Erhard Schümmelfeder
PICKNICK IN PLUNDERLAND
Ein Roman für Leser ab 108 Jahren
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Inhaltsverzeichnis
Titel Erhard Schümmelfeder PICKNICK IN PLUNDERLAND Ein Roman für Leser ab 108 Jahren Dieses eBook wurde erstellt bei
PICKNICK IN PLUNDERLAND
DIE GESCHICHTE VON DER WUNDERBAREN BROTVERZEHRUNG
DIE GESCHICHTE VOM VERLORENEN TON
ONKEL KOHLRABI UND DER BIRNBAUM
TRUBEL IN PLUNDERLAND
DER AUSFLUG ZUM ZWEIFELTURM
GROSSMAUL
DIE LICHTUNG IM WALD
ONKEL KOHLRABI UND DIE BRATAPFELMASCHINE
DIE HÜTTE AM MONDSEE
DAS BETTBOOT
DAS BETT IM STROM
KEULE UND BEULE ERZÄHLEN DIE GESCHICHTE VOM CHINESEN IM DORFBRUNNEN
ZIMMER MIT AUSSICHT
DER SCHATZ IM ELSTERNNEST
DER SCHWARZE LASTWAGEN
DIE SCHEUNE
DAS LOCH IN DER WAND
FRÄULEIN LAMPE ERZÄHLT VON EINEM TRAURIGEN VORMITTAG
MEIN VATER ERZÄHLT VON DER SUCHE MIT DEM HUBSCHRAUBER
BABETTE ERZÄHLT VON DEN WEITEREN EREIGNISSEN
EULE ERZÄHLT VON UNSERER RÜCKKEHR NACH PLUNDERLAND
WENN DIE MÜCKEN TANZEN
WEITERE WERKE DES AUTORS
Impressum
PICKNICK IN PLUNDERLAND
Meine Kindheit verlebte ich in dem kleinen Dorf mit dem wunderlichen Namen Plunderland. Es war ein schönes, altes Dorf in einem weiten grünen Tal, durch das sich der Plunderbach schlängelte.
Ich kannte jede Straße von Plunderland. Das war nicht sonderlich schwierig, denn es gab nur eine: die Hauptstraße. Zusammen mit meinem Vater wohnte ich in dem Haus Nr. 11, einem uralten, windschiefen Fachwerkhaus inmitten eines Obstgartens, den unsere Vorbesitzer vor langer Zeit angelegt hatten: Holunderbüsche, Haselnusssträucher, Apfel-, Pfirsich-, Kirsch- und Zwetschgenbäume umringten unser Zuhause, das wir „unsere bescheidene Hütte“ nannten.
Früher einmal hatten mein Vater und ich in dem Haus Nr. 38 gewohnt, aber nachdem meine Mutter sich früh von uns trennte, was mich damals sehr bedrückte, kaufte er das Haus Nr. 11, weil er in Plunderland die Stelle eines Grundschulleiters antreten durfte. Mein Vater, Herr Presszeh, war ein guter Lehrer. Alle Kinder unserer Schule liebten ihn, denn die Unterrichtsstunden bei ihm waren nie langweilig, und er konnte herrlichkomische Geschichten erzählen.
Meine besten Freunde im Dorf waren Eule, Beule und Keule. In Wahrheit hießen sie Erhard, Bodo und Karsten. Wir hatten uns darauf geeinigt, uns nur mit dem Spitznamen anzureden. Eule trug eine Brille mit dicken Gläsern; Beule und Keule, die Zwillingsbrüder, die sich oft prügelten, waren dennoch ein unzertrennliches Gespann. – Die meisten Leute von Plunderland waren ein wenig plunderlich . Der Briefträger, Herr Dose, wurde von uns Herr Dosenträger genannt; unser Polizist, Herr Zahn, hieß treffenderweise Herr Backenzahn . Dann gab es noch Herrn Weißkohl, Herrn Zimpel, Herrn Piesepampel und Frau Gedönsrat. Der plunderlichste Mann von Plunderland aber war der Erfinder Onkel Kohlrabi , von dem manche Leute im Dorf munkelten, er habe den Plunderteig erfunden.
Jetzt wollt Ihr sicher wissen, ob ich auch einen Spitznamen hatte, stimmts? - Ja, natürlich hatte ich einen. Alle Leute des Dorfes nannten mich schlicht Picknick . Ein komischer Name? Ja, aber irgendwie passte er zu mir. Wie es dazu kam? - Auf einer Kindergeburtstagsfeier bei Babette, meiner Klassenkameradin, sollten alle Kinder in einem Geschicklichkeitsspiel die auf dem Fußboden ausgestreuten gesalzenen Erdnüsse aufpicken, wie die Hühner auf dem Hof. Wer, glaubt Ihr, trat als triumphierender Sieger aus diesem Spiel hervor? - Meine Eltern hatten mich zwar auf den Namen Nicklas getauft, und alle nannten mich nur Nick, aber seit der denkwürdigen Geburtstagsfeier hatte sich Nick verwandelt in Picknick.
