Welder nickte. Doch im gleichen Moment wuchs auch sein Misstrauen. „Was machst du, wenn die Polizei noch mal kommt und dich auf den sehr fragwürdigen Zufall anspricht?“, fing er vorsichtig an, obwohl Wagner deutlich ausgesprochen hatte, dass er sich aus der Sache heraushalten sollte.
Wagner warf sich herum und stampfte, ohne etwas zu erwidern, zum Schreibtisch zurück.
„Auch gut. Ich habe dich hiermit offiziell informiert, dass deine Maschine heute Mittag kurz vor zwölf abgestürzt ist. Alle Passagiere wie auch die Besatzung kamen dabei ums Leben. Verständigst du Steins Eltern und Millers Frau, oder soll ich es tun?“
„Das übernehme ich. Es waren meine Angestellten“, rief Wagner barsch und drehte Welder den Rücken zu.
Für einen Moment blieb Welder an der Tür stehen, ehe er das Büro verließ. Er wusste einfach nicht, wie er Wagners Verhalten einschätzen sollte. Langsam, sich über ihn und die verworrene Situation Gedanken machend, ging er aus dem Hangar hinaus und lief in Richtung LKA weiter, dessen Gebäudekomplex an das Flughafengelände angrenzte.
Als er um die Ecke des Hangars bog, sah er Schimmelpfennig an dem VW-Bus von Private-Gilden-Airline stehen. Er redete auf Hajo ein, der hinter dem Steuer saß, und Welder sah ein paar zerknüllte Geldscheine in Schimmelpfennigs Hand. „Der gibt nie auf“, murmelte er und ging, ohne noch weiter auf den Journalisten zu achten, weiter. Er war jetzt schon gespannt, welche Schlagzeile am morgigen Tag auf der Titelseite des Berliner Journals prangen würde.
*
Im LKA blieb Welder hinter der Eingangstür stehen und überflog den Wegweiser, auf dem alle Abteilungen mit den zugehörigen Unterabteilungen verzeichnet waren. An wen sollte er sich wenden? Er hatte solch einen Fall in seiner bisherigen Dienstzeit noch nicht gehabt. Welder entschied, direkt zu Fritz Obstein, dem Leiter vom LKA, zu gehen. Obstein war ein langjähriger Bekannter von ihm.
An Obsteins Büro angekommen, klopfte Welder kurz an und trat, ohne weiter abzuwarten, ein. Frau Löwitsch, Obsteins Sekretärin – eine sehr attraktive Blondine Mitte zwanzig –, saß hinter ihrem Schreibtisch und begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln. Welder grüßte mechanisch zurück. Seine Gedanken beschäftigten sich bereits mit dem tief dekolletierten, eng anliegenden Pullover von Frau Löwitsch, unter dem er deutlich den Rand ihres knappen Büstenhalters erkennen konnte. Während er geistesabwesend auf den Pullover starrte, fragte er sich, ob sich die junge Frau nicht etwas in ihrer Garderobe vergriffen hatte. Immerhin war es Februar und draußen herrschten seit Tagen Temperaturen, die unter dem Gefrierpunkt lagen. Als Frau Löwitsch sich von ihrem Stuhl erhob und Welder den kurzen schwarzen Minirock und die kniehohen Stiefel sah, war sein Kopf plötzlich und unerwartet leer. Er dachte weder an den Absturz der Cessna noch daran, dass sein starrer Blick nicht gerade unbemerkt bleiben würde.
Als er erkannte, dass sein Interesse an Frau Löwitsch von ihr bemerkt wurde, riss er seinen Blick von den endlos wirkenden Beinen los und lief hastig zur Tür, die in Obsteins Büro führte.
Welder war bereits im Begriff, sie zu öffnen, als er sich nochmals an Frau Löwitsch wandte: „Ist er da?“, fragte er und bekam ein kurzes Nicken zurück. „Kann ich rein?“, hängte er schnell noch an, drückte den Türgriff aber bereits nach unten und öffnete die Tür.
„Sicher, Sie doch immer, Herr Welder“, gab Frau Löwitsch zuckersüß und mit einem verschmitzten Lächeln zurück.
Als Welder die Tür schloss, sah er, dass Frau Löwitsch sich gerade nach einem Aktenordner streckte, der in einem der Schränke stand. Durch den Griff in die obere Schrankreihe raubte sie dem bereits kurzen Minirock noch etwas an seiner Länge, sodass der Spitzenansatz der halterlosen Strümpfe zu erkennen war.
„O Gott, wie hältst du das nur aus“, sagte Welder bestürzt, aber dennoch mit einem leichten Glanz in den Augen, als er die Tür endgültig schloss.
