„Auf welchem Wege wird uns Kapital zugewiesen?“ fragte Edy, der dabei war eine lange Einkaufsliste zu entwerfen.
„Eine Stiftung aus der Schweiz“, antwortete Don knapp.
„Über welche Gesamtsumme reden wir für dieses Jahr?“ wollte Erol wissen.
„Etwa 300-400 Millionen Australische Dollar. Die Summe hängt davon ab wie schnell ihr geeignete Marinas, Werften und für den Anfang geeignete Schiffe am Markt findet. Deswegen solltet ihr euch zuerst unter-einander einigen, wer welchen Aufgabenbereich übernimmt. Darüber können wir erst reden, wenn wir die Söhne von Samuel befragt haben.“
Don unterbrach das Gespräch und ging zur Brücke. Auf der Steuerbordseite passierte die Yacht mit 17 Knoten und prallen Segeln Green Island. Die Moreton Bay eignete sich bestens um ein Schiff solcher Bauart auf Geschwindigkeit zu trimmen. Die vorgelagerten Inseln, North Stradbroke und Moreton, wirkten wie die Flügel einer brütenden Henne, die schützend die Bucht gegen die Wellen des Pazifiks verteidigte. Nur eine schmale, etwa drei Meilen breite Öffnung, ließ die Strömung für Ebbe und Flut spürbar werden. Aber auch die Winde, die in diesem Abschnitt mit Böen überraschten, sollte man nicht außer Acht lassen. Die Inseln Green, St. Helena und Mud waren nur Sandbänke. Sie boten kaum Schutz vor Böen.
Don errechnete schnell, dass sie etwa um zehn Uhr ihren Zielhafen erreichen würden. Der Wind drehte etwas, deshalb gab er die Anweisung, die Segel für den optimalen Raumwind zu trimmen. Danach bekam die Yacht eine kaum spürbare Kränkung nach Backbord und rauschte mit 18 Knoten dahin. Für ihn und seine Freunde war dieses Gleiten über die Wellenkämme eine völlig neue Erfahrung. Sie hätten sich gerne länger diesem berauschenden Vergnügen gewidmet, aber die verbliebene Stunde bis zum Hafen wollten sie für wichtigere Dinge nutzten.
Alida meldete sich nachdenklich zu Wort.
„Don, bis jetzt warst du derjenige, der alles geplant und in die Wege geleitet hat. Vermutlich hast du damit viel Zeit verbracht, um diese komplexe Vorgehensweise auszutüfteln. Wir drei sind erst seit einer Woche in diese für uns neue Welt eingetreten. Woher bist du dir sicher, dass wir diese Aufgaben ohne deine Hilfe schaffen?“
„Ihr seid doch auch, genau wie ich, von unserer Uroma auf die Stirn geküsst worden. Ich werde meine Wege träumen und ihr die euren. Nehmt eure Träume ernst, dann werdet ihr alles zum gegebenen Zeitpunkt fertig bringen. Die Uroma wird euch diese Gewissheit vermitteln.“
„Diese Zuversicht überkam mich schon, obwohl sie mir nur einmal im Traum erschienen war“, bestätigte Alida mit einem tiefen Seufzer.
Don wechselte das Thema, wandte sich Edy zu und erläuterte ihm, wie er vorgehen sollte:
„Bevor du an Land gehst, wechselst du deine Kleidung. Such dir etwas aus das typisch für Brisbane ist. Ich weiß, dass du die kniehohen Strümpfe nicht magst und die dreiviertel langen Shorts, die deine knochigen Knie zum Vorschein bringen. Sei beruhigt, die Maskerade ist nur von kurzer Dauer. Du sollst einfach in der Menge nicht auffallen.“
„Don, du bist vielleicht der einzige, der mir glauben wird, dass ich das in der letzten Nacht geträumt habe, bevor Erol und ich zum einkaufen gingen“, bestätigte Alida mit einem lauten Lachen.
„Und du hast dich im Traum über Erol köstlich amüsiert, weil er mit seinen dicken Waden und kniehohen Wollstrümpfen wie ein Ringkämpfer durch die Straßen marschierte“, konterte Edy und alle lachten.
„Edy vergiss nicht deine Clubkrawatte umzubinden. Sie ist auch in der Tüte dabei“, ergänzte Alida, deren Lachen im Wind verhallte.
