Gedichte
Gedichte
© 1882 Friedrich Wilhelm Nietzsche
© 1888 Friedrich Wilhelm Nietzsche
© Lunata Berlin 2020
Idyllen aus Messina – Gedichtzyklus Idyllen aus Messina – Gedichtzyklus
Prinz Vogelfrei Prinz Vogelfrei So häng ich denn auf krummem Aste Hoch über Meer und Hügelchen: Ein Vogel lud mich her zu Gaste Ich flog ihm nach und rast' und raste Und schlage mit den Flügelchen. Das weisse Meer ist eingeschlafen, Es schläft mir jedes Weh und Ach. Vergessen hab' ich Ziel und Hafen, Vergessen Furcht und Lob und Strafen: Jetzt flieg ich jedem Vogel nach. Nur Schritt für Schritt – das ist kein Leben! Stäts Bein vor Bein macht müd und schwer! Ich lass mich von den Winden heben, Ich liebe es, mit Flügeln schweben Und hinter jedem Vogel her. Vernunft? – das ist ein bös Geschäfte: Vernunft und Zunge stolpern viel! Das Fliegen gab mir neue Kräfte Und lehrt' mich schönere Geschäfte, Gesang und Scherz und Liederspiel. Einsam zu denken – das ist weise. Einsam zu singen – das ist dumm! So horcht mir denn auf meine Weise Und setzt euch still um mich im Kreise, Ihr schönen Vögelchen, herum!
Die kleine Brigg, genannt »das Engelchen« Die kleine Brigg, genannt »das Engelchen« Engelchen: so nennt man mich – Jetzt ein Schiff, dereinst ein Mädchen, Ach, noch immer sehr ein Mädchen! Denn es dreht um Liebe sich Stäts mein feines Steuerrädchen. Engelchen: so nennt man mich – Bin geschmückt mit hundert Fähnchen, Und das schönste Kapitänchen Bläht an meinem Steuer sich, Als das hundert erste Fähnchen. Engelchen: so nennt man mich – Überall hin, wo ein Flämmchen Für mich glüht, lauf ich ein Lämmchen Meinen Weg sehnsüchtiglich: Immer war ich solch ein Lämmchen. Engelchen: so nennt man mich – Glaubt ihr wohl, dass wie ein Hündchen Bell'n ich kann und dass mein Mündchen Dampf und Feuer wirft um sich? Ach, des Teufels ist mein Mündchen! Engelchen: so nennt man mich – Sprach ein bitterböses Wörtchen Einst, dass schnell zum letzten Oertchen Mein Geliebtester entwich: Ja, er starb an diesem Wörtchen! Engelchen: so nennt man mich – Kaum gehört, sprang ich vom Klippchen In den Grund und brach ein Rippchen, Dass die liebe Seele wich: Ja, sie wich durch dieses Rippchen! Engelchen: so nennt man mich – Meine Seele, wie ein Kätzchen, Tat eins, zwei, drei, vier, fünf Sätzchen, Schwang dann in dies Schiffchen sich – Ja, sie hat geschwinde Tätzchen. Engelchen: so nennt man mich – Jetzt ein Schiff, dereinst ein Mädchen, Ach, noch immer sehr ein Mädchen! Denn es dreht um Liebe sich Stäts mein feines Steuerrädchen.
»Pia, caritatevole, amoresissima« »Pia, caritatevole, amoresissima« (Auf dem campo santo) O Mädchen, das dem Lamme Das zarte Fellchen kraut, Dem Beides, Licht und Flamme, Aus beiden Augen schaut, Du lieblich Ding zum Scherzen, Du Liebling weit und nah, So fromm, so mild von Herzen, Amorosissima! Was riss so früh die Kette? Wer hat dein Herz betrübt? Und liebtest du, wer hätte Dich nicht genug geliebt? – Du schweigst – doch sind die Tränen Den milden Augen nah: Du schwiegst – und starbst vor Sehnen, Amorosissima?
Vogel Albatross Vogel Albatross O Wunder! Fliegt er noch? Er steigt empor und seine Flügel ruhn! Was hebt und trägt ihn doch? Was ist ihm Ziel und Zug und Zügel nun? Er flog zu höchst – nun hebt Der Himmel selbst den siegreich Fliegenden: Nun ruht er still und schwebt, Den Sieg vergessend und den Siegenden. Gleich Stern und Ewigkeit Lebt er in Höhn jetzt, die das Leben flieht, Mitleidig selbst dem Neid –: Und hoch flog, wer ihn auch nur schweben sieht! O Vogel Albatross! Zur Höhe treibt’s mit ew’gem Triebe mich! Ich dachte dein: da floss Mir Trän’ um Träne – ja, ich liebe dich!
