JocelynHey, April, ich bin’s.
AprilWer hätte es auch sonst sein sollen, Tantchen?
JocelynIst alles in Ordnung bei dir, mein Schatz?
AprilSchläft Debbie schon?
JocelynIch hoffe, ich störe dich nicht bei etwas Wichtigem?
AprilVielleicht könnte ich sie noch mal kurz sprechen?
JocelynSchau mal auf die Uhr, Kleines.
AprilOh, schon so spät.
JocelynWas machst du denn gerade?
AprilIch stelle nur noch mal ein bisschen um und packe die letzten Kartons aus. Hab gar nicht gewusst, wie viel Zeug wir hatten. Wenn du das alles sehen könntest. Die Möbel sind übrigens schon aufgebaut. Wirklich nett, die Leute von der Spedition. Ein guter Tipp von dir. Danke.
JocelynDu weißt doch, ich helfe dir immer gern, wo ich nur kann.
Ermutigendes Schweigen.
JocelynBrauchst du vielleicht noch etwas?
AprilEs fehlen eigentlich nur noch die Vorhänge an den Fenstern, dann ist alles so gut wie perfekt. Ich denke, da wirst du mir wirklich doch noch mal zur Hand gehen müssen, wenn du mich besuchen kommst. Bis dahin werde ich mir irgendwie anders helfen müssen. Es sei denn, ich finde hier einen netten Nachbarn, der einer jungen Mutter gern einen Gefallen tun möchte.
JocelynGeht es dir wirklich gut, mein Liebling?
AprilAuch für das Aufhängen der Bilder werde ich dich brauchen. Das geht besser, wenn jemand schaut, ob es auch passt und gut aussieht.
JocelynApril?
Melancholisches Schweigen.
AprilDu musst mir versprechen, mich mit Debbie auch unter der Woche möglichst oft zu besuchen. Sie nur am Wochenende zu sehen, das halte ich bestimmt nicht aus. Willst du das tun?
JocelynNatürlich, mein Schatz.
AprilEs ist ja nicht mehr so lange, bis sie in die Schule kommt. Dann habe ich hier bestimmt schon Fuß gefasst und sie kann ganz zu mir ziehen.
JocelynDu hörst dich irgendwie traurig an. Und nach allem, was du durchgemacht hast, ist es auch nicht verwunderlich, dass du niedergeschlagen bist. Ich kann dich da nur allzu gut verstehen, wie du weißt.
AprilIch bin jetzt hier und seit heute Morgen mit dem Einzug in meine neue Wohnung beschäftigt, Tante Jocelyn. Hier beginnt für mich, Debbie und dich ein vollkommen neues Leben. Fang also bitte nicht schon wieder mit den alten Geschichten an. Ich will das endlich und endgültig hinter mir lassen und nur noch nach vorne schauen. Verstehst Du das denn nicht? Bitte, Tante, lass …
JocelynEs ist nicht leicht für mich, dich noch immer so leiden zu sehen, April. Und schließlich müssen wir beide doch auch ganz besonders an Debbie denken. Sie ist noch so klein. Es fällt ihr sichtlich schwer, diese ganze Aufregung augenblicklich zu verstehen. Und doch platzt sie fast vor Freude. Aber wir müssen es trotzdem langsam angehen. Versprichst Du mir das? Sie muss sich erst an die Veränderungen gewöhnen. Sie braucht Zeit. In Ordnung?
AprilMeinst du, ich weiß nicht, wie schwer es dir fällt, sie allmählich loslassen zu müssen?
JocelynWarum sagst du das, April? Ich weiß sehr genau, dass sie zu dir gehört. Aber du bist noch nicht so weit …
AprilIch leide nicht mehr. Was geschehen ist, ist geschehen. Ich bin darüber ein für alle Mal hinweg. Und jetzt ist davon nur noch eine sehr große Kraft in mir übrig geblieben, Tante Jocelyn. Wenn du mich sehen könntest …
JocelynIch denke, es wäre trotzdem gut, sie nicht gleich zu oft aus ihrem Leben hier bei mir zu reißen.
