Kaum war meine Mutter aus der Tür verschwunden wurde mir von einer alten rabiaten Nonne kräftig der Hintern versohlt. Die hochkatholische Ordensschwester Pauline hatte eben ihre eigenen Methoden, kleine Schreihälse wie mich zur Vernunft zu bringen. Das Tragen der Lederhose hat Mutter zwar zu ihrer Gewissensberuhigung gut gemeint, aber es brachte leider nicht viel, da Pauline diese nur zum Verdecken der roten Flecken benötigte. Die Schläge, das wusste sie, mussten auf den nackten Hintern gesetzt werden, um auch richtig zu wirken. Hätte ich mich doch vorher mit meinen älteren Brüdern unterhalten. Wenigstens hätten diese Säcke mich warnen können, aber so sind Brüder nun mal.
Nachdem ich mich also der Gewalt fügen musste war ich nun im Kindergarten. Ich merkte schon damals, dass Gruppen und Gruppenleben keinen besonderen Reiz für mich hatten. Doch ich hatte zwei Freunde gefunden: einen Jungen und ein Mädchen, was es für mich etwas erträglicher machte. Mit dem Jungen verbrachte ich einige Zeit, er war intelligent und sollte, wie sich später herausstellte, Regisseur am Theater werden. Das Mädchen war das hübscheste der Gruppe und es war meine selbst gestellte Aufgabe sie als Freundin zu bekommen. Das gelang sogar und ich war tief betrübt, als sie nach Ende der Kindergartenzeit weit von Krefeld wegzog.
Dieselben Gründe wie für meine Integration in den Kindergarten galten auch für meine Einschulung: Mutter brauchte einfach die Zeit, denn wie sich wenig später herausstellte, hatten sie ihre dunkle Vorahnung und ihr Wissen um den unbändigen Vermehrungsdrang ihres Mannes nicht getäuscht. Nach kurzer Zeit war sie schon wieder schwanger und es sollte wie auch sonst, ihr fünfter Sohn auf dem Weg sein.
Ich kam viel zu früh in die Grundschule, nämlich im völlig unreifen Alter von fünf Jahren. Das sollte mir noch lange Probleme bereiten.
Nicht nur aufgrund meines geringen Alters, auch sonst war ich mit der Kürzeste in der Klasse und somit dem ständigen Spott der grausamen Mitschüler ausgesetzt. Hier entwickelte sich meiner Überzeugung nach ein großer Teil meines nicht ererbten Charakters.
Kleine Menschen haben es von Kind an schwerer und wenn diese auch noch jünger als die meisten anderen sind und nicht nur aufgrund ihres Alters geistig noch etwas hinterherhängen, entwickeln sie oft Verhaltensweisen außerhalb der gewünschten Normen. Sie nannten mich Benjamin den Kleinen — und da sie mich nicht nackt kannten, zielten sie auf meine Körperhöhe ab. Den Namen benutzte sowohl die pädagogisch völlig unbeleckte Lehrerschaft, als auch die Mitschüler. Nett, dachte ich, scheint ein lustiger Haufen Scheiße zu sein. Und so erfreute ich sie alle zusätzlich mit meinen Späßen als Klassenclown.
Ich merkte recht schnell, dass der Bruch von Regeln die Aufmerksamkeit und Anerkennung der Gruppe auf sich zog. Das war toll für mich, weniger für meine Mutter. Sie musste Rede und Antwort stehen, ob der humorvollen Störungen des Unterrichtes. War ja alles nicht schlimm — mein Charakter war noch im Formungsprozess und die Delikte nur verbaler Art.
Mein Vater war hier nicht involviert und überhaupt trat er während meiner Grundschulzeit nur einmal unangenehm in Erscheinung. Leider hatte ich nicht gemerkt, dass er aus irgendeinem Grund an einem Wochentag nicht zur Arbeit gegangen war. Darüber war er verständlicherweise schwer sauer, denn er musste wie ein Tagedieb für zwölf Stunden sein Dasein im Hause fristen. Ich trödelte ein weinig auf dem Rückweg von der Schule, führte noch eine kleine Schlägerei mit einem Jungen aus der Nachbarschaft und ging anschließend noch in einen Laden, um ohne Geld einzukaufen . Kaum kam ich nach erfolgter Besorgung aus der Ladentür, sah ich das Unheil in väterlicher Gestalt schon auf mich zu kommen. Er war seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen sehr ungehalten und lief ohne zu zögern auf mich zu. Ich hatte keine Chance zu entkommen. Er packte mich am linken Ohr und trabte voran wie ein Rennpferd, wohl um mich von der richtigen Geschwindigkeit für den Schulweg zu überzeugen. Das tat ganz schön weh, aber schlimmer war die Schmach, dass der Alte mich so vorführte. Nach anderthalb Kilometern machte er halt, wir waren zu Hause angekommen. Mein gefoltertes Ohr schmerzte und mein Vater war zufrieden. Hatte er doch trotz Kind und Ohr an der Hand wenigstens die anderthalb Kilometer mit einer ganz passablen Laufleistung hingelegt, wenn er schon nicht malochen konnte. Und er hatte sich endlich einmal um die Erziehung gekümmert, da konnte seine Frau auch mal ein bisschen stolz auf ihn sein und die Meckerei einstellen.