Fritz Obstein stand mit einer Blumenspritze am Fenster und hüllte einen kleinen Kaktus liebevoll in einen feinen Wassernebelschleier ein. „Was meinst du?“, fragte er zurück, und im gleichen Augenblick, als er den Glanz in Welders Augen sah, rief er lachend: „Ah, Frau Löwitsch. Jetzt weiß ich, was du meinst.“
„Ja, Frau Löwitsch. Dass du als Leiter vom LKA so etwas durchgehen lässt“, gab Welder sehr betont zurück und setzte sich in einen gemütlichen Ledersessel, der etwas abseits in einer Ecke stand.
„Ja, weißt du, die jungen Frauen von heute ziehen sich eben etwas flotter an als zu unserer Zeit. Du müsstest mal meine Älteste sehen, wenn sie abends aus dem Haus geht. Da ist das da draußen noch harmlos. Du bist doch schon etwas zu alt, was“, sagte er neckend und stellte die Blumenspritze auf der Fensterbank ab.
„Na ja, zu alt will ich ja wohl nicht sagen. Vielleicht etwas verstaubt, aber alt?“
Obstein lachte über Welders dezente Verteidigung. „Was führt dich zu mir? Oder wolltest du nur mal einen Blick riskieren?“, hängte er noch scherzhaft an und setzte sich mit einem Schmunzeln auf den Lippen an seinen Schreibtisch.
„Nein, natürlich nicht. Ich habe da eine etwas unangenehme Aufgabe für dich; besser ausgedrückt, für einen deiner Mitarbeiter.“
„Unangenehm?“, fragte Obstein interessiert, lehnte sich in seinen Stuhl zurück, faltete die Hände und schaute Welder fragend an.
„Ja. Heute Morgen ist von hier, aus Tempelhof, eine Cessna gestartet und kurz vor dem Landeanflug auf Salzburg aus bisher unbekannten Gründen abgestürzt. Alle Passagiere und die beiden Piloten kamen dabei ums Leben. Die Maschine ist vollkommen zerstört und ausgebrannt. Ich möchte dich bitten, die Angehörigen zu unterrichten. Ich denke, du wirst Beamte haben, die solche brisanten Nachrichten mit Gefühl und Takt überbringen können.“
Obsteins Lächeln verschwand. Er saß still hinter seinem Schreibtisch und sah Welder ohne eine erkennbare Gefühlsregung an. „Weiß man, wie es passiert ist?“, fragte er mit ausdrucksloser Stimme, nachdem er den Knoten seiner Krawatte etwas gelöst hatte.
„Nein. Bisher nicht. Die Untersuchungen nehmen in der Regel Tage, ja sogar Monate in Anspruch. Wenn du genauere Informationen benötigst, musst du dich an die BFU in Braunschweig wenden. Die Maschine ist noch auf deutschem Gebiet abgestürzt.“
„Gut. Ich werde sofort zwei Beamte mit dem Auftrag betreuen.“
Obstein stand auf, ging um den Tisch herum und streckte Welder seine Hand entgegen, womit er unmissverständlich zeigte, dass dieses Gespräch für ihn zu Ende war.
Welder schaute irritiert auf Obsteins ausgestreckte Hand. „Du willst mich schon wieder hinauswerfen? Willst du nicht wissen, wer in der Maschine war?“, protestierte er, griff dabei in seine Tasche und zog die Passagierliste, die noch vor wenigen Minuten Schimmelpfennig in seinen klebrigen Händen hielt, hervor.
Obstein sah ihn einen Moment lang verwundert an, so als wüsste er nicht, was Welder eigentlich meinte. „Ach ja. Ich habe nicht daran gedacht, dass du die Namen schon hast. Also …“, sagte Obstein und streckte seine Hand nach der Passagierliste aus.
Welder reichte ihm das Blatt, stand auf, und ohne noch etwas zu sagen – aber über Obsteins Verhalten sehr irritiert –, ging er aus dem Büro hinaus.
„Bis zum nächsten Mal. Ich habe leider keine Zeit mehr für dich“, drang es noch durch die sich schließende Tür hindurch, die schnappend in ihr Schloss fiel. Welder warf erst der Tür und danach Frau Löwitsch einen fragenden Blick zu.
„Hat wohl einen schlechten Tag“, sagte Frau Löwitsch freundlich, sich für das Benehmen ihres Chefs entschuldigend, und widmete sich danach wieder ihrer Schreibmaschine.
„Ja, vermutlich“, gab Welder leise zurück und öffnete, bereits in Gedanken versunken, die Tür zum Flur.
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