Edy eilte in seine Kabine um sich neu zu kleiden. Die Yacht steuerte Bexter Jetty an. Don signalisierte Erol, die Vorsegel zu reffen, indem er mit den Händen einige Bewegungen machte. Dann rief er laut:
„Erol, komm mal bitte und lass uns die hydraulischen Muskeln ausprobieren. Du wirst die Yacht demnächst steuern müssen. Versuch mal die Segel mit den Hydraulikwinschen zu reffen. Ich steh bei der Winsch und greife ein, wenn es nicht richtig klappen sollte.“
„Ich schalte die Motoren und den Generator an, damit wir genug Strom haben. Dann drehe ich in den Wind, um die Segel zu entlasten. Das wird dann ungefähr der Kurs, den wir beim Anlegen brauchen. Ehe die Motoren warm sind, sind wir schon am Wendepunkt.“
„Aye, Aye, Kapitän, so soll es sein.“
Don schaute auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass es inzwischen Viertel vor zehn geworden war.
„Sieh zu, dass wir keine zu große Schleife machen, die Zeit ist knapp. Die Vorsegel kannst du gleich nacheinander fliegen lassen, aber den Groß und Besan musst du im Wind reffen.“
Als Edy an Deck in seiner neuen Kleidung auftauchte, erfasste er die Situation sofort und half Erol an den Jib Winschen. Für die drei Segler war es faszinierend zuzuschauen, wie die Vorsegel wie von Geisterhand sauber abrollten. Als das Großsegel zu flattern anfing, sprang Erol zur Großmastwinsch und ließ es frei fallen. Er schaute hoch und wunderte sich, wie sich das Segel ordentlich auf dem Baum zusammen faltete. Erst dann nahm er die dünnen Führungsleinen wahr, die wie ein dreieckiges Spinnennetz am Baum befestigt waren. So etwas hatten die Jungs noch nicht gesehen, deshalb waren sie froh, das große Segel nicht an Deck aufsammeln zu müssen.
Unweit vom Jetty legte gerade eine große Motoryacht ab. Die Leute die am Pier standen und winkten, sahen den stattlichen Trimaran auf sich zu kommen, der den gleichen Pier ansteuerte. Don und Edy warfen gerade noch rechtzeitig die Fender über die Reling, bevor die Yacht sanft am Pier anlegte. Don warf den Leuten am Pier die Achterleine zu und sah Edy zum Bug rennen. Innerhalb von wenigen Minuten war die Yacht vertäut und die Motoren abgeschaltet. Edy war schon mit der Gangway beschäftigt, vertäute sie an der Reling und ging an Land.
„Edy, denk dran, wir warten hier bis Punkt zwölf Uhr. Ansonsten gilt alles wie vereinbart“, rief Don ihm noch nach, als er bereits die Böschung zur Straße hinauf kletterte.
„Ich denke es wird Zeit, etwas Leckeres zum Mittagessen vorzubereiten. Die Seeluft macht mich immer hungrig“, schlug Erol vor und fasste Alida bei der Hand.
„Denk daran, die Gäste essen nur Koscheres. Vielleicht vier gebratene Hähnchen, Bratkartoffeln oder Reis mit Salat würde allen gut schmecken“, suggerierte Don, denn er aß selbst gern knusprige Hähnchen.
Don suchte mit dem Fernglas den Pier und Umgebung nach einem Telefonhäuschen ab. Die dunkelrot-sattgrünen, mit Royal Post’ Wappen geschmückten Häuschen waren - so wie in England - nicht zu übersehen. Er entdeckte jedoch keines. Zurück im Deckhaus informierte er Erol und Alida, dass er jetzt Samuel anrufen werde. Er verabschiedete sich von den beiden und ging die Sinbad Street entlang, in Richtung Sandgate Yachtclub. An der Ecke zur Railway Street entdeckte er ein Telefonhäuschen. Er wählte Samuels Telefonnummer, die er sich gut eingeprägt hatte. Nachdem das Telefon mehrfach klingelte, meldete sich eine männliche Stimme:
„Hier bei Samuel und Söhne.“ Die Stimme klang ruhig, als ob der Anruf schon erwartet wurde.
„Möchten Sie meinen Vater sprechen?“
Don schwieg und horchte auf die Nebengeräusche, die er deutlich wahrnehmen konnte. Er hörte eine Stimme rufen:
„Papa, da ist jemand für dich am Telefon.“
Die Spannung bei Don löste sich, als er Samuels Stimme vernahm.
„Don, mein lieber Freund, bist du es?“
„Guten Morgen, Samuel, ich hoffe ihr seid alle gut gelaunt, um heute eine Angeltour zu machen?“, begann Don das Gespräch und lauschte erneut auf die Nebengeräusche in Samuels Laden. Er hörte eine Unterhaltung, kurze Sätze in deutscher Sprache, was ihn sehr verwunderte.
„Wir haben auf deinen Anruf gewartet, es ist alles fertig gepackt. Wir warten nur noch auf unseren jüngsten Sohn, der aber bald kommen wird“, erwiderte Samuel. Seine Stimme klang gelassen und freundlich, was Don sichtlich beruhigte.
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