Aber bald schon kam Onkel Kohlrabi zurück. Erleichtert sah ich, wie er noch weitere Brausewürfel in das Glas fallen ließ.
„Darf ich auch noch einen Würfel hineinwerfen?“, wollte ich wissen.
„Besser nicht“, sagte Onkel Kohlrabi. „Noch ein Körnchen von dem Treibmittel - und das Fass würde überlaufen! Du weißt ja: auf die richtige Mischung kommt es an!“
Diese Antwort bereitete mir ein gewisses Unbehagen, doch dachte ich bald nicht mehr daran. Bis zum Mittag lungerte ich noch in der Werkstatt des Onkels herum, dann lief ich zurück zu unserem Haus und legte mich brav ins Bett, bevor mein Vater von der Schule heimkehrte ...
Am nächsten Vormittag - ich war mit den anderen Kindern in der Schule und wartete ungeduldig auf das Schlussläuten unserer Glocke - ereignete sich die seltsame Katastrophe, von der die Leute im Dorf noch lange redeten:
Es war fünf Minuten vor zwölf.
„Georg“, rief Tante Bertha ihren Mann. „Das Essen ist fertig. Kommst du?“
„Erst muss ich meine neue Erfindung ausprobieren!“, antwortete Onkel Kohlrabi und trat mit einer grünen Flasche, die er über einer Flamme erhitzt hatte, aus seiner Werkstatt in den Garten hinaus.
„Aber das hat doch Zeit bis nach dem Essen!“, ärgerte Tante Bertha sich.
„Nein, meine Liebe“, sagte der Onkel. ”Ich darf keine Zeit verlieren. Das Treibmittel wirkt nur fünf Minuten!“
„Was ist es denn für eine Erfindung?“
„Es ist ein neuartiges Schnelltreibmittel. Es macht aus Zwergbäumen sozusagen Riesenbäume. Du wirst sehen!“
„So ein Unsinn!“, hörte er ihre Stimme aus der Küche.
Vor dem Küchenfenster goss Onkel Kohlrabi den Inhalt der Flasche tröpfchenweise um den dünnen Stamm eines Birnbäumchens. Aufmerksam betrachtete er, wie die grüne Flüssigkeit in der warmen Erde versickerte.
Ganz plötzlich begann sich das zarte Bäumchen zu bewegen. Der Stamm wurde breiter und breiter und wuchs Zentimeter um Zentimeter in die Höhe. Auch die Äste gerieten in Bewegung, wurden länger und stärker, erst knüppeldick, dann armdick und immer dicker. Nun begannen die kleinen Blätter und Birnen zu wachsen, und Onkel Kohlrabi dachte unwillkürlich an die Aufnahmen von Zeitrafferfilmen, die er einmal von sich öffnenden Blumen gesehen hatte.
„Donnerwetter! Es funktioniert! Bertha, es funktioniert!“, rief er begeistert zum Haus hin.
In seiner Freude kletterte er auf den inzwischen zwei Meter hohen Baum, klammerte sich an den stärker und dicker werdenden Ästen fest, und beobachtete gespannt, wie er immer höher und höher in den blauen Himmel gehoben wurde. Es war einfach fantastisch!
„Berthaaa!“
Tante Bertha aber kümmerte sich nicht um das Geschrei ihres Mannes. Sie ließ sich ihre würzige Erbsensuppe schmecken. Auf einmal erkannte sie draußen vor dem Küchenfenster das erhitzte Gesicht des Onkels, der zwischen den balkendicken Ästen eines Baumes hing, den sie nun zum ersten Male sah.
„Heiliger Strohsack!“, entfuhr es ihr erschrocken. „Träume ich vielleicht?“
„Ist noch Suppe da?“, fragte Onkel Kohlrabi und klopfte gegen die Fensterscheibe.
Vor Schreck ließ Tante Bertha den Löffel in den Suppenteller purzeln. Augenblicklich fiel sie in Ohnmacht.
„Berthaaa!“, bölkte der Onkel, aber er hatte seine Frau schon aus den Augen verloren, denn der Birnbaum war wieder ein beträchtliches Stück in die Höhe geschossen. Der Stamm hatte inzwischen den Umfang eines Traktorrades. Kirchglockenbirnen mit armdicken Stielen schaukelten an den Ästen.
Onkel Kohlrabi, der seinen eigenen Augen kaum glauben wollte, stieß mit seinem Hut gegen die Dachrinne des Hauses.
