Besaß die Gum hier einen solchen Zufluchtsort, so war derselbe wohl schwerlich im Bahr-el-Ghud, sondern jedenfalls im Serir zu suchen, und es ließ sich beinahe mit Gewißheit erwarten, daß sich nirgends anders als dort der gefangene Rénald Latréaumont befand.
»Ich werde bei dem Bei im Kasr sein,« meinte ich daher. »Wie lange braucht ein Hedjihn, um es zu erreichen?«
»Wenn du am Bab-el-Hadjar, am Thor der Steine, stehst, Sihdi, und du reitest grad in der Richtung deines Schattens, wenn er gegen Aufgang zweimal so lang ist wie der Lauf deines Gewehres, so kommst du am Abend des andern Tages an den Dschebel (Berg) –Serir, der die Mauern unsers Kasr trägt.«
Ich wollte weiter fragen, doch wurde seine Gegenwart bei der Kaffilah erforderlich, wo Hassan der Große ein ganz bedeutendes Unheil angerichtet hatte. Trotz meines Befehles nämlich, die Leute über die Richtung ihres Weges bis auf weiteres im unklaren zu lassen, hatte er geplaudert und sich mit dem Schech el Djemali in einen Streit eingelassen, zu dessen Schlichtung der 11,habir herbeigerufen wurde.
»Hast du nicht gesagt, daß du zu den Kubabisch gehörst?« verteidigte sich der Oberste der Kameltreiber. »Diese haben ihre Duars in Kordofan. Wie willst du den Weg nach Safileh besser kennen, als ein Tuareg, der ihn hundertmal geritten ist? Kubabisch heißt Schafhirten; sie hüten ihre Schafe, sie reden mit ihren Schafen und sie essen ihre Schafe, ja, sie kleiden sich sogar in das Fell und in die Wolle ihrer Schafe; darum sind sie selbst Schafe geworden, die keine verständige Seele haben, sondern Unsinn blöken, wie die Schafe. Halte den Mund, Kubaschi, und schäme dich!«
Schon öffnete Hassan den Mund zu einer geharnischten Gegenrede, als ein Ereignis eintrat, welches ihn verstummen ließ und die Aufmerksamkeit aller, ganz besonders aber die meinige, in Anspruch nahm.
Es kamen nämlich im raschesten Laufe vier Reiter hinter uns her, welche beim Anblick der stehenden Karawane einen Augenblick beobachtend anhielten, dann aber vollends herbeigeritten kamen. Sie saßen auf Bischarinhedjihns, und ich erkannte – den Uëlad Sliman, welcher mir sein Djemmel geschenkt hatte, und den Boten, welcher in Algier von uns gefangen genommen worden war. Diesem mußte es auf irgend eine Weise gelungen sein, seine Freiheit zu erlangen; er war in das Duar am Auresgebirge zurückgekehrt, und der eine der Räuberbrüder hatte sich sofort mit den Seinen in Eile auf den Weg gemacht, den Mißerfolg der Sendung zu berichten. Vielleicht kannten sie den Zweck meiner Reise, aber selbst wenn dies nicht der Fall war, schwebte ich jetzt in einer offenbaren Gefahr, und ich winkte daher Josef und den Tebu an meine Seite.
»Sallam aaleikum,« grüßte der Uëlad Sliman laut, indem er mich und Josef nicht bemerkte, da wir hinter den andern hielten. »Wer ist der Khabir dieser Kaffilah?«
»Ich,« antwortete der Tuareg mit einem verschmitzten Blinzeln seiner Augen.
»Wohin geht euer Weg?« »Nach Safileh.«
»Bismillah, das ist gut. Auch ich will nach Safileh; ich werde mit euch reiten!«
Da gab es weder Anfrage noch Bitte; der Mann machte kurzen Prozeß; er behandelte die Karawane bereits als sein Eigentum. Da erblickte er den großen Hassan, der über alle andern um eines Kopfes Länge emporragte. Sofort ritt er auf ihn zu.
»Du warst bei dem Franken, welcher den Löwen tötete?«
»Ja.«
»Wo ist dein Herr?«
»Dort!« antwortete der Kubaschi, auf mich deutend.
Das Auge des Beis traf mich und wandte sich dann zu dem Boten.
»War es dieser?«
»Ja; er schlug mich nieder.«
Jetzt lenkte er, gefolgt von den drei andern, sein Tier zu mir heran; auch der Führer und der Schech el Djemali kamen herbei. Ich hatte sechs wohlbewaffnete Leute gegen mich, von den Männern der Kaffilah ganz abgesehen. Korndörfer hatte die Büchse gefaßt; der Tebu hielt seinen aus biegsamem Bassamholz gefertigten Wurfspeer in der Faust, und ich zog mit der Linken den Revolver unter dem weiten Burnus aus dem Gürtel, während ich in der Rechten die Kamelpeitsche behielt, damit es den Anschein hatte, als sei ich auf eine augenblickliche Verteidigung nicht vorbereitet.
