Lukannon
Die wehmütige Hymne des Robbenvolkes
Ich traf meine Brüder am Morgen
(doch ach! Jetzt bin ich so alt),
Traf sie, wo schäumende Brandung
sich türmt mit Urgewalt.
Ich hörte ihr fröhliches Singen,
das machtvoll die Brandung verschlang,
Den Sang der vielen Millionen,
des Robbenvolkes Sang
Am Riffe von Lukannon.
Sie sangen von sonnigen Gründen
am grauen Lagunenrand,
Sie sangen von wonnigen Scharen
im schimmernden Dünensand,
Sie sangen von nächtlichen Tänzen
in schäumender Wellenflut,
Als noch kein gieriger Jäger
vergoß der Robben Blut
Am Riffe von Lukannon.
Ich traf meine Brüder am Morgen,
(ich sehe sie nimmermehr),
Sie kamen in vielen Legionen –
heut ist die Küste leer!
Und über dem Gischt der Wellen
klang unser Willkommensang,
Wenn sich mit glitzernden Fellen
die Schar auf die Felsen schwang
Am Riffe von Lukannon.
Heil dir, du Riff von Lukannon!
Hoch sproßt dein saftiges Ried,
Und auf den leuchtenden Algen
des Meeres Dunsthauch glüht.
Trägst tausendfache Spuren
aus meiner Jugendzeit,
Als wir auf felsigen Gründen
nicht kannten Not und Leid!
Dort, wo die Robbenmutter
schon mehr denn tausend Jahr
Auf weichem Dünenbette
das Robbenkind gebar,
Am Riffe von Lukannon!
Ich traf meine Brüder am Morgen,
gebrochen, in großer Not,
Die Jäger lauern im Wasser –
mit ihnen lauert der Tod.
Die Jäger lauern am Lande,
sie dürsten nach Blut und Mord
Und schießen und schlagen und treiben
die Brüder vom Strande fort!
Sie treiben uns zum Tode
wie Schafe, Stück für Stück,
Und dennoch: wir singen die Hymne,
die Hymne vom Robbenglück
Am Riffe von Lukannon.
Entflieht! Entflieht nach dem Süden!
Und du, Gooverooska, geh!
Und singe den Mädchen des Meeres
die Hymne von unserm Weh!
Wirft wilder Sturm an die Felsen
das leere Haifischei,
Auf alten Tummelplätzen
grüßt keines Robben Schrei! ...
Ihr Riffe von Lukannon,
bleibt ihr auch ewig stehn,
Die Robben werdet ihr nimmer,
ach, nimmer wiedersehn,
Ihr Riffe von Lukannon!
Rikki-Tikki-Tavi
An des tiefen Loches Rand,
In dem Ringelhaut verschwand,
Rotaug' wartet, Rotaug' droht:
Nag, heraus! Tanz mit dem Tod!
Aug' an Auge, Kopf an Kopf!
...Halte Takt, Nag!
Einem kostet's Haut und Schöpf!
... Wie du willst, Nag!
Zug um Zug und List um List!
... Auf und ab, Nag!
Wie's beim Tanze üblich ist!
... Stoße zu, Nag!
Links geschielt und rechts geschielt...
... Hei! Vorbei, Nag! Hast verspielt...
Weh dir, Nag!
Dies ist die Geschichte der Schlacht, die Rikki-Tikki-Tavi schlug, ganz allein, in dem Badezimmer des großen Bungalows im Distrikt Segowlee. Darsie, der Webervogel, half ihm, und Chuchundra, die Moschusratte, die an Platzangst leidet und deshalb immer an den Wänden entlangkriecht, gab ihm guten Rat. Aber den Kampf führte Rikki ganz allein durch.
Ein Mungo war Rikki – nach Pelz und buschiger Rute glich er fast einer Katze, doch Kopf und Art waren die eines Wiesels. Seine Augen und die immer bewegliche Nase schimmerten rosig; leicht konnte er sich am ganzen Körper kratzen und putzen und dabei ganz nach Belieben einen seiner Läufe benutzen. Seine Rute konnte er aufplustern, daß sie wie eine Flaschenbürste aussah; und wenn er durch das hohe Gras schnürte, ließ er seinen pfeifenden Schlachtruf ertönen: Rikki-Tikki-Tikki-Tschick!
Eines Tages schwoll der Fluß, an dem Rikki mit seinen Eltern lebte, mächtig an, denn während der ganzen Nacht war der Regen in Strömen vom Himmel gefallen. Zuletzt ergriff das schäumende Wasser den armen Rikki und riß ihn mit sich fort, sosehr er auch um sich stieß und sich wehrte. Aber er hielt seine kleinen rötlichen Augen offen, und als er an einem herabhängenden Zweige vorbeiglitt, schnappte er zu und hielt fest, bis ihm die Sinne vergingen.
