lasse mit einem hörbaren Ausatmen los, atme tief ein und aus, und ab geht die wilde Fahrt!
Heusweiler, im Sommer 2014
Vorwort zur dritten Ausgabe
Im Frühjahr 2017 wurde der Text überarbeitet und aktualisiert. Manches wurde gekürzt, anderes ergänzt.
Der frühere Titel von „Propellerheim“ war „Reha – ein Wegweiser.“
Dörrenbach, im Frühjahr 2017
Da war ich wieder.
In der Psychoklinik.
In der funny farm.
Im happy home.
Im Propellerheim.
Im Irrenhaus – sagen die einen.
Stressklinik – sagen die anderen.
Hab´ ich den Verstand verloren? Sicher nicht…
Bin ich verrückt? Ansichtssache.
Meist kommt bei so Aufenthalten ja heraus, dass die draußen verrückt sind, und wir drinnen normal.
Was aber ziemlich wenig weiterhilft, wenn man wieder rauskommt…
Es ist der dritte Aufenthalt in solch einem Etablissement.
Wir schreiben das Jahr 2013. Anfang Juni.
Es gab schon erfolgreiche Rehas 2007 und 2010. Daher bin ich guter Dinge… oder? Wenn die von 2007 und 2010 erfolgreich waren, warum bin ich dann wieder hier?
Ich will meinen Gedanken nachhängen und die „Co-Therapeutin“ loswerden. Neues kann sie mir nicht berichten. „Co-Therapeutin“ ist ihr Titel, so stand es in dem Prospekt, den ich bekommen habe. Vor knapp zwei Stunden bin ich hier eingeschwebt, auf dem Klinik-Gelände. Zum Auspacken ließ man meinen smart durch die schwer gesicherte Schranke passieren. Direkt vor den Eingang. Ich packte aus, ließ mein Gepäck an der Rezeption stehen, fuhr wieder hinaus aus dem gesicherten Parkplatzteil der Klinik und parkte auf einem Waldparkplatz. Wir Kranken parken weit draußen, diejenigen, welche uns erzählen, wie gesund Laufen ist, parken drinnen; die Oberärzte am nächsten zum Eingang.
Ich werde erwartet, mit Betonung auf „wartet.“ Ich fühle mich sehr gestresst mit dem Gepäck am Eingang zu warten, es alleine zu lassen während der Umparkaktion und während ich meine Nase pudern muss… im Gepäck sind teure Kommunikationsgeräte. Die übernette Dame an der Rezeption meint zwar, sie passe auf das Gepäck auf, ist jedoch sehr beschäftigt und sieht mit Sicherheit nicht, wem welches Gepäck auf dem Flur gehört. Es ist An- und Abreisetag, es wimmelt wie in einem Bienenstock. Aber nach 40 Minuten kommt meine Co-Therapeutin. Auch sie ist übernett, gewohnt, mit… wie soll ich mich ausrücken… hypersensiblen Menschen zu sprechen – und ich ja eher so der direkte, wortkarge bin. Das nervt mich. Leider gehen wir auch nicht direkt in mein Zimmer, wo ich das Gepäck ablegen könnte. Ich bin beladen wie ein indischer Omnibus: Links hängt meine Atemmaske um den Körper, rechts die Laptoptasche, in der Mitte eine Dokumententasche ebenfalls um den Hals, dazu trage ich meinen rollenlosen Koffer.
Nein, so bepackt machen wir erst noch einen Klinikdurchgang. Was heißt „wir“… Ich ! Die Schwester hat ja nichts zu tragen. Sie zeigt mir dann die medizinische Zentrale, die Kantine und die Besprechungsräume – alles befindet sich tatsächlich dort, wo ich es auch durch die zahlreichen Hinweisschilder und detaillierten Wegweiser sowieso gefunden hätte. Endlich im Zimmer angekommen, schnaufe ich wie eine Lokomotive, mein T-Shirt ist schweißdurchtränkt, der Hals von den Tragegurten schmerzhaft aufgescheuert. „Gell Herr Noll, Sie sind aber auch ein bisschen dick?“ fällt ihr nun auf. Mein „naja, seit der Rezeption habe ich nun aber nicht zugenommen!“ nimmt sie aber nicht als Kritik, dass wir vielleicht lieber zuerst auf´s Zimmer gegangen wären, das Gepäck abgestellt hätten und dann einen Rundgang gemacht hätten. Lieber zeigt sie mir, wie das Balkonfenster aufgeht, um meinem Schnaufen und Schwitzen Einhalt zu gebieten. Und siehe da: Es geht am Griff auf! Das hätte ich mir fast gedacht…
Was fehlt, ist eine Vorstellung der Rettungswege, Alarmauslösung oder Zeigen der vorhandenen Feuerlösch-Mittel. Aber ich kriege Info, die Sauna wäre der einzige Raum ohne Schwesternnotruf! Naja, wer sollte auch ausgerechnet in der Sauna Kreislaufprobleme bekommen?!? Dafür ist der Schwesternnotruf in meinem Zimmer direkt unter dem Lichtschalter und im Bad neben der Klospülung, so dass eine versehentliche Alarmierung nahezu vorprogrammiert ist (was auch zweimal vorkommt, ein Großeinsatz mit einem raschen Telefonanruf jedoch verhindert werden kann.)
