1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Welchem Volke die Kinder angehörten, darüber konnte es keinen Zweifel geben; sie waren Dongiols, und dieser Stamm gehört zur Dinkanation, welche sich auch Djangeh nennt. Diese letztere Bezeichnung war hier in Kairo der Name des Mädchens geworden. Die Dinka sind unbedingt der schönste Menschenschlag am weißen Nil; sie sind schlank und von hoher Statur, und ihr Gesichtsausdruck zeigt mehr Milde und Intelligenz, als derjenige anderer Völker. Da war es kein Wunder, daß der Knabe nicht das stumpfsinnige, teilnahmlose Wesen anderer Negerkinder besaß. Hätte er in einer deutschen Volksschule sitzen können, er wäre gewiß gegen keinen der andern Schüler zurückgeblieben.
Solchen stillen Betrachtungen gab ich mich hin, bis dem Türken mein Nachsinnen unbequem wurde. Er erkundigte sich nach der Ursache dieser Wortlosigkeit, und ich erzählte ihm, was ich von dem kleinen Gegner seines Schnurrbartes gehört hatte. Er blickte lange, ohne eine Meinung zu äußern, vor sich nieder, so daß ich ihn endlich fragte:
»Nun, was sagen Sie dazu?«
»Daß ich Ihnen nicht rate, sich in diese Angelegenheit zu mischen. Sie würden nicht nur Mühe und Ärger, sondern noch Schlimmeres davon haben.«
»Pah! Die Sklaverei ist abgeschafft.«
»In den Büchern und Verträgen; in der Wirklichkeit besteht sie aber noch, in der Türkei und in Ägypten, und es fragt hier keine Behörde darnach, ob mein Neger mein Diener oder mein Sklave ist.«
»Aber wenn ich einen bestimmten Fall zur Anzeige und dazu die Beweise bringe, so ist diese Behörde gezwungen, einzuschreiten.«
»Ja; aber wie wird sie einschreiten! Nehmen wir den Haushalt des höchsten Mannes in Ägypten als Beispiel an. Hat der Khedive nur Diener und Dienerinnen und keine Sklaven und Sklavinnen mehr? Antworten Sie mir nicht mit Umschreibungen, sondern kurz mit ja oder Nein!«
Ich schwieg. Was hätte ich sagen können?
»Ich höre keine Antwort, und das ist deutlich genug. Denken Sie, der Sudan liefere seit dem Verbote keine Sklaven mehr? Oder denken Sie, es sei nicht allgemein bekannt, auch der Behörde, daß jährlich noch Tausende von Schwarzen auf dem Nile bis herunter ins Delta schwimmen? Man drückt die Augen zu, weil man selbst Neger braucht. Man hat Diener, Haremswächter und Dienerinnen für die Frauen nötig, und weil man sie auf keine andre Weise bekommen kann, so kauft man sie. Ich rate Ihnen, die Hand davon zu lassen.«
Leider konnte ich ihm nicht so ganz unrecht geben, aber dennoch fühlte ich mich gegen ihn verstimmt. Freilich war er kein Christ, sondern ein Muhammedaner und als solcher gewiß kein Gegner der Sklaverei. Er hatte dieselbe von Jugend auf als eine längst zu Recht bestehende und notwendige Institution gekannt und verdiente also Entschuldigung. Fast wäre ich wieder in mein vorheriges Grübeln verfallen, wenn nicht eine neue, interessante Erscheinung mein Auge auf sich gelenkt hätte. Es erschien nämlich am Ausgange der Seitengasse ein Mann, welcher unmöglich unbemerkt bleiben konnte. Im kräftigsten Mannesalter stehend, war er von hoher, breiter Figur. Man sah auf den ersten Blick, daß er große Körperkraft besitzen müsse. Das bezeugte auch die Bildung seines Gesichtes, die stark entwickelten Kiefer, die wulstigen Lippen, die hervortretenden Backenknochen und die breite, scharfkantige Stirn. Das Gesicht besaß einen dunkelbronzenen Glanz, ein sicheres Zeichen, daß er Negerblut in den Adern hatte. Trotz dieses Beweises sudanischer Abstammung trug er grüne Pantoffel und einen Turban von derselben Farbe. Das wollte sagen, daß er ein Abkömmling des Propheten sei. Seine Gestalt war in einen feinen, glänzend weißen Kaftan gehüllt; in jeder Hand hielt er eine Gebetskette, und an einer um den Hals gelegten goldenen Schnur hing ein Futteral mit dem Hamaïl; das ist ein Kuran, welcher in Mekka geschrieben und dort während der Pilgerfahrt gekauft worden ist. Hoch aufgerichtet, trat er mit stolzen langsamen Schritten aus der Nebengasse hervor und kam auf das Bierhaus zu. Seine Haltung, seine Miene, sein ganzes Wesen sagte mit größter Deutlichkeit-. Hier bin ich; wer kommt mir gleich? In den Staub mit euch vor mir!
