»Ihr seid ein besserer Jurist als Prestongrange!« rief der Anwalt. »Er hat Alan ein einziges Mal aufgerufen; das war am 25., am Tage, als wir uns kennenlernten. Einmal und nicht wieder! Und wo? Wo sonst als am Kreuze von Inverary, in der Hochburg der Campbells! Ein Wort in Euer Ohr, Mr. Balfour, – sie sind gar nicht hinter Alan her.«
»Was wollt Ihr damit sagen!« rief ich. »Sie sind nicht hinter ihm her?« »Soweit ich ersehen kann«, entgegnete er. »Sie wollen ihn gar nicht greifen, das ist meine bescheidene Meinung. Sie glauben vielleicht, er würde sich überzeugend verteidigen können, und James, hinter dem sie wirklich her sind, könnte das als Krücke benutzen, um ihnen durch die Lappen zu gehen. Das hier, müßt Ihr wissen, ist kein Rechtsfall, sondern eine Verschwörung.« »Und doch hat sich Prestongrange eingehend nach Alan erkundigt, glaubt mir«, antwortete ich, »obwohl es mir scheint, nun Ihr mich darauf aufmerksam macht, daß er sich recht leicht abweisen ließ.«
»Seht Ihr?« rief Stuart. »Da habt Ihr's! Jedoch, Recht oder Unrecht, das sind nur Vermutungen. Kehren wir zu den Tatsachen zurück. Mir war zu Ohren gekommen, daß James und die Zeugen – die Zeugen, Mr. Balfour! – sicher im Gefängnis lägen, in Ketten obendrein, – und zwar im Militärgefängnis zu Fort William. Keiner hat zu ihnen Zutritt und sie dürfen auch niemandem schreiben. Die Zeugen, Mr. Balfour! Habt Ihr schon je dergleichen gehört? Ich versichere Euch, keiner der ehemalig so skrupellosen Stuart-Bande hat je derart dem Gesetz ins Gesicht geschlagen. Es steht in direktem Widerspruch zu dem Parlamentsakt von Anno 1700, ›betreffend unrechtmäßige Gefangensetzung‹. Kaum hatte ich das gehört, als ich bei dem Lord Oberrichter Beschwerde einlegte. Heute hab ich die Antwort erhalten. Da seht! Das ist nun unsere saubere Justiz und unsere Gerechtigkeit!«
Er drückte mir ein Papier in die Hand, den gleichen feigen, gleisnerischen Schriftsatz, der seither in einem Pamphlet, verfaßt »von einem Beobachter«, abgedruckt worden ist, »zugunsten von James Stuarts armer Witwe und seinen fünf Kindern«, wie es im Titel heißt.
»Seht her,« fuhr Stuart fort, »er durfte nicht wagen, mir den Zutritt zu meinem Klienten zu verweigern, daher empfiehlt er dem Kommandanten, mich einzulassen! Empfiehlt! Der Lord Oberrichter von Schottland empfiehlt! Ist der Zweck einer derartigen Sprache nicht klar? Sie hoffen, der Offizier könnte so dumm – oder so sehr das Gegenteil von dumm – sein, die Empfehlung nicht zu beherzigen. Ich würde alsdann vom Fort William nach Edinburg zurückkehren müssen. Das bedeutete wiederum einen Aufschub, bis ich mir neue Vollmacht beschafft hätte und sie den Offizier – ›ein Militär, in offenbarer Unkenntnis der Gesetzesvorschriften‹ – ich kenne schon ihre verlogenen Redensarten – desavouiert hätten. Dann eine dritte Reise und – die Verhandlung stünde unmittelbar vor der Tür, noch ehe ich meine ersten Instruktionen erhalten hätte. Habe ich nicht recht, wenn ich das Ganze eine Verschwörung nenne?«
»Es sieht in der Tat so aus«, bestätigte ich.
»Ich werde es Euch unwiderlegbar beweisen«, erklärte er. »Sie haben das Recht, James gefangenzuhalten, aber sie können mir den Zutritt zu ihm nicht verweigern. Sie haben kein Recht, die Zeugen einzusperren; und meint Ihr, ich erhielte die Möglichkeit, sie zu sehen – die Zeugen, die von Rechts wegen so frei sein müßten wie der Lord Oberrichter selbst? Schaut her – lest: ›weigert sich im übrigen, den Gefangenwärtern irgendwelche Befehle zu erteilen, sofern sie nicht beschuldigt sind, in irgendeinem Punkte wider ihre Amtspflicht verstoßen zu haben‹ – In irgendeinem Punkte –! Herrgott! Und der Akt von Anno 1700? Mr. Balfour, mir will das Herz zerspringen. Die Heide brennt in meinem Inneren!«
»Das heißt,« bemerkte ich, »die Zeugen sollen in Haft bleiben und Ihr sie nicht zu Gesichte bekommen?« »Ich soll sie vor dem Zusammentritt des Gerichtshofes in Inverary nicht zu Gesichte bekommen!« rief er aufgeregt, »und dann redet Prestongrange von der ›schweren Verantwortung seines Amts‹ und von den ›außerordentlichen Erleichterungen‹, die der Verteidigung gewährt sind. Aber ich werde ihnen ein Schnippchen schlagen, Mr. David. Ich habe einen Plan, wie ich die Zeugen unterwegs abfangen will; und wir wollen doch sehen, ob ich dem ›offenbar in Unkenntnis der Gesetze handelnden Militär‹, der die Gesellschaft befehligen wird, nicht im Namen der Gerechtigkeit beikommen kann.«
Und so geschah es – tatsächlich sprach Mr. Stuart die Zeugen in diesem Kriminalfall erst unterwegs auf der Landstraße, irgendwo in der Nähe von Tynedrum, und das lediglich dank der Nachsicht des sie begleitenden Offiziers.