Lieder des Prinzen Vogelfrei Lieder des Prinzen Vogelfrei
An Goethe An Goethe Das Unvergängliche Ist nur dein Gleichnis! Gott der Verfängliche Ist Dichter-Erschleichnis … Welt-Rad, das rollende, Streift Ziel auf Ziel: Not – nennt's der Grollende, Der Narr nennt's – Spiel … Welt-Spiel, das herrische, Mischt Sein und Schein: – Das Ewig-Närrische Mischt uns – hinein! ...
Dichters Berufung Dichters Berufung Als ich jüngst, mich zu erquicken, Unter dunklen Bäumen sass, Hört' ich ticken, leise ticken, Zierlich, wie nach Takt und Maas. Böse wurd' ich, zog Gesichter, – Endlich aber gab ich nach, Bis ich gar, gleich einem Dichter, Selber mit im Tiktak sprach. Wie mir so im Verse-Machen Silb' um Silb' ihr Hopsa sprang, Musst' ich plötzlich lachen, lachen Eine Viertelstunde lang. Du ein Dichter? Du ein Dichter? Steht's mit deinem Kopf so schlecht? – »Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter« Achselzuckt der Vogel Specht. Wessen harr' ich hier im Busche? Wem doch laur' ich Räuber auf? Ist's ein Spruch? Ein Bild? Im Husche Sitzt mein Reim ihm hintendrauf. Was nur schlüpft und hüpft, gleich sticht der Dichter sich's zum Vers zurecht. – »Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter« Achselzuckt der Vogel Specht. Reime, mein' ich, sind wie Pfeile? Wie das zappelt, zittert, springt, Wenn der Pfeil in edle Teile Des Lacerten-Leibchens dringt! Ach, ihr sterbt dran, arme Wichter, Oder taumelt wie bezecht! – »Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter« Achselzuckt der Vogel Specht. Schiefe Sprüchlein voller Eile, Trunkne Wörtlein, wie sich's drängt! Bis ihr Alle, Zeil' an Zeile, An der Tiktak-Kette hängt. Und es gibt grausam Gelichter, Das dies – freut? Sind Dichter – schlecht? – »Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter« Achselzuckt der Vogel Specht. Höhnst du, Vogel? Willst du scherzen? Steht's mit meinem Kopf schon schlimm, Schlimmer stünd's mit meinem Herzen? Fürchte, fürchte meinen Grimm! – Doch der Dichter – Reime flicht er Selbst im Grimm noch schlecht und recht. – »Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter« Achselzuckt der Vogel Specht.
Im Süden
Die fromme Beppa
Der geheimnisvolle Nachen
Lied eines theokritischen Ziegenhirten
Diesen ungewissen Seelen
Narr in Verzweiflung
Rimus remedium
Mein Glück!
Nach neuen Meeren
Sils-Maria
An den Mistral
Zyklen- und sammlungsfreie Gedichte
Ich wohne in meinem eignen Haus
Freunde, es gibt
Schicksal
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Die Wüste wächst
Ruhm und Ewigkeit
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Intermezzo
Ist Das noch deutsch?
Unter Freunden
Der du mit dem Flammenspeere
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Vereinsamt
Über den Autor
Idyllen aus Messina – Gedichtzyklus
So häng ich denn auf krummem Aste
Hoch über Meer und Hügelchen:
Ein Vogel lud mich her zu Gaste
Ich flog ihm nach und rast' und raste
Und schlage mit den Flügelchen.
Das weisse Meer ist eingeschlafen,
Es schläft mir jedes Weh und Ach.
Vergessen hab' ich Ziel und Hafen,
Vergessen Furcht und Lob und Strafen:
Jetzt flieg ich jedem Vogel nach.
Nur Schritt für Schritt – das ist kein Leben!
Stäts Bein vor Bein macht müd und schwer!
Ich lass mich von den Winden heben,
Ich liebe es, mit Flügeln schweben
Und hinter jedem Vogel her.
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