»Du kennst mich?« fragte er ohne Gruß, indem sein stechendes Auge drohend das meine suchte.
»Ich kenne dich,« antwortete ich ruhig und kalt.
»Du hast meine Anaïa?«
»Ja.«
»Gieb sie mir wieder!«
»Hier!«
Ich warf ihm das Korallenstück hinüber; er fing es auf und steckte es zu sich.
»Du hast mich vom Löwen errettet, und ich gab dir mein bestes Hedjihn; wir sind quitt!«
»Gut! Dein Leben hat keinen höhern Wert als den eines Kameles. Du hast recht gesagt; wir sind quitt!«
Sein Auge blitzte auf.
»Kennst du diesen Mann?«
»Ich kenne ihn.«
»Du hast ihn geschlagen, daß er seinen Geist verlor. Er war ein Bote, und ihr habt ihn gefangen genommen. Ein Giaur, der einen Gläubigen schlägt, verliert seine rechte Hand, sagt der Kuran; du wirst deine Strafe leiden!«
»Und wer Menschenblut vergießt, deß Blut soll wieder vergossen werden, sagt die Bibel, das heilige Buch der Christen. Du wirst deine Strafe leiden, Hedjahn-Bei!«
Bei diesem letzteren Worte war es, als habe der Blitz mitten unter die Männer der Kaffilah hineingeschlagen. Sie waren von Anstrengung und Entbehrung entkräftet und entmutigt; Hunger und Durst wühlten in ihren Eingeweiden; sie konnten der Gum unmöglich widerstehen, wenn der Schreck sie schon bei Nennung dieses einen Namens beinahe vom Pferde und Kamele stürzte.
Der Uëlad Sliman war auch überrascht; er konnte von der Plauderhaftigkeit des Khabir nichts wissen; doch sah er die Wirkung seines Namens, sah fünf mutige Männer bei sich und wußte auf jeden Fall seinen Bruder mit der Gum in der Nähe; dies gab ihm die Kühnheit, sich ohne Leugnen zu dem Namen, den ich genannt hatte, zu bekennen.
»Allah kerihm, Gott ist gnädig, und ich bin der Hedjahn-Bei. Diese Kaffilah wird morgen wohlbehalten in Safileh sein, wenn sie mir den Franken mit seinen Dienern ausliefert. Steige herab vom Djemmel, Giaur, und küsse mir die Schuhe!«
Sämtliche Araber wichen von uns zurück, so groß war die Furcht vor diesem Manne.
»Du wirst die Kaffilah dennoch töten,« entgegnete ich ruhig. »Dieser Khabir ist ein Verräter; er hat sie nach dem Babel-Ghud geführt, wo die Gum heute in der Nacht über sie herfallen wird.«
»Du lügst!« donnerte er.
»Mensch, wage es nicht noch einmal, mich, einen Christen, einen Lügner zu nennen, sonst – –«
»Agreb, Skorpion, deine Zunge ist Gift,« unterbrach er mich mit doppelt verstärkter Stimme. »Du lügst!«
Mein Kamel hielt hart an dem seinen. Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, so sauste meine aus Rhinozeroshaut gefertigte Kamelpeitsche durch die Luft und strich ihm lautschallend über das Gesicht, daß ihm das Blut aus Nase, Mund und Wangen spritzte. Der entsprungene Bote, welcher neben ihm hielt, legte in demselben Augenblick das Gewehr auf mich an, doch ich kam ihm zuvor: den Revolver zu seiner Stirn erhebend, drückte ich los.
»Kennst du diesen Schuß, eine Mandel hoch über der Nasenwurzel, Karawanenwürger? Du bist der Bruder des Hedjahn-Bei, und ich bin der Bruder des Behluwan-Bei. Fahre zur Dschehenna und melde dem Scheitan, daß die Gum nachfolgen wird!«
Mein zweiter Schuß traf ihn an derselben Stelle in die Stirne; den dritten riß die Kugel Korndörfers vom Kamele, und dem vierten fuhr der Speer des Tebu in die Brust.
Das war das Werk kaum zweier Sekunden, so daß die beiden übrigen, der Khabir und der Schech el Djemali, gar nicht dazu gekommen waren, ihre Waffen zu gebrauchen. Ich hielt ihnen den Revolver entgegen.
»Gebt eure Waffen ab, sonst, das schwöre ich euch beim Barte eures Propheten, frißt euch die Kugel des Behluwan-Bei!«
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