Aber ich finde, wir kennen uns ja nun schon eine Weile und irgendwie weiß ich so gut wie nichts von dir. Und als dann heute das Gespräch auf die Art und Weise des Mordes kam...
Ach so, Thomas atmete übertrieben grimassierend auf.
Er lächelte.
Ja, das hat tatsächlich mit meinem früheren Betätigungsfeld zu tun. Und da unser Täter sich einer derart ungewöhnlichen Methode bedient hat..., ich meine, mittlerweile schneidet man in solch einer Situation dem Opfer die Kehle durch, das ist genauso effizient und leichter anzuwenden.
Sarah reichte über den Tisch und legte ihre Hand auf die seine, um ihn zu unterbrechen.
Stopp, sagte sie, heute Abend reden wir nicht über den Fall! Ich würde einfach gern mehr über dich erfahren!
Da gibt es nicht viel zu erzählen, entgegnete er und zuckte mit den Achseln.
Aber als du neulich von deiner Malerei angefangen...
Schhhhhhh!, unterbrach Sarah mit dem Zeigefinger vor den Lippen. Von dir will ich ein bisschen mehr erfahren.
Sie hatte sich vorgenommen, jegliches Ausweichmanöver seinerseits sofort und konsequent zu unterbinden. Ihr beider Umgang war so ungezwungen, dass sie sich das erlauben konnte. Sie lächelte ihn erwartungsvoll an.
Ähh... ja..., wo soll ich anfangen?
Sarah war klar, dass er es nicht gewohnt war, einfach so von sich zu erzählen.
Zum Beispiel: bist du hier aufgewachsen? Leben deine Eltern noch? Hast du Geschwister? Was hast du vor deiner Karriere als Kriminalhauptkommissar getan?, gab sie ihm bereitwillig Starthilfe.
Auf die Frage „hast oder hattest du schon mal eine Freundin?“ verzichtete sie in dem Bewusstsein, dass dies zu diesem Zeitpunkt vollkommen unangebracht war und durchaus einen Konversationskiller darstellen konnte.
Ja gut, also du hast es mit einem echten Freiburger Bobbele zu tun, fing er nach einigen Augenblicken des Nachdenkens an.
Meine Großeltern haben hier gelebt, meine Eltern leben hier immer noch, und ich habe auch die meiste Zeit meines Lebens hier verbracht.
Hast du viel Kontakt zu deinen Eltern?, hakte Sarah ein und vermied es zu fragen, ob er gar noch zu Hause wohnte.
Wir telefonieren ein, zwei Mal die Woche und ich helfe ihnen hin und wieder im Haus und im Garten oder bei schweren Einkäufen. Gesundheitlich geht es den Beiden nicht so gut. Sie sind zwar noch nicht so alt, aber mein Vater hat sich seinerzeit im Kieswerk um seine Gesundheit geschuftet und auch meine Mutter hat sehr hart gearbeitet, um das kleine Reihenhäuschen, in dem ich groß geworden bin, abzahlen zu können.
Sarah nippte an ihrem Rotwein. Auch Thomas nahm einen Schluck. Ohne dass Sarah einen weiteren Anstoß geben musste, fuhr Thomas fort.
Meine Eltern haben alles getan, damit meine Schwester – sie ist zwei Jahre älter – und ich eine unbeschwerte Kindheit und Jugend verbringen konnten. Und sie haben auch alles darangesetzt, dass wir beide zumindest Abitur machen konnten.
Habt ihr irgendwie Kontakt?, fragte Sarah nach.
Ich meine, du und deine Schwester?
Wir verstehen uns eigentlich ganz gut, sehen uns aber nur sehr selten. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann, der irgendwas mit Investment Banking zu tun hat, in New York.
Der Mimik und dem Tonfall konnte Sarah entnehmen, dass sich Thomas und sein Schwager wohl nicht ganz grün zu sein schienen. Aber sie entschied, nicht näher darauf einzugehen.
Und du, was hast du gemacht, nachdem du dein Abi in der Tasche hattest?
Tja, ich stand natürlich vor der Wahl: Bund oder Zivildienst.
In diesem Augenblick trat die hübsche Bedienung wieder an den Tisch. Sie balancierte geschickt zwei Teller und eine Schale mit Brot sowie ein Henkelkörbchen, in dem sich eine Salz- und eine Pfeffermühle befanden. Das Brot und den Henkelkorb platzierte sie in der Mitte des Tisches und stellte dann den Teller mit einer riesigen Portion Salat vor Sarah, den anderen, auf dem zwei gigantische Schnitzel und ein Berg Pommes Frites prangten, vor Thomas.
Den Beilagensalat bringe ich dir gleich noch, flötete sie und war schon wieder verschwunden.