Und wir können jederzeit, 24 Stunden am Tag, am Schwesternzimmer anklopfen! Wir sollen uns da ja keinen Zwang antun. (Wie ich noch erfahren sollte, war das wörtlich gemeint: Anklopfen konnten wir immer. So lange wir wollten sogar. Da war allerdings niemand drin, im Stationszimmer, zumindest nicht die 4 Mal, als ich jemanden gebraucht hätte und andere Patienten machten ähnliche Erfahrungen. Merke: die Hälfte seines Lebens wartet der Patient vergebens!)
Ob ich zurecht käme.
„Ja!“
Und nochmal: Ich könne jederzeit Hilfe rufen.
„JA!!!“
Der Hinweis, dass ich nun ruhen wolle, treibt sie endlich aus meinem Zimmer.
Ich wickele Atemmaske, Laptop und meine allgemeine Stautasche von meinem Hals, und sehe aus dem Fenster.
Da bin ich nun. Tief im Westen der Republik ist die Klinik. Nicht weit von zuhause, vom Saarland. Von uns aus Richtung Norden.
Ich sehe mich um. Das Zimmer ist toll. Zwei Betten, ein riesiger Schrank für mich alleine. Ein Tisch, zwei Sessel. Möbel aus Holz… nichts abgewetzt, sauber. Für mich glatte 3 – 4 Sterne. Allerdings kann ich so etwas wie „Design“ oder “Stimmigkeit“ nicht wahrnehmen. Für mich zählt Funktionalität. Das Bad ist allerdings funktionaler als der Rest. Einfachst. Ist das Zimmer hotelmäßig, so ist das Bad klinikmäßig. Kleine Dusche, Duschvorhang auf zwei Seiten… bei meiner Körperfülle heißt das: am ganzen Körper klebender Vorhang; es gilt, Seife und Wasser zwischen die Komponenten Körper und Vorhang zu bringen – wobei dann doch der Vorhang ständig über dem Duschbecken hängt und das Bad unter Wasser steht! Unkomfortabel, aber machbar. Zumal ich ja das Bad nicht putzen muss. Auf der physischen Ebene kann ich hier überleben. Doch das heißt in einer Psychoklinik noch nicht viel…
Ich wende mich von der Zimmerbetrachtung ab und schaue über den handtuchgroßen Balkon ins Freie. Es ist schönes, helles Wetter. Im Hintergrund sind afrikanisch anmutende Bäume, welche leider nicht den Blick auf ein Kohlekraftwerk verstellen. Ich werde wieder nachdenklich… wieso bin ich erneut in einer Klinik?
Klar, es gab leicht problematische Arbeitsverhältnisse.
„Deutschland geht es gut!“ ist das geflügelte Wort. Das heißt, dass unser Gott, die Industrie, gute Zahlen schreibt. Und das muss wiederum heißen, dass es den Menschen in Deutschland gut geht. So jedenfalls das Kurzsicht-Denken der Politiker. Eigentlich heißt es aber, aus unserer Religionssprache BWLisch übersetzt: möglichst wenige Menschen (als größter Kostenfaktor) arbeiten mit möglichst wenigen Mitteln möglichst viel zur Gewinnmaximierung. Wer das nicht (mehr) kann, steht in unserer Gesellschaft dumm da. Ich glaube, jeder Leser mag dies in seiner jetzigen Situation nachvollziehen können – sei er Arbeiter oder Angestellter im sich immer schneller drehenden Hamsterrad, oder sei er Selbständiger, den die Nebenkosten auffressen. Oder sei er gar Kind, Jugendlicher, Student, Hausfrau/Hausmann, Rentner oder Kranker, für die kein Geld da und für die kein Einsparziel zu hoch ist, weil diese Randgruppen (Kinder, Alte und Kranke) bwl-technisch nicht direkt profitabel sind.
Wir haben einen Wertewandel durchgemacht, der als Lebenssinn alleinig die Arbeit sieht – die jedoch strukturell am Menschen gar nicht interessiert ist, höchstens an seiner Wertschöpfung – und die ist austauschbar. Was viele gerade zu spüren bekommen.
Читать дальше