»In dieser Sache wundere ich mich über nichts mehr«, bemerkte ich.
»Ich werde Euch schon das Wundern lehren, ehe wir damit zu Ende sind«, rief er. »Wißt Ihr, was das ist?« fragte er, ein noch feuchtes Druckblatt hervorziehend. »Das ist die Anklageschrift; seht, da steht Prestongranges Name auf der Zeugenliste, aber der Name Balfour fehlt. Doch darum handelt es sich im Augenblicke nicht. – Wer, meinet Ihr, hat hierfür die Druckkosten bezahlt?« »Höchstwahrscheinlich König Georg«, entgegnete ich.
» Ich war's!« rief er. »Zwar haben sie's persönlich drucken lassen, für sich selbst, für die Grants und die Erskines und für jenen Erzschurken und Räuber, Simon Fraser. Aber meint Ihr, ich hätte auch nur eine einzige Copie bekommen? Mitnichten! Ich sollte stockblind die Verteidigung übernehmen; ich sollte die verschiedenen Punkte der Anklage erst in der Verhandlung selbst erfahren, gleichzeitig mit den Geschworenen.«
»Aber verstößt das nicht gegen das Gesetz?« erkundigte ich mich.
»Nicht ausdrücklich«, war die Antwort. »Diese Gunst ist so natürlich und wird (außer bei dieser unerhörten Sache) so allgemein gewährt, daß das Gesetz sie nicht einmal vorschreibt. Jetzt bewundert aber einmal die Hand der Vorsehung! Ein Unbekannter ist zufällig in Flemings Druckerei, hebt einen Korrekturabzug vom Boden auf und bringt ihn mir. Und er entpuppt sich als die Klageschrift! Und ich lasse sie auf Kosten der Verteidigung – sumptibus moesti rei – noch einmal drucken. Ist Euch so etwas schon vorgekommen? Und jetzt kann jeder sie lesen! Das große Geheimnis ist entdeckt – jeder kann sich ein Bild davon machen. Aber wie, meint Ihr, muß mir dabei zumute sein, mir, der ich für meines Vetters Leben verantwortlich bin?«
»Zweifellos nicht sehr behaglich«, erwiderte ich.
»Jetzt seht Ihr, wie es steht,« schloß er, »und weshalb ich Euch laut ins Gesicht lache, wenn Ihr mir sagt, Ihr sollt vernommen werden.«
Jetzt war die Reihe zu erzählen an mir. Mit wenigen Worten berichtete ich ihm von Simons Drohungen und Vorschlägen, von dem ganzen Vorfall mit dem Bravo und von der anschließenden Szene bei Prestongrange. Von meiner ersten Unterredung dagegen sagte ich ihm, eingedenk meines Versprechens, nichts; das war ja in der Tat auch überflüssig. Die ganze Zeit über hörte Stuart mechanisch nickend zu, und kaum hatte ich aufgehört, als er auch schon den Mund auftat und mit zwei eindringlichen Worten sein Urteil abgab.
»Verschwindet selber«, sagte er.
»Ich verstehe Euch nicht«, entgegnete ich.
»Dann will ich's Euch klarmachen«, sagte er. »Meine Ansicht ist, daß Ihr unter allen Umständen verschwinden müßt. Ach, darüber ist gar nicht zu streiten. Der Staatsanwalt, in dem noch ein Funken von Anstand schlummert, hat Simon und dem Herzog Euer Leben abgerungen. Er hat sich geweigert, Euch vor Gericht zu stellen; er lehnt es ab, Euch töten zu lassen. Das ist der Schlüssel zu ihrem Streit, denn Simon und der Herzog vermögen weder Freund noch Feind die Treue zu halten. Ihr sollt also weder angeklagt noch ermordet werden; aber ich müßte mich sehr irren, wenn man Euch nicht wie Lady Grange überfallen und verschleppen will. Wettet, was Ihr wollt – das ist ihr Ausweg!« »Ihr gebt mir zu denken«, sagte ich und erzählte ihm von dem Pfiff und von dem rothaarigen Gefolgsmann Neil.
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