„Samuel, mein Freund, ein Taxi wird Punkt elf Uhr vor deinem Laden anhalten. Der Fahrer weiß Bescheid und wird euch zum Anlegeplatz bringen. Bis bald, Samuel.“
Er unterbrach die Verbindung ohne eine Antwort abzuwarten. Als Don zum Schiff zurückkehrte, erwartete ihn Alida schon ungeduldig. Don sah sie von weitem und winkte ihr zu.
„Samuel wartet schon darauf abgeholt zu werden. Es scheint alles in Ordnung zu sein. Nur der jüngste Sohn ist noch auf dem Weg zum Laden.“
Als Edy die Sandgate Railway Station erreichte, stiegen gerade einige Fahrgäste aus, aber kein Taxi war zu sehen. Er eilte zum Schalter überlegte als Alternative mit der Bahn zur Stadtmitte zu fahren. In Sydney kannte er sich einigermaßen mit der U-Bahn aus, deshalb wusste er, dass man so schneller vorankam, als mit dem Auto. Aber Sydney hatte eine andere Infrastruktur als Brisbane, das sah er schon aus dem Stadtplan. Der Bahnbeamte am Schalter gab ihm den Tipp bis Bowen Hills mit der U-Bahn zu fahren, was etwa zwanzig Minuten dauern würde, von dort ein Taxi zur Innenstadt zu nehmen. Den Rat befolgte Edy. Kurze Zeit später setzte sich der Zug mit beachtlicher Beschleunigung in Bewegung.
Sein Abteil war gähnend leer, darum ging er noch einmal in Gedanken alle Instruktionen durch, die er von Don erhalten hatte. An den folgenden Haltestellen füllte sich das Abteil allmählich, meistens mit jungen Menschen. Die Miniröcke waren gerade in Mode gekommen. Die prallen Schenkel der jungen Damen machten es ihm schwer sich zu konzentrieren. Schließlich gab er auf und ließ die Natur walten, reduzierte seine Aufmerksamkeit lediglich auf die Ansage der Bahnstationen. Seiner Phantasie hatte er zu viel Zügel gelassen. Die Endstation kam immer näher. Er stand auf, eilte zum Ausgang, wartete an der Tür als er spürte, dass die Erregung langsam nachgab.
Mehrere Taxis warteten auf Kundschaft. Edy schrieb sich zuerst die Telefonnummer der Taxifirma auf, ehe er das erste Taxi bestieg. Dem Fahrer gab er die grobe Richtung an wohin er fahren wollte, wusste aber nicht wie das Kaffeehaus hieß. Der Fahrer meldete sich nach einer Weile, erklärte ihm, dass sie sich nun auf der gewünschten Straße befänden. Er wollte wissen, wo er anhalten sollte. Edy bat ihn nach einem Kaffeehaus zu suchen, worauf der Fahrer gleich Bescheid wusste. Sie fuhren noch über die nächste Kreuzung, bis das Taxi vor einem Kaffeehaus stehen blieb. Er bezahlte den Fahrer, stieg aus und suchte nach Samuels Laden. So wie es Don beschrieben hatte, entdeckte er das Geschäft gleich auf der anderen Straßenseite. Er bat den Taxifahrer Punkt elf Uhr genau vor dem gegenüberliegenden Juwelierladen auf vier Gäste zu warten. Edy gab ihm einen Zettel mit der Bitte, die Gäste bis zum Sandgate Yachtclub zu fahren. Eine Zehndollarnote als Anzahlung unterstrich seine ehrliche Absicht.
Das Taxi fuhr ab und Edy ging in das Kaffeehaus. Das Lokal war fast leer, abgesehen von zwei Männern, die an der Bar gelangweilt ihren Mokka tranken. Ein Kühlschrank mit Glastür stand neben der Bar. Im Kühlschrank sah er verschiedene Torten und einige süße orientalische Spezialitäten liebevoll arrangiert. Nachdem Edy ausgiebig die Süßigkeiten angeschaut hatte, beobachte er in der Spiegelung der Glastür die zwei Männer an der Bar. Er ging zur Theke, bestellte eine Käsesahnetorte, dazu einen Cappuccino, zahlte gleich und ging zu einem Fenstertisch.
Die Straße war recht belebt, meistens von Touristen die dem Sunshine Coast Trubel entronnen waren, um etwas Entspannung im Einkaufszentrum zu finden. Der Mann hinter der Bar rief jemandem in der Küche etwas zu, als die zwei Männer gerade von ihren Barhockern herunter rutschten. Sie schlenderten gelassen dem Ausgang entgegen. Edy fielen zum ersten Mal die Kleidung und insbesondere die Schuhe auf. Die Hosen entsprachen der Mode der fünfziger Jahre, eng, schwarz und kurz, wobei die spitzen Halbstiefel mit Schnürsenkeln stramm um die Fußgelenke geschnürt waren.
