will André!“
Doretta musste sich mühsam das Lachen verkneifen, so sehr erinnerte sie dieser Ausruf an ihre eigene Jugend: Es musste unbedingt dieser eine Junge sein, Frank aus der Parallelklasse, kein anderer war gut genug. Erst Piet hatte sie umgestimmt, denn der hatte sie damals im Schwimmbad einfach geküsst, als sie sich vom Fünfmeterbrett stürzen wollte. Sie hatte sich noch viele Wochen gewehrt, sich in den stillen Piet zu verlieben, aber irgendwann war es einfach geschehen.
„Ich verstehe dich sehr gut, mein Mädchen. Sei nicht traurig, komm essen, das lenkt dich ab. Joago ist auch nicht da, wir können uns also einen wunderbaren Mädelsabend machen.“
Luna war froh, dass ihr Bruder sie anscheinend nicht verraten hatte, also folgte sie der Mutter nach unten in die gemütliche Küche. Die beiden deckten den Tisch, Doretta nahm die Hähnchenteile aus dem Backofen und stellte die Salatschüssel dazu. Luna hatte keinen Appetit, aber da es nur Gesundes gab, füllte sie sich den Teller.
„Können wir am Montag endlich die neue Hose kaufen?“
Die Mutter nickte. Sie versprach Luna von der Schule abzuholen und einen ganzen Nachmittag mit ihr auf Shoppingtour zu gehen. Nach dem Essen räumten sie den Tisch ab, beluden den Geschirrspüler und setzten sich hinaus auf die Terrasse.
„Warst du schon immer in Papa verliebt?“, begann Luna, die sich neben ihrer Mutter auf der Liege ausgestreckt hatte.
„Wo denkst du hin? Nein! Er war ja vier Jahre älter und ich war in Frank verknallt. Aber der war eigentlich ein Arsch.“
„Also stimmt es, dass man sich immer in die bösen Jungs verliebt?“
Doretta grinste und sagte: „Ein bisschen stimmt das, aber dann hätte ich mich nie in deinen Papa verlieben können, denn der war ganz brav. Bis auf den ersten Kuss …“
Luna war ganz aufmerksam.
„Erzähl!“
„Nun, ich war mit meinen Freundinnen im Schwimmbad, um in Franks Nähe zu sein, aber der knutschte auf einmal mit einer Blondine im Bikini. Ich wollte mich umbringen und von Fünfer springen. Als ich dort oben stand und heulte, kam plötzlich Piet und wollte vorbei. Es sah mich heulen und wusste nicht, was er machen sollte, also hat er mich geküsst.“
„Oh wie cool“, sagte Luna, „das war ja voll mutig.“
„Ich habe mich noch ein paar Wochen angestellt, aber er hatte mein Herz längst erobert.“
Luna seufzte. Das war sehr romantisch, fand sie. Ich werde das niemals erleben, dachte sie traurig, denn nun kamen die Gedanken an Lia und André mit ganzer Macht zurück. Und mit ihnen kam die Wut.
„Vielleicht hast du recht und ich habe einen Besseren verdient. Der kann mir mal gestohlen bleiben. Und für die Schule kann er in Zukunft auch mit Lia lernen! Punkt!“
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