Dieser Mensch war mir augenblicklich im höchsten Grade widerwärtig. Er hatte das, was der Deutsche ein Ohrfeigengesicht nennt, das heißt ein Gesicht, bei dessen Anblick es einem in den Händen zuckt, obgleich man den Mann zum erstenmale sieht und also von ihm noch gar nicht beleidigt worden sein kann. Ich ahnte in diesem Augenblicke nicht, wie gerechtfertigt dieser mein instinktiver Widerwille war, und konnte noch viel weniger wissen, daß es ihm und mir beschieden war, wiederholt und höchst ernstlich aneinander zu geraten.
Als er herzugetreten war, erhoben sich, mit nur einigen Ausnahmen, die Anwesenden von ihren Sitzen, um sich tief zu verneigen und dabei die Hände auf Herz, Mund und Stirne zu legen. Er antwortete nur mit einem kaum wahrnehmbaren Neigen seines Kopfes, ging zwischen ihnen hindurch und verschwand durch die mehr erwähnte hintere Thüre, nachdem er vorher dem kleinen schwarzen Kellner einen Wink gegeben hatte. Ich sah, daß das Gesicht des Knaben einen angstvollen Ausdruck angenommen hatte; er blickte hinüber zu seiner Schwester, welche darauf zögernd zu ihm kam. Ich sah Thränen in ihren Augen; ich bemerkte sogar, daß sie zitterte. Er nahm sie bei der Hand und ging mit ihr zu derselben Thür hinaus.
Sollte dieser Mann vielleicht Abd, el Barak sein? Gewiß! Er kam, um die Einnahmen der Kinder zu revidieren. Ich horchte gespannt nach hinten; es war, als sagte mir eine Ahnung, daß ich jetzt gebraucht werde. Ich fragte mich nicht, ob ich ein Recht oder gar eine Pflicht besäße, mich gegebenen Falls einzumischen; es war wie ein Naturgesetz in mir, dem ich mich zu überlassen hatte.
Da drang etwas wie ein ängstliches Wimmern an mein Ohr. Ich sprang auf und stand im nächsten Augenblicke unter der Thüre. Hinter derselben lag ein winzig kleiner Hof. Da stand dieser Mensch; er hatte Djangeh mit beiden Händen bei den Haaren gepackt und hielt sie in die Höhe; sie wagte nicht, ihren Schmerz lauter als durch ein nur mit Mühe unterdrücktes Wimmern zu äußern. Vor ihm kniete der Knabe und rief flehend.
»Laß sie los; laß sie los; ich will für sie bezahlen!«
Der Kerl schwang dennoch das Mädchen an den Haaren hin und her und fragte dabei ihren Bruder, indem ein höhnisches Grinsen sein Gesicht verzog:
»So hast du also doch mehr Geld, als du sagtest? Ich dachte es mir. Her damit! Und wenn du – –«
Er hielt inne, denn er sah mich, weil ich schnell herbeigetreten war. Indem er das arme Kind noch immer nicht sinken ließ, fuhr er mich an- »Wer bist du? Was willst du hier?«
»Gieb das Kind los, und zwar augenblicklich!« antwortete ich.
Er fletschte die Zähne wie ein Raubtier, doch ich beachtete das gar nicht, sondern versetzte ihm, da er meiner Forderung nicht schnell nachkam, einen Fausthieb gegen die Brust, daß seine Finger sich öffneten und das Mädchen zu Boden fiel, wo sie liegen blieb, weil sie vor Angst sich nicht zu bewegen wagte. Er trat zwei Schritte zurück, duckte sich nieder, ballte die Fäuste und wollte sich auf mich werfen.
»Halt!« rief ich ihm zu. »Darf ein Nachkomme des Propheten sich bei einer Balgerei betreten lassen?«
Das wirkte im Moment. Er fuhr aus seiner zusammengezogenen Stellung empor; aber was für ein Gesicht sah ich da vor mir! Es spottete der Beschreibung. Das Blut war aus demselben gewichen, und darum hatte sich seine ursprüngliche Färbung in eine schmutzig graue verwandelt. Seine Lippen waren geöffnet und ließen zwei Reihen langer, gelber Zähne sehen; seine Augen funkelten, und sein Atem drang fast röchelnd aus der Kehle.
»Hund!« zischte er mich an. »Du hast dich an einem Scherif vergriffen. Kennst du mich?«
»Nein,« antwortete ich ruhig, aber vorsichtiger Weise das Auge nicht von ihm lassend.
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