Ja, ich war der kleine Picknick in Plunderland.
Da ich der kleinste Junge in unserer Klasse war, musste ich häufig, wie Ihr Euch gewiss vorstellen könnt, Himmel und Erde in Bewegung setzen, um die Anerkennung der anderen Kinder zu erringen. - Wenn es Euch interessiert, erzähle ich ein paar Geschichten aus jener bewegten Zeit. Gerade fällt mir eine folgenschwere Begebenheit aus dem spätsommerlichen Plunderland ein. Ich war zehn Jahre alt und erlebte mit den anderen Kindern des Dorfes ...
DIE GESCHICHTE VON DER WUNDERBAREN BROTVERZEHRUNG
In der Schule von Plunderland gab es damals nur zwei Klassen: in der oberen Etage des roten Backsteingebäudes unterrichtete mein Vater einundzwanzig Jungen und Mädchen; im Erdgeschoss brachte Frl. Lampe neunzehn Mädchen und Jungen Lesen, Schreiben, Rechnen und vieles mehr bei. Zumindest versuchte sie es redlich. Sie war erst kurze Zeit an unserer Schule Lehrerin und wohnte in der Pension Zum Teufel , im Haus Nr. 49.
Eines Morgens nach den Ferien sprachen wir Kinder im Klassenzimmer über Fräulein Lampe.
„Ich finde, sie sieht wunderschön aus“, sagte Silke zu ihrer Schwester Simone.
„Ja.“
„W-w-ie eine Königin“, sagte ich und kletterte über die Schulbank auf meinen Platz in der ersten Reihe.
”Blödmann“, zischelte Nina von der Fensterbank her.
„Vielleicht w-w-erde ich sie heiraten“, verkündete ich großtönend, und fügte hinzu: „W-w-enn ich etwas größer bin!“
„Haha!“, ließ Alexander sich mit gespielter Belustigung vernehmen. „W-w-w-enn ich etwas größer bin“, ahmte er meine Stimme nach. Alle nannten ihn nur Angeber, denn er war auch einer.
„Warum eigentlich nicht?“, fragte Babette laut und selbstbewusst in die lachende Runde, die plötzlich verstummte. Babette war sehr nett. Außerdem war sie nicht nur das hübscheste, sondern auch das gescheiteste Mädchen in unserer Klasse. Alle hatten Respekt vor ihr.
„Kann ich mir nicht vorstellen“, sagte die kleine Minni aus der letzten Bankreihe.
„Ich wüsste aber, wer Frl. Lampe heiraten könnte“, ließ Eule sich vernehmen.
„Wer denn?“, wollten alle wissen.
„Vielleicht Herr Presszeh, Picknicks Vater!“
„Das glaube ich nicht“, sagte Angeber, schob die Unterlippe vor und schüttelte entschieden seinen Kopf.
„Warum denn nicht?“, bohrte Simone.
Aber Angeber antwortete nicht. Er zeigte ihr nur einen Vogel und schüttelte weiter seinen Kopf.
Alle Kinder waren der Meinung, mein Vater und Frl. Lampe wären ein bildschönes Paar . Irgendwann einmal, so hofften wir, würde mein Vater unsere junge Lehrerin vielleicht heiraten. Dann wieder waren wir uns doch nicht mehr so sicher, dass sich dieser Wunsch je erfüllen würde, denn wir gewannen im Laufe der nächsten Tage mehr und mehr den Eindruck, mein Vater sei schüchternste Mann von Plunderland. Außerdem sprach er viel zu selten mit Frl. Lampe.
„Sie müssten öfter miteinander reden“, sagte Babette eines Morgens, als die Klingel gerade den Unterrichtsbeginn ankündigte.
„Ich weiß, w-w-ie man es anstellen muss, damit mein Vater Frl. Lampe heute einmal anspricht“, sagte ich in die Klasse hinein. Alle verstummten.
„Weißt du nicht“, sagte Angeber, der zwei Plätze rechts neben mir saß.
„Wie sollte man es denn anstellen?“, erkundigte Babette sich. Sie schien sehr gespannt auf die Antwort zu sein.
„Heute in der Pause spricht mein Vater mit Frl. Lampe!“, prophezeite ich geheimnisvoll.
„Das will ich sehen!“, höhnte Angeber.
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