Thomas wartete schweigend die zwei Minuten, bis die junge Dame wieder auftauchte, ihm seinen Salat in Reichweite stellte und sich mit: „So, ich wünsch euch einen guten Appetit“, freundlich verabschiedete.
Ja, den wünsche ich dir auch, sagte Sarah, einerseits über das appetitliche Arrangement vor sich sehr erfreut, andererseits etwas enttäuscht, dass Thomas’ ungewohntem Redefluss nun eine Zäsur widerfuhr.
Danke, ebenso!, sagte er und breitete seine Serviette auf dem Schoß aus.
Die ersten Minuten aßen beide schweigend.
Ist das gut?, fragte Thomas Sarah, als diese gerade eine der Riesengarnelen angebissen und den Schwanz auf den Rand des Tellers gelegt hatte.
Sarah stöhnte und verdrehte die Augen.
Ein Traum! Lecker gewürzt mit Zitrone, Salz und Chili. Genau die richtige Schärfe.
Sie kam aus dem Schwärmen kaum heraus.
Willst du mal probieren?, fragte sie und hielt ihm eine Garnele über den Tisch.
Sehr gerne.
Thomas nahm sie ihr nicht aus der Hand, sondern biss einfach ab.
Mhmmm! Das ist wirklich toll!, sagte er.
Und dein Schnitzel?, wollte Sarah wissen.
Auch sehr lecker, gab Thomas zurück, aber im Vergleich dazu, er deutete auf Sarahs Teller, natürlich ziemlich derbe Hausmannskost.
Kann doch auch sehr gut sein, sagte Sarah, lehnte jedoch mit einem Kopfschütteln ab, als Thomas ihr den Teller zum Probieren anbot.
Für was hast du Dich denn entschieden?, knüpfte sie stattdessen an die Unterhaltung zuvor an und fügte noch „Zivi oder Bund“ hinzu, als sie Thomas’ leicht verwirrte Miene erkannte.
Bund!, antwortete er und begann nach einer kurzen Pause wieder von sich aus zu erzählen.
Nicht als Wehrdienstleistender. Ich wollte die Chance nutzen, mal für eine Zeit von Zuhause wegzukommen. Und damit wären wir auch bei dem Thema von heute Morgen.
Er schnitt ein Stück Schnitzel ab, spießte noch einige Pommes Frittes dazu und fuhr durch die üppig vorhandene Sauce. Sarah wartete geduldig und nahm ihrerseits auch einen Bissen.
Ich habe damals schon viel Sport gemacht und meinen Tauchschein hatte ich schon, also habe ich mich entschlossen, mich für acht Jahre bei der Marine zu verpflichten und die Offizierslaufbahn einzuschlagen. Und da es sich anbot, und es mich auch wahnsinnig interessierte, habe ich die Aufnahmeprüfung für die Kampfschwimmer gemacht.
Haben sie dich genommen?
Sarahs Frage war eher rhetorisch, ging sie doch davon aus, dass Thomas dieses sicherlich sehr anspruchsvolle Auswahlverfahren mit Bravour bestanden hatte. Thomas nickte.
Ja, sie haben mich genommen. Übrigens war Leon, der, mit dem ich neulich am Gardasee war, einer meiner Ausbilder. Wir haben uns von Anfang an richtig gut verstanden, obwohl er eigentlich als Schleifer verrufen war.
Wieder gönnte sich Thomas einen Bissen und rundete mit einem Schluck Bier ab.
Ich weiß nicht, warum, aber vielleicht sind wir einfach seelenverwandt. Was mir natürlich zugutekam, war, dass ich in vielen Disziplinen, bedingt dadurch, dass ich schon Vieles als Hobby gemacht habe, gegenüber den anderen Rekruten einen Vorsprung hatte. Ich konnte tauchen, Karate habe ich seit dem fünfzehnten Lebensjahr gemacht, Schwimmen war immer schon eine Leidenschaft, und da ich auf einem technischen Gymnasium war, konnte ich auch in der Ausbildung in Elektronik, Funk, Zünder Basteln und so, richtig gut punkten.
Sarah überraschte das nicht.
Ich glaube allerdings, schon damals war das Surfen mit ausschlaggebend, fuhr Thomas fort, die Kampfeinheit ist ja nicht weit von Kiel stationiert, wir waren viel in der Freizeit zusammen auf den Brettern.
Du warst in Kiel!, jetzt war Sarah wirklich fast beleidigt.
Du hast mich nicht darauf angesprochen? Du weißt doch, dass ich von da oben stamme... ich glaube es nicht!, sagte mit sie mit spürbarer Enttäuschung in der Stimme.
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