Ich war ein schlechter Schüler, was meine wahren Leistungen betraf. Trotzdem verstand ich so zu tun, als würde ich begreifen was die Lehrer vermitteln wollten. Ich plapperte nach, schrieb viel ab und umschrieb Antworten auf gestellte Fragen blumig, ohne die Fragen jedoch im Kern zu beantworten oder die Antworten zu wissen. Da die Lehrer offenbar so blöd waren diese Plappereien als Intelligenz zu bewerten, rieten sie meiner Mutter, mich auf eine Realschule zu versetzen. Das war natürlich völliger Unsinn, denn mit meinen zehn Jahren und dem nicht vorhandenen Wissen hätten sie mich besser die dritte und vierte Klasse wiederholen lassen. Selber Schuld und Arschlecken , dachte ich. Glaubt bloß nicht, ich werde für eure Blödheit die Zeche bezahlen und an den bevorstehenden Schwierigkeiten und schlechten Noten Schaden nehmen. Ihr werdet schon erkennen, wer hier die Nerven lassen wird. Nicht ich werde in Zukunft zum Elternsprechtag aufs Schafott zitiert, sondern ihr. Im Grunde war es egal, denn eigentlich hatte ich zu dieser Zeit schon überhaupt kein Interesse mehr an dem ganzen schulischen Kram.
Die Flegeljahre — ein Charakter entsteht
Die Pubertät nahm Besitz von mir und ich folgte nur noch meinen Trieben. Meine Jugendzeit war geprägt von den Reizen der mich umgebenden Mädchen und meinem Streben nach Anerkennung. Und wie bei den meisten heranwachsenden Jungen begleiteten auch mich die Dame Maria Faust und ihre fünf Töchter durch diese bewegte Zeit. Ich bemitleide heute meine Mutter, hatte sie doch noch weitere vier Söhne in die Welt gesetzt, welche fast täglich die Bettwäsche festigten.
Nach zwei erfolglosen Jahren auf der Realschule, deren einziger Reiz in einer vollbusigen blonden Mitschülerin und einer lustigen Klassenfahrt bestand, hatte auch meine Mutter endlich meine Blödheit bemerkt und mich dann auch schleunigst auf eine Hauptschule befördert. Dadurch wurden zwar die Noten nicht besser, aber sie hatte ihre Schuldigkeit getan und mehr war überhaupt nicht zu machen.
Zum Glück waren die Lehrer auf dieser Schule komplett überfordert mit sich selbst und ihrer Schülerklientel, was sich beim Kollegium in Trunksucht, Wutausbrüchen unter Tränen, Schlägereien mit Schülern oder in der spontanen Ausübung von roher Gewalt äußerte. Alles in allem ein richtiger Sauhaufen, besonders die Lehrerschaft.
Es gefiel mir recht gut da. Keiner nahm großen Anstoß daran, wenn sich Schüler auf dem Schulhof prügelten, oder auch die Lehrer im Unterricht verwimmst wurden. Hier lernte ich noch eine andere wichtige Sache: Überrasche deinen Feind, bevor er dich überrascht und suche dir starke Freunde, wenn du schon eine große Fresse hast.
Da ich immer noch recht klein war, zog ich immer wieder die Aufmerksamkeit der bösen Jungs auf mich, welche mir nachstellten, um mich zu verprügeln. Durch schnelle Beine und gute Freunde konnte ich mich aber stets der Keile entziehen. Was ich allerdings gar nicht leiden konnte: wenn man mich in der Klasse mit Schimpfworten die auf meine Größe anspielten bedachte. Da gab es schon mal ohne Vorwarnung für den Bösewicht während des Unterrichts was auf die Fresse — da hatte er dann gar nicht mit gerechnet, der Schlingel, mitten im Biologieunterricht sein eigenes Blut zu schmecken.
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