„Das ist fantastisch!“, sagte er mit bebender Stimme zu sich selbst. ”Einfach fantastisch! Berthaaaa!“
Nun konnte er seinen großen Garten überblicken. Er sah die Wiese, auf der er gestern erst ein Stückchen gemäht hatte; nun lehnte die Sense, als sei sie erschöpft von der Arbeit, schräg an der roten Ziegelsteinwand seiner Werkstatt. Die unter dem Kirschbaum grasenden Schafe blickten gleichmütig kauend zu ihm hinauf, während die Hühner sich angstvoll unter dem Treppenaufgang duckten. Onkel Kohlrabis Haus war von allen Seiten bewachsen mit Weintraubenranken. Hier oben neben der Regenrinne summten bereits die Bienen an den reifenden Weintrauben. Er wollte eine Traube abpflücken, aber noch bevor er seine Hand ausgestreckt hatte, war der Baum wieder einige Meter in die Höhe geschossen. Unter sich sah der Onkel jetzt das rote Dach seines Hauses in der Sonne leuchten. Allmählich wurde es ihm unbehaglich auf seinem Ast.
„Hilfe!“, brüllte er aus Leibeskräften. „Hiiiiilfe!“
Aus schwindelerregender Höhe ging sein ängstlicher Blick über die Dächer von Plunderland hinaus. Er sah das Rathaus mit dem Steinbrunnen davor, die Kirche, den Kindergarten und die Schule, aus deren Tor die Jungen und Mädchen gerade dem Mittagessen entgegeneilten. Auf den umliegenden Feldern brachten die Bauern das Korn ein. Oben am weiten Himmel blinkte ein silbernes Flugzeug und verschwand hinter einer weißen Wolke.
„Zu Hilfeee!“
„Georg!“, tönte die Stimme seiner Frau herauf, die am Fuße des Baumes stand und den Kopf in den Nacken legte, um ihren Mann besser sehen zu können.
„Hier oben sitze ich!“, jammerte Onkel Kohlrabi verzweifelt.
„Das darf doch nicht wahr sein!“, sagte Tante Bertha mit deutlichem Vorwurf in der Stimme.
„Doch“, sagte der Onkel kleinlaut, „es ist wahr. - Tu irgendwas, damit ich hier herunterkomme!“
„Was denn?“
„Hol die Leiter.“
In ihrer Aufregung lief Tante Bertha ins Haus und kam wenig später mit einer kurzen Holzleiter zurück.
„Doch nicht die kurze Küchenleiter!“ rief Onkel Kohlrabi vom Baum herunter.
„Welche denn?“
„Die lange Obstleiter hinter dem Haus natürlich.“
In diesem Augenblick kletterte ich über die Steinmauer und kam Tante Bertha zu Hilfe. Ich war sofort im Bilde. Gemeinsam schleppten wir die hölzerne Leiter zum machtvoll aufragenden Birnbaum, dessen schwere Birnen bedenklich hin und her baumelten, denn noch immer schienen die Äste zu wachsen. Aber auch die lange Leiter erwies sich als zu kurz: sie reichte nicht einmal bis zur Hälfte des massigen Stammes.
„Georg!“, tönte Tante Bertha, wobei sie ihre Hände wie einen Trichter vor den Mund legte. „Georg, hörst du mich?“
„Was?“
„Ob du mich hörst?“
„Nein, äh, ja. Natürlich höre ich dich.“
„Was soll ich jetzt machen?“
„Ich habe eine Lösung, Onkel Kohlrabi!“, ließ ich mich lautstark vernehmen.
„Picknick, mein Junge, was soll ich deiner Meinung nach tun, um möglichst schnell von hier oben herunterzukommen?“, hörte ich den Onkel rufen.
„Du musst auf den untersten Ast des Baumes klettern, um von dort den Schornstein des Hauses zu erreichen!“
„Ich traue mich nicht“, sagte Onkel Kohlrabi mit kummervoller Stimme.
„Dann musst du dort oben hocken, bis du schwarz wirst!“, schimpfte Tante Bertha mit berechtigter Empörung.
„Also gut“, sagte Onkel Kohlrabi, „ich will es versuchen.“
Schritt für Schritt bewegte er sich durch das Astwerk des Baumes, bog die großen Blätter und Birnen beiseite und arbeitete sich bis zur Spitze des untersten Astes vor, der nun, durch seine Kletterbewegungen, einige Meter über dem Schornstein des Hauses auf und ab wippte.
„Was jetzt?“, fragte er mit einem hilflosen Blick nach unten.
„Was wohl! Du musst springen!“, bellte Tante Bertha.
„In den Schornstein?“
„Na, wohin denn sonst?!“
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