Als Rikki erwachte, lag er in der heißen Sonne auf dem Rasenplatz eines fremden Gartens; und ein Knabe, der neben ihm stand, rief: »Mutter, das Wasser hat einen toten Mungo angeschwemmt. Komm, wir wollen ihn begraben.«
»Wer weiß, ob er tot ist«, meinte die Mutter. »Trage ihn herein, wir wollen ihn wärmen und trocknen.«
Sie brachten ihn ins Haus; und ein großer Mann nahm ihn hoch und sagte, er wäre nicht tot, sondern nur betäubt. So wurde er sorgsam in Watte gepackt und gewärmt. Dann schlug Rikki die roten Augen auf und nieste.
»Still jetzt«, sagte der große Mann (ein Engländer, der vor kurzem in den Bungalow eingezogen war). »Erschreckt ihn nicht, sonst läuft er davon.«
Einen Mungo erschrecken, das ist nun so ziemlich das Schwerste auf der Welt, denn er ist ganz Neugier von der Nasenspitze bis zum Schwanz. Und alle Mungovölker haben den Wahlspruch: »Lauf und sieh.« Rikki blinzelte die Watte an, beschnüffelte sie und entschied, daß sie nicht gut zu essen sei; dann streckte er sich, rannte um den Tisch, setzte sich aufrecht und leckte sich nach Katzenart – dann kratzte er sich, und mit plötzlichem Sprunge saß er auf der Schulter des Knaben.
»Keine Angst haben, Teddy«, lachte der Vater. »Das ist nun einmal seine Art, Freundschaft zu schließen.«
»Hu! Er kitzelt mich – am Kinn und nun am Halse«, rief Teddy.
Rikki-Tikki schob seinen Kopf hinter den Kragen des Knaben und schaute neugierig am Hals hinab, er schnupperte am Ohr – oben und unten – und als er in der Mitte ein Loch sah, schob er seine rosa Nase hinein. Teddy schrie auf und schüttelte sich, während Rikki zur Erde sprang und sich die Pfoten leckte. »Das soll ein wildes Tier sein?« rief Teddys Mutter. »Es ist wohl zahm, weil wir gut zu ihm waren?«
»Alle Mungos sind so zahm«, antwortete der Vater. »Wenn Teddy ihn nicht quält, ihn nicht am Schwanz zieht oder ihn in einen Käfig zu sperren sucht, wird er ganz zutraulich werden und bei uns bleiben. Vielleicht frißt er schon.«
Man gab ihm ein Stückchen rohes Fleisch, das ihm anscheinend sehr gut schmeckte. Dann lief Rikki zur Veranda, setzte sich mitten in die Sonne und blies sich auf, bis sein schöner Pelz bis auf die Haut trocken war. Nun erst fühlte er sich wirklich wohl.
»Es gefällt mir hier viel besser als daheim im alten Loche«, sagte er zu sich selber. »Hier im Hause sind mehr Dinge zu finden, als meine ganze Familie je gesehen hat. Ich muß hierbleiben, bis ich alles beschnüffelt und ausgekundschaftet habe.«
Den ganzen Tag spürte er in allen Winkeln umher. In der Badewanne wäre er beinahe ertrunken; seine rosa Nase färbte sich ganz schwarz in dem Tintenfasse auf dem Schreibtisch, und er verbrannte sich die Zunge, als er das glühende Ende der Zigarre untersuchen wollte, die aus dem Munde des großen Mannes qualmend hervorragte. Am Abend beobachtete er neugierig in der Kinderstube, wie die Lampen angezündet wurden; und als Teddy sich ins Bett legte, probierte er, ob ihm die Strümpfe oder die Hosen des Knaben paßten. Er kletterte dann auf die Kissen und schloß die Augen, als ob er schlafen wollte. Aber er war ein rastloser Gefährte, denn bei dem kleinsten Geräusch schreckte er auf und begann eine umständliche Untersuchung anzustellen. Teddys Mutter und Vater kamen in die Stube, um gute Nacht zu sagen, und Rikki blinzelte ihnen von den Kissen entgegen.
»Nein, das geht nicht«, sagte die Mutter. »Vielleicht beißt er Teddy.«
»Er denkt nicht daran«, erklärte der Vater. »Im Gegenteil, dieser kleine Kerl hält besser Wache als ein Bluthund. Käme zum Beispiel eine Schlange in die Stube ...«
Aber Teddys Mutter wollte an etwas so Schreckliches gar nicht denken. Am nächsten Morgen stellte sich Rikki-Tikki rechtzeitig zum Frühstück ein; er hatte einen lustigen Ritt auf Teddys Schulter zur Veranda gemacht und sog schnuppernd den Duft der Teekanne, des Schinkens und der Eier in die Nase, die er sich während der Nacht wieder rosa geleckt hatte. Man gab ihm ein wenig von den süßen Bananen und gekochten Eiern, und zum Dank sprang er von Schoß zu Schoß und schnüffelte allen an den Händen herum. Er hatte sich vorgenommen, der Hausliebling zu werden, denn seine Mutter, die in der Familie des Kommandierenden Generals in Segowlee gelebt, hatte ihm genau erzählt, wie man so etwas anfangen müsse.
Читать дальше