Mit dem Overall bekleidet ließ er sich auf das Bett sinken. So schnell würde er den Overall auch nicht wieder ausziehen, dies hatte er sich geschworen, denn dieser verlieh ihm eine gewisse Identität. Schließlich schlief er, gut gesättigt, ein.
Mats Runen erwachte. Wie lange er geschlafen hatte, konnte er nicht sagen, denn ein Zeitgefühl hatte er immer noch nicht. Denn immer noch fehlte in seinem kleinen Zimmer ein Zeitmesser. Dagegen leuchtete noch immer das gleiche diffuse Licht, welches aus Wänden und Decke zu kommen schien.
Er setzte sich, wie jedes mal nach dem Aufwachen, auf die Bettkante und stützte sich mit den Armen ab. Er fühlte sich einsam, denn bisher hatte er keinen einzigen Menschen zu Gesicht bekommen und ihn quälten immer noch unzählige Fragen. Wo war er? Wo waren seine Kameraden, an die er sich wieder erinnern konnte? Wie lange war er schon hier? Fragen über Fragen. Mats Runen seufzte.
„Guten Morgen, Mats Runen!“ sagte plötzlich eine synthetische Stimme. Erschrocken sprang er vom Bett und schaute sich suchend um. Es war niemand weiter im Zimmer. Die Stimme war einfach nur im Raum.
„Wer bist du? Und wo bist du?“
„Ich bin dein persönlicher Service-Computer. Hast du einen Wunsch, Mats Runen?“
„Ja, verdammt, ich habe einen Wunsch. Ich wünsche, dass endlich jemand hier erscheint und mir meine unzähligen Fragen beantwortet. Ich habe es einfach satt, so allein zu sein!“ platzte Mats Runen der Kragen.
„Dir wurde ein persönlicher Betreuer zugeteilt und dieser wird dich schon bald aufsuchen. Hast du sonst noch einen Wunsch?“
„Frühstück … äh … etwas zu essen!“
Statt einer Antwort, fuhr wieder der Tisch aus der Wand und erneut standen darauf reichlich gefüllte Schüsseln mit Essen. Wieder der gleiche Einheitsbrei von undefinierbarer Farbgebung.
„Schon wieder diese Pampe? Habt ihr nicht einen anständigen Kaffee, dazu Brötchen und ein weich gekochtes Ei für mich?“ fragte er in den Raum hinein und wartete. Doch es kam keine Antwort. Schließlich zuckte er mit den Schultern und machte sich notgedrungen über den Einheitsbrei her. Der Hunger trieb eben so manches rein.
Als er schließlich fertig war mit dem Essen, er hatte den Einheitsbrei ohne eine geschmackliche Anregung einfach in sich hinein geschlungen, legte er sich wieder auf sein Bett. Er verschränkte die Arme unter dem Kopf und glitt in eine Phase zwischen Schlaf und Wachsein. Immer neue Erinnerungen kamen aus der hintersten Ecke seines Hirns zurück, wurden an die Oberfläche seines Bewusstseins gespült.
Mats Runen wartete, wartete auf den angekündigten Betreuer.
„Mats Runen?“
Eine monotone Stimme rief ihn in die Realität zurück.
„Was?“ fragte er und setzte sich neugierig auf. Das war nicht die Stimme des Service-Computers. Diese Stimme hier war wärmer und kam von einem Wesen, keiner Maschine.
Dann sah er die Gestalt am Fußende seines Bettes. Neugierig schauten sich beide Wesen gegenseitig an. Schließlich musste Mats Runen laut lachen und er fragte in den Raum hinein:
„Hey Leute, wollt ihr Mensch-ärgere-dich-nicht mit mir spielen?“ Dann wandte er sich jedoch an die Gestalt an seinem Bett. „Wer bist du und vor allem, was bist du?“
„Ich bin JaJa und dein persönlicher Betreuer!“
„Entschuldige, wenn ich über dich gelacht habe! Aber warum siehst du aus, wie eine Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur?“
„Ich weiß nicht, was du meinst, eine Mensch-ärgere-dich-nicht Figur?“
„Dann schau dich in einem Spiegel an und du weißt es!“
Tatsächlich hatte das Wesen, welches immer noch an seinem Bett stand, eine frappierende Ähnlichkeit mit einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielfigur.
Ein kegelförmiger Körper, der fast bis zum Boden reichte und die kurzen Beinchen kaum erkennen ließ. Dazu ein perfekter runder Kopf ohne Haare und Ohren, mit zwei großen runden Augen ohne Lider und ein kleiner runder Mund, aus dem jedoch kein Laut kam. Seine Stimme kam aus einem kleinen schwarzen Kästchen, den er um den nicht vorhandenen Hals trug, denn der Kopf saß direkt auf dem kegelförmigen Rumpf.