AprilLass es uns bitte so machen, wie wir es besprochen haben. Debbie wird schnell herausfinden, wohin sie gehört und wo sie sein will. Natürlich wird sie dir nie vergessen, was du für sie und für mich getan hast. Da brauchst du keine Angst zu haben. Ich werde sie schon daran erinnern, wenn es so weit ist, dass sie es verstehen kann. Du bist schließlich für uns beide ein sehr wichtiger Mensch. Ich verspreche dir, sie und ich, wir werden dich immer in unseren Herzen tragen. Unser ganzes Leben lang. Aber sobald sie zur Schule kommt, wird sie bei mir leben. Das musst du akzeptieren.
Mehrdeutiges Schweigen.
JocelynUnd ich kann wirklich nicht noch etwas für dich tun?
AprilIch habe Dich sehr lieb, Tante.
JocelynIch bin schon sehr gespannt, zu sehen, wie es bei dir jetzt aussieht.
AprilMorgen früh komme ich und hole Debbie übers Wochenende ab. Dann kann sie sich hier alles einmal anschauen.
JocelynWelche Farbe hat das Kinderzimmer?
AprilPastellblau.
JocelynWarum nicht rosa?
AprilIch muss jetzt noch ein bisschen weitermachen, Tante. Ich will doch, dass alles möglichst fertig ist, wenn sie herkommt. Wir sehen uns morgen. Ich denke, ich werde so gegen neun Uhr losfahren und etwa um halb elf bei Euch sein. Ich hab dich wirklich sehr, sehr lieb, Tante.
JocelynIch dich auch, meine Kleine.
April beendet das Telefonat und stellt das Radio wieder etwas lauter. Sie beginnt erneut, zu summen und zu singen sowie zu hantieren.
3
Ein Gerichtssaal im Gerichtsgebäude von Jackson. Montagnachmittag, 9. Mai 2005, 14.30 Uhr. Es wird wild durcheinander gesprochen, man hört nur einzelne Stimmenfetzen. Dann tritt, da sich der Gerichtsschreiber erhebt, ganz plötzlich Totenstille im Saal ein.
GerichtsschreiberDas Verfahren gegen Bobby Norman wird hiermit eröffnet. Den Vorsitz hat der ehrenwerte Richter Donald A. Barnett. Bitte erheben Sie sich.
Eine Tür wird geöffnet, alle Anwesenden stehen auf. Nach einem kurzen Augenblick tritt der Richter schwungvoll durch die offene Tür ein, die sogleich wieder hinter ihm geschlossen wird. Des Richters ganze Erscheinung strahlt eine große Souveränität, ja beinahe Erhabenheit, aus, ohne dass er unnahbar oder gar unsympathisch wirken würde. Ganz im Gegenteil. Er geht zu seinem Platz, setzt sich hin und macht dabei den Anwesenden ein lässiges Zeichen, sie mögen seinem Beispiel folgen, was diese auch mit einer gewissen, deutlich spürbaren Erleichterung tun. Der Richter wartet ab, bevor er zu sprechen beginnt.
RichterNun denn, dann wollen wir mal. Also ...
Er schaut bedächtig um sich, dann wendet er sich an Bobby Norman.
RichterSie sind der Angeklagte Bobby Norman?
Erwartendes Schweigen.
RichterIch wiederhole gern meine Frage. Sie sind der Angeklagte Bobby Norman?
Bobby wird von seiner Anwältin angestoßen und antwortet nur zögerlich, etwa wie ein verschrecktes Tier.
BobbyJa ... ja, Euer Ehren.
RichterGut.
Er besinnt sich kurz, dann scheint es, als bemerke er erst jetzt die Person neben Bobby Norman.
RichterUnd Sie, sind Sie die Verteidigerin von Mr. Norman?
AnwältinJa, Euer Ehren.
RichterSehr schön.
Er schaut sich im Saal um.
RichterWenn ich das richtig sehe, dann sind wir ja tatsächlich schon vollzählig. Wer hätte gedacht, dass das mal so schnell gehen würde?
Lacher aus dem Publikumsbereich.
RichterAlso, ich will ein ordentliches Verfahren. Das heißt erstens: keine Pöbeleien, Schimpfwörter oder anderes unflätiges Zeug. Das gilt vor allem für Sie, Angeklagter.
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