„Eigenartig“, dachte er. „So etwas habe ich das letzte Mal in Wien gesehen.“ Eine leise Alarmglocke bimmelte in seinem Kopf. Die Art und Weise, wie die Männer die Straße überquerten und in eine Seitenstraße verschwanden, kam ihm wohl bekannt vor. Unterdessen brachte die Bedienung seine Bestellung und unterbrach so für einen Moment seine Gedanken.
„Ach, verzeihen Sie bitte, Sie haben auch orientalische Süßigkeiten im Schrank, wohnen hier viele Orientale?“ fragte er die schwarzhaarige Bedienung.
„Sie meinen Juden, nicht wahr, mein Herr?“ antwortete die Frau. Ohne eine Antwort abzuwarten fragte sie:
„Sie sind nicht aus Brisbane, nicht wahr?“
„Ich bin neu hier, erst vor einer Woche aus Sydney angekommen“, antwortete Edy.
„Aber aus Sydney sind Sie auch nicht gebürtig, das erkenne ich an Ihrem europäischen Akzent“, konterte sie klugerweise.
„Da haben Sie ins Schwarze getroffen, ich bin aus Dalmatien, wenn Sie wissen, wo das ist.“
„Und ob ich das weiß, mein Herr, ich bin aus Graz, wenn Sie wissen, wo das ist.“
„Klar doch“, sagte er im Wiener Dialekt. „Das ist doch erfreulich hier einer waschechten Österreicherin zu begegnen.“
„Dann lassen Sie sich ihre Torte gut schmecken.“
Er schaute ihr nach, mit etwas Nostalgie kam ihm die Studienzeit in Österreich in den Sinn. Aus den träumenden Erinnerungen erwacht, besann er sich seiner Mission und beobachtete durch das Fenster Samuels Laden auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Die Vorhänge waren zugezogen, ein Schild hing an der Tür, aber aus dieser Entfernung konnte er nicht erkennen, was darauf geschrieben stand. Die Passanten blieben vor diesem oder jenem Schaufenster stehen, aber niemand hielt vor dem Juwelierladen.
Plötzlich bremste eine schwarze Limousine direkt vor dem Geschäft. Ein junger Mann in weißen Tennisshorts und Polohemd stieg aus, eine braune Aktentasche unter dem Arm geklemmt, winkte dem Fahrer kurz zu und ging in Samuels Laden. Edy schaute auf seine Armbanduhr, trank den Cappuccino aus, vertilgte die Torte in einigen großen Stücken, stand auf und ging zur Bar.
„Könnten Sie mir bitte ein Taxi bestellen und ein großes Glas Wasser bringen?“
„Das haben wir gleich mein Herr“, erwiderte der Barkeeper.
Edy nahm sich die Zeit das kalte Wasser langsam zu trinken, während er ungeduldig auf das Taxi wartete. Er war in keiner Weise unerfahren, was das Observieren und Hinterfragen anbelangte. Wer in einem kommunistischen Land aufgewachsen war und mit dem System nicht zurechtkam, musste zwangsläufig lernen sich zu tarnen, oder scharf zu denken. Er gehörte zu keiner Untergrundbewegung, obwohl es an solchen Leuten im Lande und im Ausland nicht mangelte. Und genau da lag sein Problem. Weil ihn niemand einordnen konnte, wurde er von beiden Parteien bespitzelt.
Das bestellte Taxi hielt an, er bedankte sich bei der Bedienung, legte einen Dollar auf die Theke und ging. Dem Taxifahrer erklärte er genau, was er vorhatte, gab ihm die Anweisung zuerst in die Seitenstraße einzubiegen, in der die zwei Männer verschwanden. Diese Straße war zu eng für parkende Autos. Aber die Parallelstraße war auf beiden Seiten voll mit parkenden Autos.
Das Taxi fuhr langsam die Straße entlang, bog einmal um die Ecke wieder in die Hauptstraße. In einer weiteren Querstraße fuhr er noch einmal die gleiche Runde um den Block. Edy konnte nichts Verdächtiges erkennen. Mittlerweile war es schon einige Minuten vor elf Uhr. Edy bat den Taxifahrer vor einem Glaswarengeschäft unweit Samuels Laden zu halten. Er sah Samuel mit drei jungen Männern aus dem Laden kommen, wie er die Tür abschloss und sie am Straßenrand geduldig auf das Taxi warteten. Es muss kurz nach elf gewesen sein, als das bestellte Taxi ankam. Samuel stieg vorne ein, seine Söhne quetschten sich auf den Rücksitz dann fuhr das Taxi fort. Edy wartete bis das Taxi um die Ecke bog, dann gab er seinem Taxifahrer die Anweisung im Abstand zu folgen.
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