„Nein, Mats Runen, das werde ich nicht tun! Du wirst mir erklären, was eine Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur ist!“
Mats Runen hatte einigen Nachholbedarf, was Konversation an betraf und dennoch tat er sich schwer dem fremden Wesen den Begriff Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur zu erklären.
Nach über einer Stunde hatte er, umständlich und unzählige Male durch Fragen unterbrochen, dem Wesen an seinem Bett die Mensch-ärgere-dich-nicht Figur, sowie das Spiel selbst, erklärt. Als Mats Runen schließlich schwieg, schaute das Wesen ihn mit seinen großen Augen an und sagte:
„Es ist eine Ehre für mich, wenn du mich mit einem wichtigen Wesen von deiner Welt vergleichst!“ Mats Runen resignierte.
„Keine Ursache! Jetzt erkläre mir aber bitte, wer du bist und wo ich mich hier genau befinde!“
„Ich bin dein angekündigter persönlicher Betreuer und ich werde dir jeden Wunsch erfüllen, jede Frage beantworten und jede Bitte erfüllen! So, wie es mir die Gen-Techniker zur Aufgabe gemacht haben!“
„Das ist ja prima. Ich hoffe, du hast da nicht zu viel versprochen. Am besten fängst du gleich mit den Fragen an, die ich dir soeben gestellt habe! … Also, noch einmal! Wer bist du?“
„Ich bin dein persönlicher Betreuer!“
„Deinen Namen, bitte! Wie man dich nennt!“
„JaJa!“
„Okay, was Jaja heißt, wussten schon meine Urgroßeltern. Ich hoffe, du meinst es nicht wirklich so!“
„Man nennt mich JaJa!“
„Also gut Leute!“ sprach Mats Runen diesmal sehr ernst wieder in den Raum hinein. „Ich glaube es reicht. Wo ist die versteckte Kamera und wer, verdammt nochmal, ist dieser Komiker? Langsam ist das kein Spaß mehr. In welchem Krankenhaus bin ich? Und wer erlaubt sich derartige Scherze mit mir?“
„Du musst dich nicht aufregen, Mats Runen. Du bist hier bei den Gen-Technikern und ich bin JaJa!“
„Gen-Techniker? Was sind das für Leute?“
„Dies ist eine lange Geschichte. Doch damit du dir ein Bild machen kannst, werde ich sie dir erzählen.“
„Wie nett von dir!“
Sein gegenüber ignorierte die letzte Bemerkung und begann zu erzählen:
„ Vor tausenden von Jahren lebten die Gen-Techniker noch auf einem Planeten. Ihre Heimatwelt hieß Palmyra und sie selbst nannten sich damals noch nicht Gen-Techniker. Sie waren das Volk der Palmyrer und sehr weit entwickelt. Ständig wurde entdeckt, entwickelt und ständig waren die Wissenschaftler auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens, nach den Bausteinen des Lebens.
Dann jedoch, eines Tages, fanden einige Wissenschaftler den Grund für unerklärliche genetische Veränderungen der Palmyrer heraus. Ihr Sonne sandte eine gefährliche Strahlung aus, sie wandelte sich von einem Leben spendenden Stern in eine tödliche Gefahr. Ihr Licht veränderte sich und bewirkte diese genetischen Veränderungen der Palmyrer. Sie wurde zu einer blauen Sonne und irgendwann würde sie in einer Supernova vergehen und auf den Planeten des Heimatsystems der Palmyrer alles Leben auslöschen.
Von Stunde an wurde nach einem Ausweg gesucht. Wie man der Katastrophe entgehen könnte, obwohl noch zahlreiche Generationen kommen und gehen würden, bevor die nun blaue Sonne von Palmyra sich in eine Supernova verwandeln würde.
Es wurde ein gigantisches Rettungsprogramm gestartet und einhundert unvorstellbar große Raumschiffe gebaut. Mit jedem fertigen Raumschiff sollte ein Teil der Bevölkerung den Planeten verlassen und sich eine neue Heimat in den Weiten des Roten Universums suchen.
Es dauerte tausend Jahre bis die einhundert Raumschiffe fertiggestellt waren und doch reichten sie nicht für die gesamte Bevölkerung von Palmyra. Hunderttausende waren dem Untergang, den Tode geweiht. Dennoch arrangierten sie sich mit ihrem Schicksal.
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